OGH 15Os122/18g

OGH15Os122/18g21.11.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. November 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der FOI Bayer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Mark S***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 4. Juni 2018, GZ 84 Hv 10/18g‑20, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0150OS00122.18G.1121.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mark S***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 22. September 2017 in W***** eine wehrlose Person, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er in die tief schlafende Lilith B***** vaginal mit seinem Penis eindrang, somit mit ihr den Beischlaf vollzog.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus § 281 Abs 1 Z 3, 5, 9 lit a, 9 lit b und 10 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde ist nicht berechtigt.

Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 3 StPO liegt vor, wenn in der dem Urteil vorangegangenen Hauptverhandlung eine Vorschrift verletzt oder vernachlässigt worden ist, deren Beobachtung das Gesetz ausdrücklich bei sonstiger Nichtigkeit vorschreibt (RIS‑Justiz RS0099128). Indem die Verfahrensrüge kritisiert, das Erstgericht hätte in der Hauptverhandlung Videos vorgespielt, welche einvernehmlichen Sexualverkehr des Angeklagten mit seiner Ex‑Freundin oder einem weiteren Mädchen zeigten, wird keine der in der taxativen Aufzählung der Z 3 enthaltenen Bestimmungen angesprochen.

Die gegen die Feststellung starker Alkoholisierung des Opfers zur Tatzeit erhobene Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) bezieht sich auf keinen entscheidungswesentlichen Umstand. Nach den Urteilskonstatierungen befand sich das Opfer bedingt durch übermäßigen Alkoholkonsum und Reisestrapazen in einem fest schlafenden, willenlosen und widerstandsunfähigen Zustand, als der Angeklagte mit seinem Penis vaginal in sie eindrang (US 4).

Schon allein der Schlafzustand begründet die nach der ersten Deliktsvariante des § 205 Abs 1 StGB geforderte Wehrlosigkeit des Opfers (RIS‑Justiz RS0102727; RS0095097). Der genaue Grad der Alkoholisierung des Opfers kann daher dahinstehen. Im Übrigen ließ das Schöffengericht die Feststellungen zur Alkoholisierung des Opfers nicht unbegründet, sondern stützte sich diesbezüglich auf dessen Zeugenaussage sowie auf die Angaben der Zeugen D***** und A***** (US 5 f). Soweit der Rechtsmittelwerber ausführt, der Konsum von ein paar Bieren und einem Schnaps könne keine derart starke Alkoholisierung herbeiführen, bekämpft er nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung.

Betreffend die Feststellungen zum tiefen Schlaf des Opfers haben die Tatrichter entgegen dem weiteren Vorbringen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) die leugnende Verantwortung des Angeklagten berücksichtigt (US 6). Indem die Nichtigkeitsbeschwerde darauf hinweist, der Angeklagte hätte mehrfach festgehalten, dass Lilith B***** wach war und die Augen offen hatte, verkennt sie, dass das Gericht nicht zu jedem Vorbringen des Angeklagten Stellung nehmen muss; es genügt vielmehr, wenn das Urteil in gedrängter Form begründet, wie es zur Überzeugung von der Richtigkeit seiner Annahme gelangte (RIS‑Justiz RS0098717).

Die Mängelrüge übt bloß unzulässige Beweiswürdigungskritik nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung, indem sie ausführt, das Opfer hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit am Tattag Drogen konsumiert und es wäre ein „Rätsel“, wie der Angeklagte die Unterhose und den Body des Opfers ausgezogen haben könnte, ohne es aufzuwecken.

Das gilt auch für das Vorbringen zur inneren Tatseite, wonach ein schlaftrunkener Zustand, bei dem das Opfer beim Sexualverkehr stöhne, von einem „normalen Beischlaf“ unmöglich zu unterscheiden sei, und wonach die Verantwortung des Angeklagten lebensnah und in allen Punkten wesentlich präziser gewesen wäre als die Zeugenaussagen des Opfers.

Geringfügige Abweichungen in den Aussagen der Zeugin B***** hat das Schöffengericht entgegen dem weiteren Vorbringen (Z 5 zweiter Fall) nicht unberücksichtigt gelassen (US 6).

Die Behauptung der Rechtsrüge (Z 9 lit a), die Feststellung des Tiefschlafs allein würde zur Annahme einer im Tatzeitpunkt vorgelegenen Wehrlosigkeit des Opfers nicht genügen, wird nicht aus dem Gesetz abgeleitet (RIS‑Justiz RS0116565). Die im Jahr 1959 zum Verbrechen der Notzucht nach § 127 StG ergangene Entscheidung SSt 30/118, auf welche sich der Rechtsmittelwerber beruft, trifft gerade keine Aussage im Sinn der vorgetragenen Behauptung. Aus welchem Grund eine tief schlafende Person entgegen ständiger Judikatur (RIS‑Justiz RS0095097 [T1, T2, T3], RS0102727; vgl auch Philipp in WK² StGB § 205 Rz 7; Leukauf/Steiniger/Tipold , StGB 4 § 205 Rz 6; Hinterhofer , SbgK § 205 Rz 23) kein Schutzobjekt des § 205 Abs 1 StGB sein sollte, erklärt die Rüge nicht.

Das weitere Vorbringen der Rechtsrüge (Z 9 lit a), „selbst nach den (unrichtigen) Feststellungen des Erstgerichts hat das Opfer durch die Vielzahl der oben genannten und festgestellten Handlungen für eine Vermeidung von Geschlechtsverkehr derart kontraproduktiv agiert, dass sie aus dem Schutzzweck der Norm fällt“, lässt neuerlich methodengerechte Ableitung der gewünschten rechtlichen Konsequenz vermissen (RIS‑Justiz RS0116565). Auch die Argumentation, das Opfer wäre „von der Bar weg, bis zur Penetration mit dem Finger, nicht wehrlos“ gewesen und hätte die „ihre Geschlechtsehre bedrohende Lage einfach durch bloßes Weggehen beenden können“, entzieht sich einer meritorischen Erwiderung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde geht nicht – wie aber zur Darstellung materiell‑rechtlicher Nichtigkeit geboten (RIS‑Justiz RS0099810) – von den erstgerichtlichen Feststellungen aus, indem vorgebracht wird, für den Angeklagten hätten sich „selbst unter Zugrundelegung abweisender Worte zwangsläufig widersprüchliche Signale“ ergeben, weshalb man auf die fehlende innere Tatseite schließen müsse.

Das Vorbringen, das Erstgericht hätte „detaillierter feststellen müssen, warum Lilith B***** nach den 'sexuellen Übergriffen' von nun an überzeugt war und auch überzeugt sein durfte, dass ihre Geschlechtsehre nun nicht mehr bedroht ist“, bleibt unverständlich.

Weshalb Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 9 lit b StPO vorliegen sollte, macht der Rechtsmittelwerber nicht klar.

Die Subsumtionsrüge (Z 10) strebt einen Schuldspruch wegen des Vergehens der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung nach § 205a (Abs 1) StGB an, geht dabei aber nicht von den Feststellungen im angefochtenen Urteil aus (RIS‑Justiz RS0099810).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen. Die Entscheidung über die Berufung kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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