OGH 1Ob175/18v

OGH1Ob175/18v21.11.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** G*****, vertreten durch Dr. Maximilian Ellinger und Dr. Günter Ellmerer, Rechtsanwälte in Kufstein, gegen die beklagte Partei Dr. J***** S*****, vertreten durch Dr. Herbert Marschitz und andere Rechtsanwälte, Kufstein, wegen Unterlassung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 5. Mai 2018, GZ 1 R 45/18a‑56, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Kufstein vom 13. Dezember 2017, GZ 2 C 607/14t‑50, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0010OB00175.18V.1121.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 418,78 EUR (darin 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Klägerin und der Beklagte sind grundbücherliche Eigentümer von aneinandergrenzenden Liegenschaften. Der Beklagte fährt zu seinem Grundstück, das nur über einen schmalen Streifen („Zwickel“) des Grundstücks der Klägerin zu erreichen ist, zu. Die Klägerin strebt die Untersagung dieses Verhaltens an; der Beklagte beruft sich auf eine (von seinen Rechtsvorgängern) ersessene Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens.

Das Berufungsgericht sprach im dritten Rechtsgang aus, der Beklagte sei schuldig, das Befahren des Grundstücks der Klägerin außerhalb einer in einer Planbeilage rot eingezeichneten und mit Zufahrt bezeichneten Trasse zu Fahrten, „welche nicht den Zwecken der Heubewirtschaftung, der nicht intensiven (Weide‑)Viehhaltung (nicht: Stallhaltung) und der (Bau‑)Holzbewirtschaftung dienen“, zu unterlassen. „Das/Die Mehr- und Eventualbegehren“, dem Beklagten die Unterlassung des Befahrens des gesamten Grundstücks „in jeglichem (eingeschränkteren) Umfang mit Fahrzeugen“ aufzutragen, wies es ab. Es erachtete sich zur Frage, ob ein Geh‑ und Fahrtrecht ersessen worden sei, insbesondere zur Redlichkeit der Rechtsvorgänger des Beklagten und deren Besitzmittler – wie schon in seinem Aufhebungsbeschluss im zweiten Rechtsgang erörtert – an seine im ersten Rechtsgang erlassene Entscheidung, mit der es die Ersitzung bejaht hatte, gebunden. Nach den Festellungen zu Ausmaß und Umfang der Nutzung durch den Beklagten, der nach seinem Betriebskonzept die Errichtung eines Wirtschaftsgebäudes (mit Schafstall, Schweinestall, Düngerlagerstätte für Schafmist, Heulager, Futterlagerraum, Ab-Hof-Verkaufsstand, Obstlager, Meischanlage, Schnapsbrennerei, Hühnerstall, Güllegrube für Schweine- und Hühnerkot), die Haltung von 30 Legehühnern, 4 Schweinen, 15 Mutterschafen und 35 Lämmern und auch „allfällig“ dort zu wohnen plant, hält dieser derzeit in extensiver Landwirtschaft mehrere Schafe (ca 15 Stück) und fährt mehrmals wöchentlich zu, um sie mit Wasser zu versorgen bzw auch die Koppeln umzustecken. Bis zum Kauf durch den Beklagten war die Trasse nur selten und zwar zu Zwecken der Heubewirtschaftung, der nicht intensiven (Weide‑)Viehhaltung (nicht: Stallhaltung) und (Bau‑)Holzbewirtschaftung befahren worden, während sie von ihm seit seiner Inbesitznahme „jedenfalls exzessiv“ in ihrem Ausmaß überschreitend (und zwar in der Breite und einem weit größeren „Einfahrtstrichter“) in Anspruch genommen wird und seither auch Fahrtspuren deutlich zu sehen sind. Ausgehend davon erachtete das Berufungsgericht das Unterlassungsbegehren im zuvor wiedergegebenen Ausmaß als berechtigt und nahm Wiederholungsgefahr an, weil der Beklagte die ihm zukommende Dienstbarkeit schon eigenmächtig erweitert habe. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands den Betrag von 5.000 EUR nicht aber 30.000 EUR übersteige und dass „mit Blick darauf“, dass sich „ähnliche Auslegungs- und Formulierungsfragen in wohl häufiger vorkommenden Fällen von Intensivierung bisher wenig genutzter land- und forstwirtschaftlicher Flächen stellen“ würden, die ordentliche Revision zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch – nicht zulässig:

1. Der Widerstreit zwischen den Interessen des Berechtigten und jenen des Belasteten einer Dienstbarkeit ist in ein billiges Verhältnis zu setzen (vgl RIS-Justiz RS0011733). Diese gemäß § 484 ABGB vorzunehmende Interessenabwägung ist ebenso wie die Frage des Ausmaßes und Umfangs einer Dienstbarkeit stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig und stellt daher im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS-Justiz RS0011720 [T17]).

2. Die Klägerin, die in ihrer Revision nur ein einziges Judikat (und zwar dazu, dass der Besitz auch durch Besitzmittler ausgeübt werden kann) zitiert, beschäftigt sich mit den vom Berufungsgericht – ohne Beleg als „wohl häufig vorkommend“ angenommenen – Auslegungs- und Formulierungsfragen nicht, wenn sie ohne nähere Argumentation bloß behauptet, es erscheine die vom Berufungsgericht formulierte (und vom Beklagten unbekämpft gelassene) „Einschränkung“ des Fahrtrechts nicht ausreichend, um die „bisherige Bewirtschaftung der Dienstbarkeitstrasse“ durch sie sicherzustellen. Eine solche Bewirtschaftung ist den Feststellungen nicht zu entnehmen, womit die Revisionswerberin nicht vom festgestellten Sachverhalt ausgeht. Ist die Rechtsrüge aber nicht gesetzmäßig ausgeführt (RIS-Justiz RS0043312 [T14]), ist es dem Obersten Gerichtshof verwehrt, auf die damit angesprochene materiell-rechtliche Frage einzugehen (RIS-Justiz RS0043312 [T3]).

3. Weit überwiegend und im Schwerpunkt beschäftigt sich die Revisionswerberin damit, die schon im ersten Rechtsgang vom Berufungsgericht beantwortete Frage der Ersitzung („dem Grunde nach“) wieder aufzugreifen. Auch wenn grundsätzlich das Verfahren durch die Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils durch das Berufungsgericht in den Stand vor Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zurücktritt (RIS‑Justiz RS0042458), können abschließend erledigte Streitpunkte nicht neu aufgerollt werden (vgl RIS‑Justiz RS0042458 [T3]). Die Beantwortung solcher bereits abgeschlossener Fragen kann aufgrund neuen Tatsachenvorbringens nicht mehr in Zweifel gezogen werden (RIS‑Justiz RS0042458 [T5, T6]). Dass hier Tatsachen, die erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtsgang entstanden wären, vorgebracht oder zum Gegenstand des Urteils im zweiten oder dritten Rechtsgang gemacht worden wären (vgl hiezu RIS‑Justiz RS0042458 [T8]), ist nicht der Fall und wird auch gar nicht behauptet. Da es dem Gericht erster Instanz nur außerhalb abschließend erledigter Streitpunkte erlaubt ist, im Rahmen des Ergänzungsauftrags die Feststellungen im zweiten Rechtsgang zu ändern (RIS‑Justiz RS0042458 [T18]; vgl auch RS0042014), kann dem Berufungsgericht auch nicht vorgeworfen werden, es hätte andere als im ersten Rechtsgang getroffene – insoweit überschießende – Feststellungen zur bereits abschließend erledigten Frage der Ersitzung berücksichtigen müssen.

In diesem Verfahren hat das Berufungsgericht bereits in seinem Aufhebungsbeschluss vom 11. 8. 2015 die Ersitzungsfrage insoweit abschließend erledigt, als es eine Ersitzung durch die Rechtsvorgänger des Beklagten im Umfang der bisherigen Nutzung bejahte; offen blieb lediglich die Frage, inwieweit der Beklagte in das Eigentum der Klägerin über die Ausübung des ersessenen Wegerechts hinaus eingegriffen hat, weil ihm nur insoweit die begehrte Unterlassung aufgetragen werden kann.

Weil es aber der Revisionswerberin aufgrund der beiden zuvor und ohne Zulassung eines Rekurses an den Obersten Gerichtshof ergangenen Aufhebungsbeschlüsse bis zu der nun im dritten Rechtsgang ergangenen Entscheidung des Berufungsgerichts verwehrt war, dessen im ersten Rechtsgang vertretene Rechtsansicht zur Ersitzung einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof zuzuführen, könnte sie dies nun – allerdings nur bei Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage – tun. Auf Basis der vom Berufungsgericht damals zugrunde gelegten – allein maßgeblichen (RIS‑Justiz RS0042031) – Tatsachen gelingt ihr dies nicht, wenn sie zwar ein Abweichen von der Rechtsprechung des Höchstgerichts behauptet, sich aber nur auf die unter 2. genannte Entscheidung beruft. Der Standpunkt des Berufungsgerichts, dass dem Beklagten der Nachweis einer (redlichen) Ausübung eines Geh- und Fahrtrechts zu Zwecken der extensiven Heu‑ und Holzbewirtschaftung sowie der intensiven Weideviehhaltung durch mehr als 30 Jahre gelungen ist, hält sich im Rahmen der dazu entwickelten Grundsätze höchstgerichtlicher Rechtsprechung (vgl dazu 3 Ob 232/16p; 5 Ob 61/17g; zur Ersitzung allgemein 3 Ob 40/18f [insb Pkt 4.2]; je mwN).

Auch die Beurteilung, ob (nur für einen bestimmten Zeitraum) bloß prekaristische Nutzung vorliegt oder mit einer bestimmten Besitzausübung die Ersitzung einer Dienstbarkeit fortgesetzt wird, hängt von den konkreten Umständen ab. Darin liegt – abgesehen von einer aus Gründen der Rechtssicherheit zu korrigierenden Fehlbeurteilung, die hier nicht vorliegt – keine erhebliche Rechtsfrage. Die Klägerin ignoriert bei ihrer Argumentation zu einer bloß prekaristischen Einräumung (ab dem Jahr 2006) sämtliche Feststellungen dazu, dass jedenfalls schon seit 1962 das Grundstück des Beklagten vom öffentlichen Weg kommend über jenes der Klägerin bewirtschaftet worden war, sich die dabei zu überquerende Fläche zwar mit der Wegverlegung 1977 vergrößert hatte, aber auch bereits vor 2006 (und zwar ab 1974) der vorhergehende Bewirtschafter mit dem Auto, aber auch manchmal mit Traktor und Anhänger zugefahren war. Das Berufungsgericht begründete jedenfalls vertretbar, warum es in dem Vorfall, als ein Pächter, der im Jahr 2006 aufgrund eines Zuhängens des Zauns zum öffentlichen Gut nicht sicher gewesen war, ob ein Zufahrtsrecht bestünde, nachfragte, ob er zufahren könne, und vom Ehemann der Klägerin die Antwort erhielt, er „könne schon rüberfahren“, keine „veränderten äußeren Umstände“ sah, die die (bisherige) Redlichkeit der Besitzausübung zerstören hätten können. Die Revisionswerberin übersieht vor allem ganz grundsätzlich, dass sie sich während des ersten Rechtsgangs im Verfahren erster Instanz überhaupt nicht auf eine (von ihr zu beweisende: RIS‑Justiz RS0010175 [T2]) Unredlichkeit des Besitzes oder für eine in die mehr als 30-jährige Ausübung des Besitzes fallende Periode auf eine bloß prekaristische Gestattung berufen hatte; ebenso wenig hat sie vorgebracht, auf welche Weise Bestimmungen des Wegregulierungsvertrags den Rechtsvorgängern des Beklagten oder ihren Besitzmittlern überhaupt zur Kenntnis gelangt hätten sein sollen.

4. Einer weitergehenden Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der Klägerin hingewiesen, weshalb ihm der Ersatz der Kosten der Revisionsbeantwortung als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig, zuzuerkennen ist.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte