OGH 6Ob124/18f

OGH6Ob124/18f25.10.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei H***** T*****, vertreten durch Dr. Stefan Schoeller, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagten und gefährdenden Parteien 1. G***** F*****, und 2. K*****, beide vertreten durch die Korn Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung, Widerruf und Feststellung, über den Revisionsrekurs der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 24. April 2018, GZ 4 R 21/18i‑19, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 18. Jänner 2018, GZ 53 Cg 19/17s‑15, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00124.18F.1025.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass sie zu lauten haben:

„Das Sicherungsbegehren, den beklagten und gefährdenden Parteien aufzutragen, ab sofort und bis zur Rechtskraft des über die Unterlassungsklage ergehenden Urteils die Behauptung und/oder Verbreitung der Äußerung, die klagende und gefährdete Partei sei ein ‘Judas‘ und/oder damit sinngleiche Äußerungen zu unterlassen, wird abgewiesen.

Die klagende und gefährdete Partei ist schuldig, den beklagten und gefährdenden Parteien die mit 4.226,49 EUR (darin enthalten 598,93 EUR USt und 633,10 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Provisorialverfahrens erster und zweiter Instanz binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende und gefährdete Partei ist schuldig, den beklagten und gefährdenden Parteien die mit 2.094,52 EUR (darin enthalten 229,84 EUR USt und 715,50 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Ende Juni 2016 wurden gegenüber einem Landesrat im Zusammenhang mit dessen betriebswirtschaftlicher Dissertation aus dem Jahr 2000 Plagiatsvorwürfe erhoben. Diese stellten sich später als zutreffend heraus. In der Folge wurde ihm von der Universität der akademische Grad des Dr. aberkannt. Der Landesrat hatte am Beginn seiner Dissertation folgende Ehrenerklärung abgegeben:

„Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen nicht benützt und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe ...“

Diese Erklärung stellte sich somit als unrichtig heraus. In weiterer Folge trat der Landesrat auch als Obmann des Wirtschaftsbundes S***** zurück. Innerhalb des Wirtschaftsbundes erging, ausgehend vom Wirtschaftsbunddirektor, am 10. 4. 2017 der Aufruf, sich mit dem Landesrat solidarisch zu zeigen und zu diesem Zweck einen an die Mitglieder des Wirtschaftsbundes S***** gerichteten vorformulierten Brief zu unterzeichnen. Auch der Kläger als Spartenobmann hätte diesen Brief unterzeichnen sollen.

Die Funktionäre, die in diesem Briefentwurf als Unterzeichner angeführt sind, wurden gefragt, ob sie dem Schreiben zustimmen. Der Kläger sagte auf die diesbezügliche Anfrage des Wirtschaftsbunddirektors aber nicht pauschal zu, den Brief mitzuunterzeichnen, sondern forderte stattdessen eine Sitzung, um die Vorwürfe gegen den Landesrat intern zu diskutieren und zu prüfen. Seiner Ansicht nach sollte der Landesrat den Bescheid offen legen, um dann über die Maßnahmen sinnvoll diskutieren zu können, zumal seiner Ansicht es in der Republik Österreich nicht oft vorkomme, dass ein Doktortitel aberkannt werde. Der Wirtschaftsbunddirektor lehnte eine solche Sitzung ab und verwies den Kläger auf einen Jour fixe am folgenden Freitag. Ein Jour fixe ist nicht beschlussfähig, dem Kläger war es allerdings wichtig, eine beschlussfähige Sitzung abzuhalten. Von einer anderen Form des Zusammentreffens mit Beschlussfähigkeit, etwa die vom Wirtschaftsbunddirektor angesprochene Landesleitungssitzung oder Präsidiumssitzung, wusste der Kläger nichts, diese wurde ihm gegenüber auch nicht erwähnt. Es ging dem Kläger lediglich darum, die Vorwürfe zu besprechen und zu prüfen und sich mit den betroffenen Personen, also denen, die auf dem Brief aufscheinen, abzusprechen. Der Kläger erklärte gegenüber dem Wirtschaftsbunddirektor, dass er den Brief derzeit nicht unterschreiben könne. Daraufhin strich der Wirtschaftsbunddirektor den Namen des Klägers vom Briefentwurf.

Am 11. 4. 2017 wurde vom Wirtschaftsbund die Solidaritätsbekundung laut dem Briefentwurf ohne den Namen des Klägers an die Mitglieder des ***** Wirtschaftsbundes versandt.

Der Kläger besprach sich auch mit anderen Persönlichkeiten des Wirtschaftsbundes, die meinten, eine Sitzung wäre sinnvoll.

Der Kläger ist Obmann der größten Sparte, nämlich der Sparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer S*****. An der Spitze der Wirtschaftskammer stehen der Präsident mit zwei Vizepräsidenten. Die Kammer ist in sieben Sparten aufgeteilt.

Der Kläger fühlt sich als Spartenobmann den Landesinnungsmeistern seiner Sparte gegenüber verantwortlich und wollte daher ohne Rücksprache mit diesen einen solchen Brief nicht unterzeichnen.

Am 12. 4. 2017 verfasste der Kläger einen Brief, den er den 21 Landesinnungsmeistern seiner Sparte zukommen ließ. Darin erklärte er, warum er den vom Wirtschaftsbund versandten Solidaritätsbrief nicht unterzeichnen konnte bzw wollte.

Verschiedene Medien erhielten offenbar die Aussendungen des Wirtschaftsbundes und des Klägers, woraufhin zahlreiche Anfragen an diesen gerichtet wurden, warum er die Aussendung des Wirtschaftsbundes nicht mittrage. Der Kläger betonte dabei, dass es ihm ausschließlich um die Glaubwürdigkeit und Moral in der Politik gehe und dass in seinen Augen jemand, der eine Ehrenerklärung abgebe, danach aber de facto der Lüge überführt werde, ein Glaubwürdigkeitsproblem habe.

Der Kläger forderte als Privatperson und nicht in seiner Eigenschaft als Spartenobmann auch den Rücktritt des Landesrats. Es ginge aber nie um diesen direkt, wie der Kläger auch in einem Interview mit der APA betonte, sondern er hätte den Rücktritt auch bei jedem anderen gefordert.

Am 25. 4. 2017 erschien in der Tageszeitung deren Medieninhaberin die Zweitbeklagte ist, ein vom erstbeklagten Journalisten verfasster Artikel mit folgendem Wortlaut:

Causa B***** und kein Ende

Spartenobmann geht es an den Kragen

Die Causa B ***** hat Nebenwirkungen, da braucht man sich nicht einmal bei seinem Arzt oder Apotheker darüber informieren …

Ganz sicher bald einmal für [Kläger], Fußpfleger und Masseur, Obmann der Sparte Gewerbe in der Wirtschaftskammer, der dort nie wirklich viele Freunde gehabt hat. Seit er sich allerdings in den Medien für den Rücktritt von C***** B***** stark gemacht hat, ist er überhaupt Persona non grata, Verräter, Aussätziger, Judas– alles Original-Töne von WK-Fuktionären – in einer Person …

Und auch ihm wird, davon kann man ausgehen, in der Kammer-Funktion kein sehr langes Leben mehr beschieden sein – das behaupten zumindest die stets gut informierten Kreise. Es kursiert bereits eine Unterschriftenliste, die den Rücktritt [des Klägers] ‘aus allen Funktionen‘ fordert.

Initiator der Aktion ist H***** S*****, der Landesinnungsmeister der Dachdecker-Glaser-Spengler, der die ‘moderne Hetzjagd mehr als abscheulich‘ empfand, sich durch den medialen Alleingang [des Klägers] ‘hintergangen und verraten‘ fühlt.

Schon im Vorfeld soll es – zuletzt bei einer Landesleitungs-Sitzung im Wirtschaftsbund – ‘Keks mit Stahlkanten‘ gegeben haben. Mehrere Sparten-Obleute hatten [dem Kläger] nahe gelegt, sich zu überlegen, ob in der Gemeinschaft noch Platz für ihn sei. Und Präsident J***** H***** hatte (lautstark) die Illoyalität des Funktionärs gegeißelt.“

Als dieser Artikel veröffentlicht wurde, kontaktierte der Kläger den Landesinnungsmeister der Dachdecker-Glaser-Spengler, um ihn zur angeblich kursierenden Unterschriftenliste zu befragen. Eine derartige Liste war dem Kläger bis zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht bekannt, wobei man innerhalb der Wirtschaftskammer eigentlich nichts geheim halten kann.

Vom Erstbeklagten wurde der Kläger nicht kontaktiert, um ihn zur Sache des Landesrats oder den im Artikel anonym zitierten Äußerungen zu befragen.

Zur Sicherung seines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs beantragte der Kläger die Erlassung der einstweiligen Verfügung, den Beklagten werde die Behauptung und/oder Verbreitung der (oder einer sinngleichen) Äußerung verboten, dass er ein „Judas“ sei. Er brachte vor, er habe niemanden verraten. Vielmehr sei es ihm um die Glaubwürdigkeit in der Politik und um eine Rücktrittskultur gegangen. Die Verbreitung der angeblichen Äußerung, er sei ein „Judas“, sei ehrenrührig und kreditschädigend.

Die Beklagten wendeten ein, der Kläger habe medial eine politische Debatte über den Rücktritt jenes Dritten entfacht. Nun werde er selbst kritisiert und zum Rücktritt aufgefordert. Der Erstbeklagte habe daraufhin herumtelefoniert und von verschiedenen, ihm sehr gut bekannten Personen innerhalb der Wirtschaftskammer, die er nicht nennen könne, die inkriminierten Vorwürfe, unter anderem „Judas“, vernommen. Er habe nur neutral zitiert und sich damit nicht identifiziert. Die bloß anonyme Wiedergabe mache im gegenständlichen Fall keinen Unterschied, da dem Kläger die Urheber der zitierten Äußerungen bekannt seien.

Das Erstgericht erließ die beantragte einstweilige Verfügung.

Das Rekursgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung und führte aus, der Begriff „Judas“ sei (keine Tatsachenbehauptung, sondern) ein Werturteil. Unter diesem Begriff verstehe man im allgemeinen Sprachgebrauch jemanden, der treulos an jemandem handle, ihn verrate, was ua mit den Bezeichnungen „Verräter, (Ver)Naderer“ gleichgesetzt werde. Jemanden als „Judas“ zu bezeichnen, sei ehrenrührig. Solange bei wertenden Äußerungen die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschritten würden, also kein Wertungsexzess vorliege, sei auch bei massiver, in die Ehre eines anderen eingreifender Kritik insbesondere zu beachten, ob sie sich an konkreten Fakten orientiere, sie also zumindest auf einem wahren Tatsachenkern beruhe. Ob ein Wertungsexzess vorliege, könne aber dahingestellt bleiben. Das Besondere des vorliegenden Falls sei nämlich, dass die Beklagten gar nicht selbst die Wertung vorgenommen hätten, der Kläger sei aufgrund seines in Rede stehenden Verhaltens als „Judas“ zu bezeichnen. Nur dann, wenn sie solches als ihre eigene Meinung artikuliert hätten, wäre deren Deckung durch die Meinungsfreiheit zu erörtern; sie hätten vielmehr die Bezeichnung des Klägers als „Judas“ als Zitate nicht genannter Dritter ausgegeben. Es stehe aber nicht einmal fest, dass es sich tatsächlich um Zitate handle. Dem Persönlichkeitsinteresse des Klägers auf Wahrung seiner Ehre stehe daher kein erkennbares Interesse der Beklagten daran gegenüber, die nicht bescheinigten ehrenrührigen Zitate zu verbreiten.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zu, weil oberstgerichtliche Judikatur dazu fehle, ob die Interessenabwägung nach § 1330 Abs 1 ABGB im Fall eines beleidigenden anonymen angeblichen Zitats jedenfalls zu Lasten des Äußernden vorzunehmen sei oder ob auch die allenfalls gerechtfertigte Perspektive eines fiktiven Äußernden in die Beurteilung einfließe.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der vom Kläger beantwortete Revisionsrekurs der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass der Sicherungsantrag abgewiesen werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Die Beklagten machen im Revisionsrekurs geltend, für die Leser des Artikels stelle sich die beanstandete Äußerung als Zitat und nicht als eigene Äußerung der Beklagten dar, zumal sich diese mit den zitierten Äußerungen nicht identifiziert hätten. Diese Wiedergabe als Zitat nehme den Beklagten nicht die Möglichkeit, die Bezeichnung „Judas“ als zulässige Wertung im Licht des Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung gemäß Art 10 EMRK zu verwenden. Die Auffassung des Rekursgerichts liefe darauf hinaus, dass ein und dieselbe Äußerung einmal als zulässige Wertung im politischen Meinungskampf qualifiziert werden könnte, sofern und solange sie – ob zu Recht oder zuUnrecht – als eigene Äußerung des Mediums dargestellt werde, jedoch in dem Moment jedenfalls unzulässig würde, in dem sie als Meinung Dritter wiedergegeben werde. Zwar handle es sich hier nicht um den „klassischen Fall“ eines im Sinn der Zitatenjudikatur zulässigen Zitats, weil der Zitierte nicht namentlich genannt werde. Hier stehe aber fest, dass man innerhalb der Wirtschaftskammer nichts geheim halten könne. Die allfälligen Urheber der zitierten Äußerungen seien somit für den Kläger nachvollziehbar. Ein Wertungsexzess liege nicht vor.

Der Kläger bringt in der Revisionsrekursbeantwortung vor, Werturteile, die auf einem unwahren Tatsachensubstrat fußten, rechtfertigten niemals eine Berufung auf das Recht auf Meinungsfreiheit. Der Kläger habe niemanden verraten, weshalb die Bezeichnung „Judas“ nicht gerechtfertigt sei. Ob die Leser des Artikels die beanstandete Äußerung als Zitat verstünden, sei irrelevant, weil gar nicht feststehe, dass es sich um ein Zitat handle. Dass man in der Wirtschaftskammer nichts geheim halten könne, nütze dem Kläger nichts und rechtfertige die Äußerung im Sinne der Zitatenjudikatur nicht, weil es kein Wirtschaftskammerfunktionär zugeben werde, die Äußerung getätigt zu haben.

Hierzu wurde erwogen:

1. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Bezeichnung des Klägers als „Judas“ sei ein Werturteil, ist zutreffend und im Revisionsrekursverfahren unstrittig.

2.1. Nach Art 10 Abs 1 MRK hat jedermann Anspruch auf freie Meinungsäußerung. Geschützt im engeren Sinn ist die Weitergabe von Meinungen; insbesondere die freie Äußerung und Mitteilung von Meinungen, Informationen und Ideen. Diese Bestimmung steht im Verfassungsrang. Obwohl die Pressefreiheit in Art 10 MRK nicht ausdrücklich erwähnt ist, bildet sie einen selbständigen Teil des sachlichen Schutzbereichs dieser Norm (6 Ob 266/06w; vgl auch Grabenwarter/Pabel , Europäische Menschenrechtskonvention 6 § 23 Rz 2, 3; Röggla/Wittmann/Zöchbauer , Medienrecht, Art 10 EMRK 184; Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer , EMRK 4 Art 10 Rz 16 ff).

2.2. Bei der Abgrenzung zwischen übler Nachrede und Ehrenbeleidigung einerseits und zulässiger Kritik bzw Werturteil andererseits ist auch eine Interessenabwägung vorzunehmen, wobei auf das Recht der freien Meinungsäußerung Bedacht genommen werden muss (RIS-Justiz RS0031672). Für die Abgrenzung zwischen ehrenbeleidigender Rufschädigung einerseits und zulässiger Kritik und Werturteil andererseits ist die Art der eingeschränkten Rechte, die Schwere des Eingriffs, die Verhältnismäßigkeit zum verfolgten Zweck, der Grad der Schutzwürdigkeit des Interesses aber auch der Zweck der Meinungsäußerung entscheidend (RIS-Justiz RS0054817 [T30]). Solange bei wertenden Äußerungen die Grenzen zulässiger Kritik nicht überschritten werden, kann auch massive, in die Ehre eines anderen eingreifende Kritik, die sich an konkreten Fakten orientiert, zulässig sein (RIS-Justiz RS0054817).

2.3. Auf unwahren bzw nicht hinreichenden Tatsachenbehauptungen beruhende negative Werturteile oder Wertungsexzesse fallen nicht unter den Schutzbereich des Art 10 MRK und sind daher nicht zulässig (RIS-Justiz RS0107915; RS0075601; RS0032201; RS0054817 [T3]; Kissich in Kletečka/Schauer , ABGB-ON 1.04 § 1330 Rz 41). Angesichts der heutigen Reizüberflutung sind aber selbst überspitzte Formulierungen unter Umständen hinzunehmen, soweit kein massiver Wertungsexzess vorliegt (RIS-Justiz RS0031883 [T33]).

2.4. Die Rechtswidrigkeit kann im Einzelfall dann ausgeschlossen sein, wenn für das Handeln oder Unterlassen ein besonderer Rechtfertigungsgrund vorlag. Ein solcher Rechtfertigungsgrund muss sich im Wege einer Interessenabwägung aus weiteren Geboten oder Verboten der gesamten Rechtsordnung gewinnen lassen. Bei der gebotenen umfassenden Interessenabwägung kommt es auf die Art des Eingriffs, die Verhältnismäßigkeit am verfolgten Recht und den Grad der Schutzwürdigkeit dieses Interesses an (RIS‑Justiz RS0031657 [T5]). Als Rechtfertigungsgründe werden in der Rechtsprechung § 1330 Abs 2 dritter Satz ABGB, medienrechtliche Regelungen nach § 6 MedienG, das Interesse der Öffentlichkeit an einer ordnungsgemäßen Rechtspflege und damit im Zusammenhang die Ausübung eines Rechts (Prozesshandlungen, Anzeigen), die Ausübung eines öffentlichen Mandats, Art 17a StGG und insbesondere auch Art 10 MRK angesehen (RIS-Justiz RS0031657 [T6]; RS0008987 [T10]).

2.5. Dabei sind die Grenzen der zulässigen Kritik bei Politikern und generell bei Personen des öffentlichen Lebens weiter zu ziehen als bei Privatpersonen (RIS-Justiz RS0082182). Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist großzügig auszulegen, wenn es um zur Debatte stehende politische Verhaltensweisen geht (RIS-Justiz RS0082182 [T7]). Im Interesse einer freien, demokratischen Diskussion muss Kritik erlaubt sein; sie muss allerdings in einer Form vorgebracht werden, die das absolut geschützte Recht auf Ehre nicht verletzt, und, sofern sie einen nachprüfbaren Tatsachenkern enthält, auch erweislich wahr sein (RIS-Justiz RS0082182 [T5]). Weil Politiker erhöhter Kritik unterworfen sind, soweit sie in öffentlicher Funktion handeln, genügt im Rahmen politischer Auseinandersetzung bereits ein „dünnes Tatsachensubstrat“ für die Zulässigkeit einer Wertung (RIS‑Justiz RS0127027). Eine in die Ehre eingreifende politische Kritik auf Basis unwahrer Tatsachenbehauptungen verstößt aber gegen § 1330 ABGB (RIS-Justiz RS0082182 [T6]).

2.6. Die für Politiker geltenden Grundsätze wurden von der Rechtsprechung in der Folge allgemein auf Personen, uzw auch Privatpersonen und private Vereinigungen erweitert, sobald sie die politische Bühne (die Arena der politischen Auseinandersetzung) betreten (RIS‑Justiz RS0115541), so zB auf Journalisten (RIS-Justiz RS0115541 [T5]), generell auf Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Teilnehmer an einer im allgemeinen Interesse gelegenen öffentlichen Debatte (RIS-Justiz RS0115541 [T21]) sowie Wissenschaftler, die sich als Autoren von Beiträgen in Tageszeitungen oder durch das Halten von Vorträgen an einer öffentlichen Debatte beteiligen (RIS-Justiz RS0115541 [T22, T23]). Gleiches wurde auch in Bezug auf die Vertreterin einer NGO ausgesprochen, die deren Ziele öffentlich fördert und über Jahre in den Medien präsent ist (RIS-Justiz RS0115541 [T24]). Auch die Ärztekammer kann als in der Öffentlichkeit auftretende gesetzlich eingerichtete Interessenvertretung durchaus als „politische Akteurin“ angesehen werden (RIS-Justiz RS0115541 [T35]). Der Grundsatz, wonach bei Kritik an Politikern ein großzügigerer Maßstab anzulegen ist (vgl RIS‑Justiz RS0054817), wurde auch bereits im Zusammenhang mit der Kritik an Vereinsorganen angewendet (1 Ob 117/99h). Auch Funktionäre von Gewerkschaften und andere Interessenvertreter werden als Politiker in diesem Sinne verstanden ( Grabenwarter/Pabel , Europäische Menschenrechtskonvention 6 § 23 Rz 29).

2.7. Der Schutz journalistischer Quellen ist ein Eckpfeiler der Pressefreiheit. Ohne einen solchen Schutz können diese Quellen davon abgehalten werden, die Presse über Angelegenheiten von öffentlichem Interesse zu informieren, wodurch die Rolle der Presse als public watchdog beeinträchtigt werden könnte (RIS-Justiz RS0125986). Journalisten sind nicht verpflichtet, sich systematisch und förmlich vom Inhalt eines Zitats zu distanzieren, das andere beleidigen oder provozieren oder ihren guten Ruf schädigen könnte, da eine solche Verpflichtung mit der Aufgabe der Presse, Informationen über laufende Ereignisse, Meinungen und Ideen zu verbreiten, nicht zu vereinbaren wäre (RIS-Justiz RS0126037; vgl auch Grabenwarter/Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention6 § 23 Rz 49; Röggla/Wittmann/Zöchbauer, Medienrecht, Art 10 EMRK 186). Die Interessenabwägung muss regelmäßig schon dann zugunsten der Berichterstattung ausfallen, wenn nicht überwiegende Gründe deutlich dagegen sprechen, ist doch die Einschränkung der verfassungsrechtlich geschützten Meinungsfreiheit andernfalls nicht im Sinne des Art 10 Abs 2 MRK ausreichend konkretisiert (RIS-Justiz RS0008990 [T8, T16]). Insbesondere bei Debatten von allgemeinem Interesse haben die Gerichte nur einen engen Ermessensspielraum; vor allem wenn es sich um Beiträge in der aktuellen Berichterstattung handelt, die regelmäßig unter Zeitdruck entstehen (Röggla/Wittmann/Zöchbauer, Medienrecht, Art 10 EMRK 192).

3.1. Der Kläger ist Obmann der größten Sparte der Wirtschaftskammer S*****. Aufgrund seiner Stellung in der Öffentlichkeit ist im Sinne der in den Punkten 2.5. und 2.6. dargestellten Rechtsprechung ein großzügiger Maßstab anzulegen.

3.2. Die inkriminierte Äußerung fiel im Zusammenhang mit einer offen gelegten und als im Tatsachenkern zutreffenden Sachverhaltsgrundlage, nämlich dass der Kläger den Rücktritt des Landesrats gefordert hat.

3.3. Dem durchschnittlichen Leser wird durch diesen Artikel vor Augen geführt, dass diese „Causa“ innerhalb der Wirtschaftskammer differenziert beurteilt wird, wobei der Kläger das Fehlverhalten des Landesrats klar verurteilt, während die andere Seite sich verpflichtet fühlt, Solidarität zu zeigen. Die Medienkonsumenten können hier selbst beurteilen, ob sie aufgrund der mitübermittelten Tatsachen der im Zeitungsartikel vorgenommenen Wertung beitreten oder sich eine abweichende Meinung bilden wollen (so schon 6 Ob 162/12k).

3.4. Zusammengefasst gibt hier der erstbeklagte Journalist erkennbar nicht seine eigene Meinung, sondern (auch bei der Verwendung der inkriminierten Äußerung) die Stimmungslage in der „Causa“ (insbesondere in der Wirtschaftskammer) wieder. Dabei handelt es sich nach den unter Punkt 2. dargestellten Grundsätzen insgesamt um eine der Meinungsäußerungsfreiheit unterliegende journalistische Tätigkeit. Ein Wertungsexzess ist nicht gegeben. Ob ein „korrektes“ Zitat vorliegt, ist unter diesem Gesichtspunkt nicht entscheidend, weshalb auf die Ausführungen der Parteien zur Zitatenjudikatur nicht eingegangen werden muss.

4. Das Sicherungsbegehren ist daher schon aus den dargestellten Gründen nicht berechtigt.

5. Die Kostenentscheidungen gründen sich auf die § 402 Abs 4, § 78 EO und §§ 41 (und 50) ZPO. Die Klagebeantwortung ist im Provisorialverfahren nicht zu honorieren, worauf der Kläger in seinen Einwendungen hingewiesen hat.

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