OGH 11Os86/18h

OGH11Os86/18h28.8.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. August 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Wieser als Schriftführerin in der Strafsache gegen H***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 4. April 2018, GZ 15 Hv 125/17y‑26, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0110OS00086.18H.0828.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde H***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (A./1./ und A./2./), der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (B./1./ und B./2./) und der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 2 StGB (C./) schuldig erkannt.

Danach hat er

A./ mit unmündigen Personen den Beischlaf und dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, und zwar

1./ zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt zwischen 2001 und 4. August 2003 an einem nicht näher bekannten Ort des Bundesgebiets auf der Liegefläche in einem LKW mit der ***** 1993 geborenen C*****, indem er sie vaginal mit seinem Penis penetrierte und auf ihren Bauch ejakulierte;

2./ in zwei Angriffen zu nicht näher bekannten Zeitpunkten im Zeitraum Mai 2005 bis Mai 2007 in B***** mit der ***** 1999 geborenen J*****, indem er ihr zumindest einen Finger in ihre Scheide einführte und im ersten Fall sie einige Minuten massierend zu stimulieren versuchte, im zweiten Fall Auf- und Abbewegungen durchführte;

B./ außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen an unmündigen Personen vorgenommen bzw [von unmündigen Personen] an sich vornehmen lassen, und zwar

1./ zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Sommer 2003 oder 2004 in K***** während eines Familienurlaubs an der ***** 1993 geborenen C*****, indem sie über seine Anweisung seinen nackten Penis betastete;

2./ zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Zeitraum August 2014 bis November 2014 in S***** an der ***** 2004 geborenen V*****, indem er sich zu ihr ins Bett legte, seine Hand unter ihr T-Shirt schob und ihre nackte, bereits entwickelte Brust intensiv betastete und streichelte;

C./ durch die zu A./1./ bis A./2./ näher bezeichneten Tathandlungen mit minderjährigen Personen, die seiner Aufsicht unterstanden, unter Ausnützung dieser Stellung gegenüber diesen Personen geschlechtliche Handlungen vorgenommen oder an sich vornehmen lassen.

 

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a, 9 lit a und 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) zuwider steht der Umstand, dass die Zeugin C***** (zu A./1./) nicht beantworten konnte, in welchem Zustand sich der Penis des Angeklagten zum Vorfallszeitpunkt befand, zur festgestellten Penetration (US 3) in keinem erörterungsbedürftigen Widerspruch (RIS‑Justiz RS0098646 [T8]). Abgesehen davon haben die Tatrichter erkennbar auch diesen Umstand nicht unberücksichtigt gelassen, sondern in die Würdigung der „detailarmen“ Angaben der Zeugin zum Tathergang und ihre darauf bezogenen Erwägungen zur stattgefundenen Verdrängung des traumatischen Erlebnisses einbezogen (US 8 f).

Das Erstgericht hat die leugnende Verantwortung des Angeklagten erörtert und dargelegt, aus welchen Gründen es dieser insgesamt nicht zu folgen vermochte (US 13 ff). Zu einer gesonderten Auseinandersetzung mit einzelnen – von der Beschwerde relevierten – Details dieser Einlassung bestand daher unter dem Aspekt von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) keine Verpflichtung (RIS‑Justiz RS0098642 [T1]).

Mit dem Vorbringen, die Mitnahme der C***** in einem LKW (A./1./; US 3, 6, 8 ff) finde in den Aussagen der Zeugen J*****, V*****, M*****, Bianca „K*****“ (erkennbar gemeint: Ko*****) und Simone L***** „keine Deckung“, wird ein Begründungsmangel im Sinn des § 281 Abs 1 Z 5 StPO nicht aufgezeigt.

Der gegen die Annahme der Glaubhaftigkeit der Angaben der C***** (US 8 ff) gerichtete Einwand übersieht, dass die tatrichterliche Beurteilung der Überzeugungskraft von Personalbeweisen – soweit sie nicht undeutlich (Z 5 erster Fall) oder in sich widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) ist – einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entzogen ist (RIS‑Justiz RS0106588 [T1, T13]).

Ebensowenig ist eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) darin zu erblicken, dass das Schöffengericht von einer „offenkundigen“ und „offensichtlichen“ Verdrängung von Details des Vorfalls ausging, als es die Feststellungen zu A./1./ auf die Aussage der C***** stützte, bei welcher vom Angeklagten (erst) im vorliegenden Rechtsmittel eingeforderte Fragen nicht gestellt worden waren (US 8 f; vgl ON 16 S 3 ff).

Im Zusammenhang mit dem Vorwurf, das Schöffengericht habe es unter Verletzung seiner Pflicht zur amtswegigen Wahrheitsforschung unterlassen, die genannte Zeugin selbst „näher“ zu befragen, führt die Aufklärungsrüge (Z 5a) aus (vgl RIS-Justiz RS0115823), ein Antrag (§ 55 StPO) auf Ladung und unmittelbare Vernehmung derselben in der Hauptverhandlung wäre nicht zielführend gewesen, weil sie schon im Rahmen ihrer kontradiktorischen Vernehmung im Ermittlungsverfahren erklärt hatte, in der Hauptverhandlung nicht mehr aussagen zu wollen (ON 16 S 14), und sich seit dieser Vernehmung keine neuen Umstände ergeben hätten (vgl RIS-Justiz RS0128501). Wodurch aber der Angeklagte bei der in seiner Anwesenheit und im Beisein eines Verteidigers erfolgten Vernehmung (§ 165 StPO) (schon) damals gehindert war, von seinem Recht auf Befragung der Zeugin (§ 165 Abs 2 StPO) im gewünschten Umfang effektiv Gebrauch zu machen, lässt die Beschwerde offen (vgl aber 15 Os 123/12w).

Mit Kritik an der Art der Befragung der C***** sowie an deren als „detailarm“ und „widersprüchlich“ bezeichneter Aussage gelingt es der Beschwerde ebensowenig, beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken (Z 5a) gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen (zu A./1./ und B./1./) hervorzurufen, wie mit der Behauptung, das Schöffengericht habe sich keinen (unmittelbaren) persönlichen Eindruck von der genannten Zeugin verschaffen können (vgl zudem RIS‑Justiz RS0099649 [T17]). Bleibt in diesem Zusammenhang noch darauf hinzuweisen, dass das Protokoll über deren kontradiktorische Vernehmung (§ 165 StPO) – sogar mit Zustimmung des Angeklagten – gesetzeskonform (§ 252 Abs 1 Z 2a StPO iVm § 156 Abs 1 Z 2 StPO und § 252 Abs 1 Z 4 StPO) in der Hauptverhandlung verlesen wurde. Darüber hinaus wurde eine (gemäß § 165 Abs 1 StPO) angefertigte Ton- und Bildaufnahme dieser Vernehmung auszugsweise vorgeführt (§ 252 Abs 1 StPO), ohne dass danach – trotz ausdrücklicher Nachfrage des Vorsitzenden – ein Antrag auf die Wiedergabe weiterer Passagen derselben gestellt wurde (ON 25 S 23).

Zu C./ (iVm A./2./) behauptet die Beschwerde einen Rechtsfehler mangels Feststellungen zur subjektiven Tatseite (nominell Z 9 lit a; zufolge Tateinheit mit A./2./ der Sache nach Z 10), übergeht dabei aber die Feststellungen, wonach der Angeklagte, der damals mit der Mutter ein mehrjähriges außereheliches Verhältnis führte (US 3 f) und einmal allein bei deren Kindern blieb, beschloss, „in Ausnutzung seiner Stellung als Autoritätsperson J***** schwer sexuell zu missbrauchen“ (US 4), dabei „wusste, dass die digitale Vaginalpenetration eine geschlechtliche Handlung darstellt“ und er „diese unter Ausnützung seiner Autoritätsstellung und seiner Aufsichtsposition an ihr vornehmen“ wollte (US 5). Damit orientiert sich die Rechtsrüge der Verfahrensordnung zuwider nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS‑Justiz RS0099810). Weshalb diese Annahmen undeutlich (Z 5 erster Fall) sein sollen, macht die insoweit (isoliert) bloß auf die erste Passage Bezug nehmende Rüge nicht klar.

Die gegen den Schuldspruch B./2./ gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) behauptet unter Hinweis auf eine Stelle im Schrifttum (Philipp in WK2 StGB § 207 Rz 21) einen Rechtsfehler mangels Feststellung einer „geschlechtlichen Handlung“. Sie legt aber nicht dar, weshalb im konkreten Fall das – mit auf die Vornahme einer „geschlechtlichen Handlung“ gerichtetem Vorsatz erfolgte – Massieren und Kneten der „bereits entwickelten Brust“ der „bereits in der Pubertät“ befindlichen und als „frühreif“ eingestuften (zur Tatzeit zehnjährigen) V***** (US 5, 16) nicht den objektiven Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB erfüllen soll (RIS‑Justiz RS0094936 [T11, T15]), und verfehlt somit eine prozessordnungskonforme Darstellung (RIS‑Justiz RS0099810). Im Übrigen verkennt der Rechtsmittelwerber, dass selbst bei Nichtannahme eines zur Tatzeit bereits eingetretenen Pubertätsbeginns beim fast 11 Jahre alten Tatopfer angesichts der weiteren Umstände des Falles Deliktsbegehung durch (bloß relativ untauglichen) Versuch anzunehmen wäre (vgl 12 Os 32/11i; RIS‑Justiz RS0090077), der angesprochene Umstand sohin nicht subsumtionsrelevant ist (13 Os 86/16w, RIS‑Justiz RS0122138).

Der auf die erwähnten Feststellungen bezogene Einwand der Undeutlichkeit (Z 5 erster Fall) betrifft somit im Gegenstand auch keinen entscheidenden Umstand (RIS‑Justiz RS0106268).

Die Behauptung, die erschwerende Wertung des Zusammentreffens mehrerer Verbrechen und Vergehen „über einen langen Deliktszeitraum“ (US 16) sei im vorliegenden Fall angesichts des Fehlens einer Konkretisierung der Zeitpunkte der Tatbegehung zu A./1./, A./2./ und B./2./ unzulässig (Z 11 zweiter Fall), wendet sich gegen das Gewicht des Erschwerungsumstands des § 33 Abs 1 Z 1 StGB und stellt somit bloß ein Berufungsvorbringen dar.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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