OGH 13Os61/18x

OGH13Os61/18x27.6.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Juni 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Sinek als Schriftführerin in der Strafsache gegen Sead H***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 4. Dezember 2017, GZ 21 Hv 5/17a‑18, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0130OS00061.18X.0627.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Sead H***** mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (1), mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (2) und des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach §§ 15, 205 Abs 1 StGB (3) schuldig erkannt.

Danach hat er in U***** und R*****

(1) vom Sommer 2011 bis zum 6. September 2013 mit der am ***** geborenen I***** Ö***** in zahlreichen Angriffen eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen, indem er einen Finger in die Scheide der Unmündigen einführte

(2) vom Sommer 2011 bis zum Frühjahr 2017 mit seiner minderjährigen Enkelin I***** Ö***** geschlechtliche Handlungen vorgenommen, indem er wiederholt ihre Brüste küsste und betastete und einen Finger in ihre Scheide einführte, und

(3) I***** Ö***** im Jahr 2015 unter Ausnützung eines wehrlosen Zustands, nämlich als sie schlief, zu missbrauchen versucht, indem er sich nackt auf sie legte und sich bemühte, den Beischlaf zu vollziehen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Der Verfahrensrüge (Z 4, nominell verfehlt auch Z 5) zuwider wies das Erstgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens zum Nachweis der „phantastischen Veranlagung“ der Zeugin I***** Ö***** (ON 17 S 16) zu Recht ab (ON 17 S 17), weil die Glaubwürdigkeit von Beweismitteln gemäß § 258 Abs 2 erster Satz StPO vom erkennenden Gericht zu beurteilen ist. Die Hilfestellung durch einen Sachverständigen kommt dabei nur ausnahmsweise, etwa bei Entwicklungsstörungen oder geistigen Defekten unmündiger oder jugendlicher Zeugen, in Betracht (RIS‑Justiz RS0120634). Indizien dafür, dass die Zeugin vom normalen Erscheinungsbild ihrer Altersstufe abweichende Züge und Eigenschaften aufweisen würde, die ihre volle Wahrnehmungsfähigkeit, Mitteilungsfähigkeit oder Aussageehrlichkeit in Frage stellen könnten, wurden im Antrag aber nicht dargetan.

Die in der Nichtigkeitsbeschwerde nachgetragenen Argumente als Versuch einer Antragsfundierung sind aufgrund des Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618).

Die vom Beschwerdeführer behauptete mangelhafte Begründung des den Antrag abweisenden Beschlusses steht nicht unter Nichtigkeitssanktion (RIS‑Justiz RS0116749).

Aktenwidrigkeit im Sinn der Z 5 fünfter Fall des § 281 Abs 1 StPO liegt dann vor, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt (RIS‑Justiz RS0099431). Indem die Mängelrüge kein derartiges

Fehlzitat behauptet, entfernt sie sich somit von der angesprochenen Anfechtungskategorie.

Nach den Feststellungen kam es im mehrjährigen Tatzeitraum wiederholt zu sexuellen Übergriffen, wobei der Angeklagte der Unmündigen jedes Mal auch einen Finger in die Scheide einführte (US 3). Soweit die Mängelrüge in Bezug auf die Penetration die Feststellung „jedes Mal“ moniert, verfehlt sie den in einer entscheidenden Tatsache gelegenen Bezugspunkt der Anfechtung. Ob der Angeklagte der Unmündigen bei jedem einzelnen der Angriffe auch einen Finger in die Scheide einführte (US 3), ist nämlich mit Blick auf den Schuldspruch wegen einer unbestimmten Zahl von Verbrechen nach § 206 Abs 1 StGB (1) für die Lösung der Schuld- und der Subsumtionsfrage nicht von Bedeutung. Soweit die Rüge damit der Sache nach lediglich eine weitere Verurteilung nach §§ 15, 206 Abs 1 StGB anstrebt, ist das Rechtsmittel – entgegen § 282 StPO – zum Nachteil des Angeklagten ausgeführt.

Das Erstgericht leitete die Feststellungen zur objektiven Tatseite hinsichtlich der Schuldsprüche 1) und 2) aus den für glaubwürdig befundenen Angaben der Zeugin Ö***** ab (US 6). Davon ausgehend wurde die leugnende Verantwortung des Angeklagten von den Tatrichtern als widerlegt angesehen (US 5). Diese Ableitung ist – entgegen dem Einwand offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) – unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.

Soweit die Mängelrüge (Z 5) keine die Aufrichtigkeit der Zeugin Ö***** in Frage stellenden, gleichwohl unerörtert gebliebenen Tatumstände (Z 5 zweiter Fall) aufzeigt (vgl dazu RIS‑Justiz RS0119422), sondern lediglich die Auseinandersetzung der Tatrichter mit jenen Verfahrensergebnissen kritisiert, die gegen ihre eigene Einschätzung sprechen, entzieht sie sich einer inhaltlichen Erwiderung (vgl RIS‑Justiz RS0106588).

In Bezug auf den Ausspruch welcher entscheidenden Tatsache die Aussagen der Zeugen Ö***** und H***** in „erörterungsbedürftigem Widerspruch“ (Z 5 zweiter Fall) stehen sollten, erklärt die Mängelrüge nicht.

Mit der Bezugnahme auf einen in der Hauptverhandlung vorgelegten Urlaubsschein und der Aussage des Beschwerdeführers, wonach er in den Sommermonaten mit seiner Ehegattin immer zwei bis drei Wochen in Bosnien gewesen sei, zeigt sie keine Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen auf. Weder schließt die vorgelegte Urkunde die Feststellung wiederholten Missbrauchs der Unmündigen im Tatzeitraum aus noch ließen die Tatrichter die angesprochenen Verfahrensergebnisse unberücksichtigt (US 8).

Nominell unter dem Nichtigkeitsgrund der Z 5 zitiert der Beschwerdeführer eine aus dem Zusammenhang gelöste, tatsächlich auf die vorgelegten Urkunden bezogene, Urteilspassage (vgl US 8) und behauptet, das Erstgericht habe die ihm vorgeworfenen Taten gar nicht festgestellt, sondern die Tatbegehung lediglich nicht ausschließen können. Damit orientiert sie sich nicht an den Vorgaben des der Sache nach angesprochenen Nichtigkeitsgrundes (Z 9 lit a), der das

Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt (siehe insoweit insbesondere US 3), dessen

Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung hat (RIS‑Justiz RS0099810).

Dem Vorwurf offenbar unzureichender Begründung (Z 5 vierter Fall) der Feststellungen zum Versuch des Angeklagten, mit I***** Ö***** den Beischlaf zu vollziehen (US 4), zuwider ist auch deren Ableitung aus den Angaben der entsprechende Tatvorwürfe erhebenden I***** Ö***** (US 6) unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden. Die in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck kommende sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen, welche erst in der

Gesamtschau mit anderen zum Ausspruch über entscheidende Tatsachen führen, kann aus Z 5 nicht bekämpft werden, es sei denn, die Tatrichter hätten in einem besonders hervorgehobenen Einzelpunkt erkennbar eine

notwendige Bedingung für Feststellungen hinsichtlich einer entscheidenden Tatsache erblickt (RIS‑Justiz RS0116737). Dies trifft auf den Hinweis der Tatrichter auf eine Sprachnachricht und auf Angaben von Zeugen, denen sich I***** Ö***** nach den Vorfällen anvertraut hatte, nicht zu (US 7).

Im Rahmen der kontradiktorischen Vernehmung stellte die Zeugin I***** Ö***** klar, den Türgriff ihres Zimmers erst nach der vom Schuldspruch 3) umfassten Tat abgeschraubt zu haben (ON 5 S 18). Das auf Basis anderer Prämissen entwickelte Vorbringen der Mängelrüge entzieht sich einer meritorischen Erwiderung.

Dem von den Tatrichtern angenommenen Motiv des Angeklagten, mit seiner schlafenden Enkelin den Beischlaf zu vollziehen, kommt keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu. Dazu angestellte Erwägungen scheiden als Bezugspunkt der Mängelrüge aus (RIS‑Justiz RS0088761). Der Einwand, „das Schöffengericht war jedenfalls nicht in der Lage im Widerspruch zur konstatierten Impotenz des Angeklagten ohne entsprechendes Gutachten Aussagen über dessen sexuelle Lust zu treffen“, kann somit schon deshalb dahinstehen. Im Übrigen können Mängel der Sachverhaltsermittlung (aus Z 5a) nur mit der– hier nicht aufgestellten – Behauptung gerügt werden, dass der Beschwerdeführer an einer darauf abzielenden Antragstellung (Z 4) gehindert war (RIS‑Justiz RS0115823).

Die Nichtigkeitsgründe des § 281 Abs 1 StPO sind voneinander wesensmäßig verschieden und daher gesondert auszuführen, wobei unter Beibehaltung dieser klaren Trennung deutlich und bestimmt jene Punkte zu bezeichnen sind, durch die sich der Beschwerdeführer für beschwert erachtet.

Der Verweis der Tatsachenrüge (Z 5a) auf das zu § 281 Abs 1 Z 4 und 5 StPO Vorgebrachte entspricht daher nicht der Strafprozessordnung (RIS‑Justiz RS0115902). Indem die Rüge die tatrichterliche Beweiswürdigung als „völlig lebensfremd“ bezeichnet oder das Vorbringen der Mängelrüge schlicht wiederholt, verlässt sie ebenso den Anfechtungsrahmen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Stichworte