OGH 1Ob95/18d

OGH1Ob95/18d19.6.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. H***** D*****, vertreten durch Dr. Philipp Millauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei U***** B*****, vertreten durch Dr. Harald Hauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen 56.381,71 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. April 2018, GZ 16 R 52/18m‑23, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 15. Februar 2018, GZ 57 Cg 3/17f‑19, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0010OB00095.18D.0619.000

 

Spruch:

In Ansehung der auf Zahlung von 40.656,51 EUR samt Zinsen gerichteten Begehren wird die außerordentliche Revision gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Im Übrigen werden die Akten dem Erstgericht zurückgestellt.

 

Begründung:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückzahlung mehrerer Darlehen. Dazu brachte er vor, er habe seiner damaligen Lebensgefährtin beim „Erwerb“ einer Genossenschaftswohnung und diverser Einrichtungs-gegenstände geholfen und ihr insgesamt 46.381,71 EUR „geborgt“. Die für den „Erwerb der Wohnung“ genannte Summe schlüsselte er in Beträge von 13.000 EUR für eine in zwei Teilzahlungen (am 10. 8. 2011 [4.000 EUR] und 25. 9. 2011 [9.000 EUR]) beglichene Ablöse, 27.656,51 EUR für den am 5. 9. 2011 überwiesenen Genossenschaftsanteil und die für den Kauf von Einrichtungsgegenständen ausgelegten Beträge auf (Letztere waren aber schon im Berufungsverfahren nicht mehr Verfahrensgegenstand). „Ferner“ habe er der Beklagten am 31. Jänner 2013 „leihweise einen Geldbetrag von EUR 10.000,00 in bar übergeben, um den sie ihn im Zusammenhang mit ihrem Sohn“ zur Vermeidung von dessen zwangsweiser Räumung gebeten habe.

Das Erstgericht sprach dem Kläger 50.656,51 EUR zu und wies das Mehrbegehren (unbekämpft) ab.

Das Berufungsgericht änderte über die allein von der Beklagten erhobene Berufung das Urteil lediglich im Zinsenbegehren ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil der Schwerpunkt des Streits auf der Sachverhaltsebene liege.

Die dagegen erhobene und von der Beklagten einheitlich als „außerordentliche“ bezeichnete Revision, die das Erstgericht dem Obersten Gerichtshof zur Entscheidung vorlegte, ist im Umfang von 40.656,51 EUR sA (Darlehen für den „Erwerb der Wohnung“) mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig. Soweit sie sich gegen die Entscheidung auf Rückzahlung des Darlehens für den Sohn in Höhe von 10.000 EUR sA richtet, ist der Oberste Gerichtshof zur Entscheidung darüber nicht berufen:

Rechtliche Beurteilung

1. Hat das Berufungsgericht über mehrere Entscheidungsgegenstände entschieden, deren Werte nicht zusammenzurechnen sind, ist die Revisionszulässigkeit für jeden einzelnen Entscheidungsgegenstand gesondert zu beurteilen (§ 55 Abs 4 JN). Eine Zusammenrechnung der einzelnen Ansprüche gemäß § 55 Abs 1 Z 1 JN kommt nur in Frage, wenn diese – nach den Klagsangaben (RIS‑Justiz RS0042741 [insbes T7]) – in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen.

Mehrere Ansprüche stehen dann in einem tatsächlichen Zusammenhang, wenn sie allesamt aus demselben Klagesachverhalt abgeleitet werden können, wenn also das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, um auch über die anderen geltend gemachten Ansprüche entscheiden zu können, ohne dass noch ein ergänzendes Sachvorbringen erforderlich wäre (RIS‑Justiz RS0042766). Ein rechtlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Ansprüche aus demselben Vertrag oder aus derselben Rechtsnorm abgeleitet werden und miteinander in einem unmittelbaren wirtschaftlichen Zusammenhang stehen (RIS‑Justiz RS0037648; RS0037905). Es besteht aber in der Regel kein solcher Zusammenhang, wenn jeder der mehreren Ansprüche ein verschiedenes rechtliches und tatsächliches Schicksal haben kann (RIS‑Justiz RS0037648 [T18, T20]; RS0037899; RS0037905). Kein Zusammenhang nach § 55 Abs 1 Z 1 JN liegt etwa vor bei Forderungen aus verschiedenen, wenn auch gleichartigen Verträgen (RIS‑Justiz RS0037648 [T15], RS0037926 [T3, T7, T23, T26, T28]).

Die Voraussetzungen für eine Zusammenrechnung nach § 55 Abs 1 Z 1 JN der für den Erwerb der Wohnung hingegebenen Darlehen mit jenem über 10.000 EUR, das die Beklagte für ihren Sohn benötigte, sind im vorliegenden Fall nicht erfüllt:

Der bloße Umstand, dass es sich bei den Streitteilen um Lebensgefährten handelt, ist für sich noch nicht geeignet einen tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang herzustellen. Es reicht auch das Sachvorbringen des Klägers, der sich zu seinem Anspruch wegen insgesamt 46.381,71 EUR darauf stützte, dass er im Jahr 2011 der Beklagten beim „Erwerb“ einer Genossenschaftswohnung geholfen und ihr (dafür) diese Summe „geborgt“ habe, für die Bejahung eines rechtlichen oder tatsächlichen Zusammenhangs nicht aus. Diesem Darlehen liegt nach den Behauptungen ein anderer Sachverhalt zugrunde, nämlich, dass er „ferner“ im Jahr 2013 einen weiteren Betrag von 10.000 EUR für einen anderen Zweck (Geldbedarf des Sohns der Beklagten) „leihweise“ übergeben habe.

2. Das Rechtsmittel der außerordentlichen Revision steht daher der Beklagten nur gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Begehren auf die für den „Erwerb der Wohnung“ hingegebene Summe (40.656,51 EUR) offen; insoweit liegt angesichts der von vornherein einheitlichen Zweckwidmung ein für die Zusammenrechnung ausreichender Zusammenhang vor. Sie vermag aber zu diesem Teilbegehren keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen:

2.1. Zur Verwendung des Wortes „darlehensweise“ durch das Erstgericht in den Feststellungen erläuterte das Berufungsgericht, dass die Verwendung von Rechtsbegriffen im Rahmen von Feststellungen dann für zulässig erachtet werde, wenn es sich dabei um gängige, kürzelhafte Umschreibungen von Tatsachenkomplexen handelt. Angesichts der eindeutigen Feststellungen des Erstgerichts, wonach der Kläger der Beklagten die für den Erwerb der Wohnung „nötigen Geldmittel“, nämlich jene für die Zahlung von Ablöse und Genossenschaftsanteil, „darlehensweise zur Verfügung stellte“ und die Beklagte dem Kläger versicherte, „die für sie ausgelegten Beträge auf jeden Fall später“ zurückzuzahlen, kann die Beklagte nicht nachvollziehbar erklären, warum es im vorliegenden Fall der Befassung des Höchstgerichts bedürfte, um „gesicherte“ Rechtsprechung zur Abgrenzung „zwischen Darlehen und Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ in „solchen Fällen“ zu schaffen. Sie beruft sich nur auf das Vorliegen eines „Erwerbs einer Wohnung“ durch einen Lebensgefährten zum Zweck des gemeinsamen Wohnens und auf – gegen das Neuerungsverbot verstoßende und damit unzulässige – Vermutungen zu Umgehungsgeschäften. Dass gemeinsames Wirtschaften und Wohnen von Lebensgefährten allein für die Begründung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts noch nicht ausreicht, wurde bereits vom Obersten Gerichtshof klargestellt (5 Ob 174/09p mwN). Umso weniger liegt eine solche vor, wenn die Rückzahlung der darlehensweise zur Verfügung gestellten Beträge ausdrücklich vereinbart war.

2.2. Das Berufungsgericht stützte sich auf die Entscheidung zu 8 Ob 114/17y, wonach ein Darlehensvertrag auf bestimmte oder auf unbestimmte Zeit abgeschlossen werden und sich die Laufzeit aus dem Zweck des Vertrags oder der Parteienabsicht ergeben kann. Auf seine Beurteilung, es sei von einem den Bestimmungen der §§ 983 ff ABGB idF des Darlehens- und Kreditrechts-Änderungsgesetzes (DaKRÄG 2010; BGBl I 2010/28) unterliegenden, auf unbestimmte Zeit geschlossenen Vertrag auszugehen, der gemäß § 986 Abs 2 ABGB einer Kündigungsfrist von einem Monat unterliege, geht die Beklagte inhaltlich gar nicht ein, wenn sie den Zeitpunkt der Beendigung des Vertrags als objektiv nicht feststellbar und ungewiss bekrittelt.

2.3. Die Auslegung des Vorbringens der Parteien und der in einer Gerichtsentscheidung enthaltenen Feststellungen ist jeweils einzelfallbezogen vorzunehmen und bildet daher in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0042828 [T3]; RS0118891). Darin, dass das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichts in dem Sinn auslegte, mit der Feststellung, dass der für die Zahlung des Genossenschaftsbeitrags verwendete Betrag stamme vom Kläger, denklogisch dessen Herkunft aus Mitteln der Beklagten verneint worden sei, liegt ebensowenig eine aufzugreifende Fehlbeurteilung oder ein Feststellungsmangel.

3. Keine Entscheidungsbefugnis kommt dem Obersten Gerichtshof allerdings über das Rechtsmittel zu, soweit es sich gegen die Entscheidung über den Anspruch auf Rückzahlung des für den Sohn der Beklagten im Jahr 2013 gewährten Darlehens richtet, weil der Wert dieses Entscheidungsgegenstands des Berufungsverfahrens 10.000 EUR betrug und damit 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR überstieg. In einem solchen Fall ist, wenn das Berufungsgericht – wie hier – die ordentliche Revision nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO für nicht zulässig erklärt, gemäß § 502 Abs 3 ZPO die Revision, außer im Fall des § 508 Abs 3 ZPO, jedenfalls unzulässig.

Unter diesen Voraussetzungen kann eine Partei nur gemäß § 508 Abs 1 und 2 ZPO binnen vier Wochen nach der Zustellung des Berufungsurteils den beim Erstgericht (§ 508 Abs 2 erster Satz ZPO) einzubringenden Antrag an das Berufungsgericht stellen, seinen Ausspruch dahin abzuändern, dass die ordentliche Revision doch für zulässig erklärt werde; ein solcher Antrag, der mit der ordentlichen Revision zu verbinden ist, muss die Gründe dafür anführen, warum entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 502 Abs 1 ZPO die ordentliche Revision für zulässig erachtet wird. Dies gilt auch dann, wenn der Rechtsmittelwerber in dem Schriftsatz keinen formellen Antrag im Sinne des § 508 Abs 1 ZPO gestellt hat, weil dieser Mangel gemäß § 84 Abs 3 ZPO verbesserungsfähig ist (RIS‑Justiz RS0109620).

Das Rechtsmittel der Beklagten wäre demnach – auch wenn es insgesamt als „außerordentliches“ bezeichnet wird – im dargestellten Umfang dem Berufungsgericht vorzulegen gewesen. Dies wird das Erstgericht nunmehr nachzuholen haben. Ob der Schriftsatz den Erfordernissen des § 508 Abs 1 ZPO entspricht oder ob er einer Verbesserung bedarf, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten (RIS‑Justiz RS0109501 [T12]; RS0109623 [T5]).

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