European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0080OB00079.18B.0529.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
Über das Vermögen der Schuldnerin wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 8. 5. 2009 das Schuldenregulierungsverfahren eröffnet und am 16. 7. 2009 nach Scheitern des angebotenen Zahlungsplans das Abschöpfungsverfahren eingeleitet. Innerhalb der siebenjährigen Laufzeit der Abtretungserklärung erhielten die Gläubiger eine Quote von 0,255 % ihrer angemeldeten Forderungen.
Über Antrag der Schuldnerin erklärte das Erstgericht mit rechtskräftigem Beschluss vom 25. 10. 2016 das Abschöpfungsverfahren für beendet, setzte die Entscheidung über die Restschuldbefreiung gemäß § 213 Abs 3 IO aF aus und trug der Schuldnerin auf, binnen drei Jahren ab Rechtskraft der Entscheidung an ihre Gläubiger Ergänzungszahlungen in Höhe von je 0,6887 % der Forderungen zu leisten sowie bis längstens 1. 11. 2017 die offenen Verfahrenskosten zu bezahlen.
Am 23. 11. 2017 stellte die Schuldnerin den Antrag auf Beendigung des Abschöpfungsverfahrens und Erteilung der Restschuldbefreiung nach § 280 IO idF des IRÄG 2017, weiters um Erstreckung der Frist für die Begleichung der Verfahrenskosten bis 31. 12. 2017.
Das Erstgericht erteilte der Schuldnerin antragsgemäß die Restschuldbefreiung.
Das Rekursgericht gab dem Rechtsmittel eines Gläubigers Folge und wies den Antrag der Schuldnerin ab.
Die auf anhängige Abschöpfungsverfahren anzuwendende Übergangsbestimmung des § 280 IO idF IRÄG 2017 sei nach den Grundsätzen der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (8 Ob 6/18t) dahin auszulegen, dass nach einer rechtskräftigen Billigkeitsentscheidung gemäß § 213 Abs 3 IO kein Anwendungsfall des § 280 IO vorliege.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil die im Zeitpunkt der Rekursentscheidung vorliegende höchstgerichtliche Entscheidung eine Verfahrenskonstellation nach § 213 Abs 4 IO aF betroffen habe und darin zu einem Auftrag nach § 213 Abs 3 IO aF nur obiter dictum Stellung genommen werde.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Schuldnerin ist entgegen dem Ausspruch des Rekursgerichts mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO iVm § 252 IO unzulässig.
Die maßgebliche Rechtsfrage ist in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung mittlerweile dahin klargestellt (8 Ob 31/18v; 8 Ob 32/18v; 8 Ob 40/18t; 8 Ob 49/18s; 8 Ob 64/18x), dass auf ein anhängiges Schuldenregulierungsverfahren, in dem das Abschöpfungsverfahren nach § 213 Abs 3 IO aF für beendet erklärt wurde und die Entscheidung über die Restschuldbefreiung unter Auferlegung von bestimmten Ergänzungszahlungen ausgesetzt wurde, § 280 IO nF nicht anzuwenden ist.
Der erkennende Senat sieht auch im Licht einer jüngst erschienenen kritischen Literaturmeinung (K onecny , Voraussetzungen für die Restschuldbefreiung in alten Abschöpfungsverfahren, ZIK 2018/61) keinen Anlass, von seiner Judikatur abzugehen.
Die Rechtsprechung legt § 280 IO nicht „restriktiv“ aus, sondern behandelt sie ihrer systematischen Stellung entsprechend, nämlich als nur über Schuldnerantrag wahrzunehmende Ausnahmeregel (§ 279 Abs 1 IO), gegenüber dem – wie der Autor an anderer Stelle selbst zutreffend ausführt – weiterhin auf die vor dem 1. 11. 2017 eingeleiteten Verfahren anzuwendenden § 213 IO aF.
Der Oberste Gerichtshof hat auch keineswegs verkannt, dass der Gesetzgeber mit dem IRÄG 2017 zugunsten der Ziele dieser Novelle insgesamt die Position der Insolvenzgläubiger geschwächt hat. Wenn in der Entscheidung 8 Ob 6/18t von nicht beabsichtigten Eingriffen in rechtskräftige Entscheidungen die Rede ist, nämlich jene nach § 213 Abs 3 IO aF, handelt es sich dabei um Ermessensentscheidungen im Einzelfall. Soweit Konecny dieses Argument mit dem Verweis auf die vorzeitige Beendigung des Abschöpfungsverfahrens nach der zweiten Alternative des § 280 IO zu widerlegen versucht, womit doch auch in eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung und eine Gläubigerposition eingegriffen werde, lässt er unberücksichtigt, dass der Beschluss nach § 202 IO über die Einleitung des Abschöpfungsverfahrens keine individuelle gerichtliche Entscheidung über dessen (sich vielmehr aus dem Gesetz ergebende) Dauer trifft.
Die von Konecny angesprochene Vermutung, dass dem Gesetzgeber bei der Formulierung des § 280 IO technische Fehler unterlaufen sein könnten, die bei der Auslegung durch Lückenschließung berücksichtigt werden müssten, überzeugt ebenfalls nicht.
Der grundlegende § 6 ABGB legt den Gerichten– im Unterschied zur hierin freien Wissenschaft – die Verpflichtung auf, den Gesetzen in der Anwendung „ keinen anderen Verstand 'beizulegen', als welcher aus der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhang und aus der klaren Absicht des Gesetzgebers hervorleuchtet “. Es ist nicht die Aufgabe der Gerichte, im Wege der Rechtsfortbildung oder einer allzu weitherzigen Interpretation möglicher Intentionen des Gesetzgebers Gedanken in ein Gesetz zu tragen, die darin nicht enthalten sind (RIS‑Justiz RS0008880). Eine berichtigende Auslegung von an sich hinreichend klaren Bestimmungen könnte nur dann zulässig sein, wenn den Gesetzesmaterialien mit eindeutiger Sicherheit entnommen werden kann, dass der Wille des Gesetzgebers tatsächlich in eine andere Richtung gegangen ist (ua Posch in Schwimann/Kodek ABGB 4 I § 6 Rz 18 ff).
Für die von Konecny in den Raum gestellte Annahme, der Gesetzgeber hätte bei der Formulierung der Ausnahmeregelung des § 280 IO für bereits anhängige Verfahren die Möglichkeiten einer ergangenen Entscheidung nach § 213 Abs 3 oder Abs 4 IO planwidrig übersehen, vermag der Autor keine Materialiengrundlagen darzustellen. Allein die Meinung, dass eine bestimmte Regelung wünschenswert wäre, rechtfertigt aber die Annahme einer Gesetzeslücke noch nicht (RIS‑Justiz RS0008757 [T2]; RS0008870 [T2]; RS0008866 [T6]).
Der von Konecny hervorgehobene Umstand, dass die in § 280 IO genannte Fünfjahresfrist „nicht auf die Verlängerungsfrist anwendbar“ sei, ist richtig, ergibt sich aber schlicht daraus, dass drei Jahre eben früher ablaufen als fünf Jahre. Für einen interpretativen Rückschluss auf einen bestimmten bzw sogar unterschiedlichen Inhalt des Begriffs der „Abtretungserklärung“ ist daraus nichts zu gewinnen.
Nicht überzeugen kann schließlich auch das teleologische Argument, dass der Gesetzgeber in der Übergangsphase allen Schuldnern nunmehr schon nach maximal sieben Jahren die Restschuldbefreiung gewähre und deswegen nicht einzelnen Schuldnern, die sich sogar schon über einen längeren Zeitraum bemüht hätten, eine Anspannung bis zu weiteren drei Jahren zugemutet werden könne.
In einer vergleichenden Analyse sind aber Schuldner, die sich in der Phase einer Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens oder mit aufgetragenen Ergänzungszahlungen befinden, nicht – wie es der Autor unternimmt – mit denjenigen zu vergleichen, deren Verfahren erst irgendwann später eröffnet wurde, sondern mit jenen Schuldnern, deren (erster) Abschöpfungszeitraum zur selben Zeit geendet hat. Wenn einem die Mindestquote verfehlenden Schuldner nach § 213 Abs 3 bzw 4 IO eine Billigkeitsentscheidung bewilligt wurde, die ihm die sofortige Verfahrsensbeendigung ohne Restschuldbefreiung erspart hat, begründete dies jedenfalls keine Schlechterbehandlung gegenüber der Vergleichsgruppe.
Dass die im Stadium nach einer Billigkeitsentscheidung nach § 213 Abs 3 und 4 IO aF anhängigen Verfahren durch § 280 IO im Lichte der Rechtsprechung des Senats in unsachlicher Weise benachteiligt würden, trifft daher nicht zu.
Die Entscheidung des Rekursgerichts steht mit der ständigen Rechtsprechung im Einklang, weshalb der Revisionsrekurs zurückzuweisen war.
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