European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0010OB00029.18Y.0321.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.
Begründung:
Die Klägerin ist die Witwe eines Angehörigen des Österreichischen Bundesheeres, der als Militärbeobachter der Mission UNTSO (United Nations Truce Supervision Organization) der Vereinten Nationen in den Libanon entsandt worden war.
Ihr Ehemann hatte am 4. 2. 2014 gemäß dem Dienstplan seiner Einheit einen „Relief Day“. Er stand um ca 18:00 Uhr auf und begab sich gegen 18:45 Uhr in die Wohnung einer Frau im 11. Stock desselben Gebäudes. Dort aßen die beiden gemeinsam zu Abend und tranken Alkohol. Im Verlauf des Abends ging der Ehemann mehrfach zum Rauchen auf den Balkon der Wohnung. Um 23:20 Uhr ging er wiederum auf den Balkon, stieg auf das Geländer und streckte sich nach Kabeln, die vom obersten Teil des Gebäudes von der Wand hingen. Dabei verlor er die Kontrolle über seinen Körper, stürzte ab und prallte auf den Gehsteig. Er verstarb an den Folgen des Sturzes.
Der toxikologische Blutbefund des Verstorbenen ergab einen Alkoholisierungswert von 2,11 g/l in der Glaskörperflüssigkeit.
Der Besuch des Verstorbenen bei dieser Frau am Abend diente ausschließlich privaten Zwecken und stand in keinem Zusammenhang mit seinen dienstlichen Pflichten im Zuge seines Auslandseinsatzes.
Die Klägerin begehrt gestützt auf die Kundmachung des Bundesministers für Landesverteidigung betreffend die Auslobung einer besonderen Hilfeleistung an Hinterbliebene nach entsendeten Personen, BGBl II 2003/362, und §§ 16 ff Auslandszulagen‑ und ‑hilfeleistungsgesetz, BGBl I 1999/66 in der geltenden Fassung (kurz: AZHG), vom Bund die Zahlung der besonderen Hilfeleistung von 109.009,30 EUR sA (§ 19 Abs 1 AZHG).
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig, weil der Frage, ob ein bestimmter Vorfall die Voraussetzungen des § 18 (Abs 1) AZHG erfülle, keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
Die gegen das Berufungsurteil gerichtete außerordentliche Revision der Klägerin zeigt keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.
Rechtliche Beurteilung
1. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt dann keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine eindeutige Regelung trifft (RIS‑Justiz RS0042656). Lassen sich die relevanten Rechtsfragen somit unmittelbar aufgrund des Gesetzes und seiner Materialien zweifelsfrei lösen, stellt sich keine solche Rechtsfrage (5 Ob 175/13s = RIS‑Justiz RS0042656 [T54]). Auch der Umstand, dass ein völlig gleichgelagerter Sachverhalt vom Obersten Gerichtshof noch nicht entschieden wurde, begründet nicht das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0107773).
2. Mit der Kundmachung BGBl II 2003/362 verpflichtete der Bundesminister für Landesverteidigung gemäß § 860 ABGB den Bund im Sinn des § 16 Abs 1 AZHG, bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 18 AZHG Hinterbliebenen nach entsendeten Personen eine besondere Hilfeleistung zu erbringen.
Der Anspruch auf Hilfeleistung besteht gemäß § 18 Abs 1 AZHG, wenn die entsendete Person unter anderem in unmittelbarer Ausübung ihrer Pflichten im Auslandseinsatz (Z 1) oder durch ein Ereignis, das in einem örtlichen, zeitlichen oder ursächlichen Zusammenhang mit den für den Auslandseinsatz maßgebenden gefährlichen Verhältnissen steht (Z 2), zu Tode kommt. Der erste Tatbestand erfasst den Diensteinsatz im Einsatzland – ähnlich einem Dienst‑ oder Arbeitsunfall im Inland. Die für den jeweiligen Auslandseinsatz geltenden Pflichten der entsendeten Personen bestimmen sich jeweils nach dem Zweck der Entsendung der Einheit oder Einzelperson. Kein Anspruch auf Hilfeleistung soll bestehen, wenn die entsendete Person in der dienstfreien Zeit einen Unfall erleidet (zB Bade‑ oder Autounfall bei einem Ausflug) und dabei zu Tode kommt. Außerhalb der Zeit des Diensteinsatzes soll jedoch nach dem zweiten Tatbestand die einmalige Geldleistung dann gebühren, wenn der Tod während des Auslandseinsatzes infolge eines Ereignisses eingetreten ist, das in einem örtlichen, zeitlichen „und“ ursächlichen Zusammenhang mit den für den Auslandseinsatz maßgebenden gefährlichen Verhältnissen steht (zB bewaffneter Angriff, Naturkatastrophe) (ErläutRV 1066 BlgNR XXI. GP 69 [zur Dienstrechts‑Novelle 2002, BGBl I 2002/87]).
3. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Voraussetzungen für die Hilfeleistung nach § 18 Abs 1 AZHG nicht vorlägen, weil sich der Tod des Ehemanns der Klägerin im Rahmen eines privaten Besuchs ereignet und sich ein Risiko des allgemeinen Lebens verwirklicht habe, das mit der Erfüllung von Pflichten des Verstorbenen im Zuge seines Auslandseinsatzes in keinem Zusammenhang stünde, und auch keine gefährlichen Verhältnisse im Einsatzgebiet Einfluss auf den Tod des Verstorbenen gehabt hätten, ist nicht korrekturbedürftig. Die Rechtsansicht, sein Ableben sei weder in unmittelbarer Ausübung seiner Pflichten im Auslandseinsatz (§ 18 Abs 1 Z 1 AZHG) noch im örtlichen, zeitlichen oder ursächlichen Zusammenhang mit den für den Auslandseinsatz maßgebenden gefährlichen Verhältnissen (Z 2 leg cit) gestanden, ist jedenfalls vertretbar.
Selbst wenn es zutreffen sollte (so das Verständnis der Klägerin), dass am „Relief Day“ die „Pflicht“ ihres Mannes bestanden hätte, sich für eine jederzeitige Heranziehung zu konkreten Dienstleistungen bereit zu halten, wäre dadurch die Voraussetzung des § 18 Abs 1 Z 1 AZHG nicht erfüllt. Der abendliche Besuch ihres Ehemannes diente ausschließlich privaten Zwecken und stand in keinem Zusammenhang mit seinen dienstlichen Pflichten. Damit kam er nicht in unmittelbarer Ausübung seiner Pflichten im Auslandseinsatz zu Tode.
4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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