OGH 7Ob4/18s

OGH7Ob4/18s21.2.2018

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin Stadt L*****, vertreten durch Dr. Marco Nademleinsky, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Antragsgegner M***** H*****, vertreten durch Mag. Andreas Kulka, Rechtsanwalt in Wien, wegen Rechnungslegung und Unterhalt(‑sregress), über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 15. November 2017, GZ 45 R 370/17w‑61, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 16. Juni 2017, GZ 4 Fam 70/16x‑55, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00004.18S.0221.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin ist schuldig, dem Antragsgegner die mit 1.096,56 EUR (darin enthalten 182,76 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Die Zurückweisung eines ordentlichen Revisionsrekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Es ist nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs, für die Einheitlichkeit oder gar Fortbildung ausländischen Rechts Sorge zu tragen (RIS‑Justiz RS0042940 [T2, T3, T8]). Eine erhebliche Rechtsfrage kann daher bei Anwendbarkeit fremden Rechts nur dann vorliegen, wenn dieses Recht unzutreffend ermittelt oder eine in dessen ursprünglichem Geltungsbereich in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht missachtet wurde oder dem Rechtsmittelgericht grobe Subsumtionsfehler unterlaufen wären, die aus Gründen der Rechtssicherheit richtiggestellt werden müssten (RIS‑Justiz RS0042948 [T3, T21, T23]; RS0042940 [T9]). Solches zeigt die Antragstellerin, die sich ausdrücklich auf die Anwendung deutschen Rechts beruft, nicht auf:

1. Nach § 1611 Abs 1 Satz 1 BGB braucht der Verpflichtete nur einen Beitrag zum Unterhalt in der Höhe zu leisten, die der Billigkeit entspricht, wenn der Unterhaltsberechtigte unter anderem seine eigene Unterhaltspflicht gegenüber dem Unterhaltspflichtigen gröblich vernachlässigt (zweite Alternative) oder sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen den Unterhaltspflichtigen (dritte Alternative) schuldig gemacht hat. Die Unterhaltspflicht entfällt vollständig, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten im Hinblick darauf grob unbillig wäre (§ 1611 Abs 1 Satz 2 BGB) (BGH XII ZR 148/09, XII ZB 607/12).

2. Eine schwere Verfehlung gemäß § 1611 Abs 1 Satz 1 BGB kann regelmäßig nur bei einer tiefgreifenden Beeinträchtigung schutzwürdiger wirtschaftlicher Interessen oder persönlicher Belange des Pflichtigen angenommen werden. Als Begehungsformen kommen aktives Tun und Unterlassen in Betracht, letzteres allerdings nur, wenn der Berechtigte dadurch eine Rechtspflicht zum Handeln verletzt. Daher kann auch eine – durch Unterlassung herbeigeführte – Verletzung elterlicher Pflichten wie etwa der Pflicht zu Beistand und Rücksicht iSd § 1618a BGB, der auch auf das Verhältnis zwischen Eltern und ihren volljährigen Kindern Anwendung findet, eine Verfehlung darstellen (BGH XII ZB 607/12). Als Begehungsformen durch aktives Tun kommen neben tätlichen Angriffen, ständige grobe Beleidigungen und Bedrohungen, vorsätzliche Kränkungen, falsche Anschuldigungen gegenüber dem Arbeitgeber des Pflichtigen oder Behörden sowie Schädigungen des Unterhaltspflichtigen in seiner wirtschaftlichen und beruflichen Stellung in Betracht ( Reinken in Bamberger/Roth/Hau/Poseck , Beck‑OK BGB [2017] § 1611 Rn 4; Born in Münchener Kommentar zum BGB 7 § 1611 Rn 23).

Eine „schwere Verfehlung“ im vorgenannten Sinn ist nicht auf einzelne schwerwiegende Übergriffe gegen den Unterhaltspflichtigen oder dessen nahe Angehörige beschränkt. Die Unterhaltspflicht ist vielmehr in Fällen, in denen der Bedürftige durch unwürdiges Verhalten das Familienband zerrissen hat, nicht nur zu beschränken, sondern hat ganz wegzufallen. Ein solches Verhalten kann sich zum einen in einzelnen besonders schwerwiegenden Verfehlungen zeigen; eine schwere Verfehlung iSd § 1116 Abs 1 Satz 1 BGB kann sich zum anderen aber auch aus einer Gesamtschau des Verhaltens des Unterhaltsberechtigten ergeben. Selbst wenn die einzelnen Verfehlungen dabei nicht besonders schwer wiegen, kommt es maßgeblich darauf an, ob sie zusammengenommen zeigen, dass sich der Unterhaltsberechtigte in besonders vorzuwerfender Weise aus der Familiensolidarität gelöst und damit letztlich bezogen auf seine familiären Verpflichtungen eine schwere Verfehlung begangen hat (BGH XII ZB 607/12). Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH liegt eine grobe Unbilligkeit iSd § 1611 Abs 1 Satz 2 BGB dann vor, wenn die Gewährung von Unterhalt dem Gerechtigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widersprechen würde (BGH XII ZR 304/02).

3. Die Vorinstanzen gingen zum einen davon aus, dass die Mutter dadurch, dass sie dem Antragsgegner ihre Unterhaltsleistung über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren trotz Vorliegens eines rechtskräftigen Unterhaltstitels entzog, ihre Unterhaltsverpflichtung gröblich iSd § 1611 Abs 1 Satz 1 Alternative 2 BGB verletzt habe. Zum anderen beurteilten sie die weiteren Verhaltensweisen der Mutter (Verweigerung der Herausgabe der persönlichen Gegenstände, des Sparbuchs und der Dokumente des Antragsgegners; die ausdrückliche Ablehnung der vom Antragsgegner wiederholt versuchten Kontaktaufnahmen; den Versuch, das berufliche Fortkommen des Antragsgegners durch Erhebung grober Beleidigungen gegenüber seinem Arbeitgeber zu schädigen; die wiederholten Herabwürdigungen des Vaters des Antragsgegners und das bewusste Erzeugen eines falschen Bildes über dessen Persönlichkeit) als vorsätzlich schwere Verfehlungen iSd § 1611 Abs 1 Satz 1 Alternative 3 BGB. Vor diesem Hintergrund im weiteren Zusammenhang damit, dass die Mutter des Antragsgegners ihm auch keinen Beistand in privaten Angelegenheiten, insbesondere nach einer sexuellen Belästigung durch einen Dritten auf dem Schulweg und im Verhältnis zu seinem Stiefvater leistete und sie seinen schulischen Leistungen kein Interesse entgegenbrachte, folgerten die Vorinstanzen, dass bei einer Gesamtschau der Verfehlungen der Mutter die Inanspruchnahme des Antragsgegners iSd § 1611 Abs 1 Satz 2 BGB gröblich unbillig wäre, weshalb ein Unterhaltsanspruch der Mutter, der nach § 94 Abs 1 Satz 1 SGB XII auf die Antragstellerin übergegangen sein könnte, ausgeschlossen sei.

Diese Beurteilung, wie auch die Vorgehensweise der Vorinstanzen bereits unabhängig von wirtschaftlichen Kriterien und ohne Treffen von Feststellungen zur Höhe der Unterhaltspflicht des Antragsgegners, den vollständigen Ausschluss des Unterhaltsanspruchs seiner Mutter zu bejahen, hält sich an den Gesetzeswortlaut und im Rahmen der vom BGH festgelegten Grundsätze.

4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 AußStrG, der Antragsgegner hat auf die Unzulässigkeit hingewiesen.

Stichworte