European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0110OS00122.17A.0130.000
Spruch:
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht bewilligt.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wurde bereits zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Andreas R***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (I./), der Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 207 Abs 1, 15 Abs 1 StGB (II./), der Vergehen der sittlichen Gefährdung von Personen unter sechzehn Jahren nach § 208 Abs 1 StGB (III./), der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 212 Abs 1 Z 2, 15 Abs 1 StGB (IV./) und der Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB (V./) schuldig erkannt.
Unmittelbar nach Verkündung des Urteils am 18. April 2017 meldete der durch einen Verteidiger vertretene Angeklagte Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe an (ON 27 S 23). Die schriftliche Urteilsausfertigung wurde dem Verteidiger im elektronischen Rechtsverkehr (Zustellnachweis bei ON 28) am 23. Juni 2017 zugestellt (§ 89d Abs 2 GOG).
Mit Beschluss vom 31. Juli 2017, GZ 22 Hv 14/17z-32, wies das Landesgericht Linz die am (richtig:) 18. April 2017 angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gemäß § 285a Z 2 StPO zurück, weil die Ausführung der angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde nicht innerhalb der gemäß § 285 Abs 1 StPO offenstehenden Frist von vier Wochen überreicht wurde und Nichtigkeitsgründe auch anlässlich deren Anmeldung nicht deutlich und bestimmt bezeichnet worden waren.
Mit Schriftsatz vom 14. August 2017 (ON 33) erhob der Angeklagte Beschwerde gegen diesen Beschluss gemäß § 285b StPO, beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und führte (erstmals) die angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung aus.
Unter Aufrechterhaltung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowie der Rechtsmittelausführung zog R***** mit an den Obersten Gerichtshof gerichtetem Schriftsatz vom 28. August 2017 die Beschwerde zurück, nachdem dem Verteidiger das Ergebnis der vom Obersten Gerichtshof eingeholten Auskunft des Bundesrechenzentrums bekanntgegeben worden war (wonach die am 22. Juni 2017 um 15:13:54 Uhr bereitgestellte Sendung am 23. Juni 2017 um 12:50:05 Uhr abgerufen worden ist; 11 Os 105/17a).
Zur Begründung der Aufrechterhaltung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand brachte der Verteidiger im Wesentlichen vor, dass – unabhängig davon, dass der Justiz aufgrund der vorliegenden Unterlagen kein Vorwurf bei der Zustellung des Urteils gemacht werden könne – R***** und er selbst, „aus welchem Grunde auch immer, keine Möglichkeit“ gehabt hätten, „vor der Zustellung des Beschlusses des Landesgerichts Linz vom 31. Juli 2017 (ON 32) in Kenntnis der schriftlichen Urteilsausfertigung zu gelangen.“ Eine Säumnis bei der Einhaltung der Ausführungsfrist, etwa in Form von Bearbeitungsfehlern oder einer unrichtigen Fristeintragung, wurde in Abrede gestellt und die „rätselhaften Umstände“ rund um die Kenntnisnahme der schriftlichen Urteilsausfertigung als „unabwendbares Ereignis“ bezeichnet, wobei dem „Beschuldigten“ allenfalls ein minderer Grad des Versehens gemäß § 364 StPO vorgeworfen werden könne. Weiteres substantielles Vorbringen wurde nicht erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – nicht berechtigt.
Gemäß § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist diese (ua) gegen die Versäumung der Frist zur (hier:) Ausführung eines Rechtsmittels zu bewilligen, wenn nachgewiesen wird, dass es aufgrund eines unvorhersehbaren und unabwendbaren Ereignisses unmöglich war, die Frist einzuhalten oder die Verfahrenshandlung vorzunehmen, es sei denn, dass dem Rechtsmittelwerber oder seinem Vertreter ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt.
Die angefochtene Entscheidung wurde bereits am 23. Juni 2017 elektronisch zugestellt (zur Zustellung durch Einlangen der Daten in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers vgl § 89d Abs 2 GOG). Aus welchem Grund ihm der erfolgte Abruf nicht zur Kenntnis gelangte, erklärt der Antragsteller nicht. Ebenso wenig enthält das Vorbringen Anhaltspunkte in Richtung eines unvorhersehbaren und unabwendbaren Ereignisses bzw für fehlendes Organisationsverschulden, zumal der Verteidiger verpflichtet gewesen wäre, die Organisation seines Kanzleibetriebs so zu gestalten, dass ein täglicher Abruf des ERV-Computer-Systems gewährleistet ist (RIS-Justiz RS0125861) und er von einem solchen Abruf in Kenntnis gesetzt werde. Die Frage allfälligen Verschuldens stellt sich sohin gar nicht.
Dem Begehren auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde war daher nicht Folge zu geben.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wurde bereits mit Beschluss des Landesgerichts Linz vom 31. Juli 2017, GZ 22 Hv 14/17z‑32, rechtskräftig zurückgewiesen.
Der Vollständigkeit halber bleibt anzumerken, dass der auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, „9a“, 10 und 11 StPO gegründeten Nichtigkeitsbeschwerde keine Berechtigung zugekommen wäre.
Aus der rechtskräftigen Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde durch das Erstgericht folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Linz zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten.
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