European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0010OB00215.17Z.0130.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.
Begründung:
Der Kläger, der sich wegen des Verdachts des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB mehr als drei Monate in Untersuchungshaft befunden hatte, wurde von diesem Vorwurf im sogenannten „Tierschützerprozess“ mit Urteil vom 2. 5. 2011 gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen. Er begehrt vom Bund Schadenersatz und die Feststellung der Haftung für von ihm behauptetes Fehlverhalten der Ermittlungsbehörden.
Da im ersten Rechtsgang geklärt worden war, dass er sich auf die erst im Laufe des Verfahrens gegenüber der Staatsanwaltschaft erhobenen Vorwürfe wegen Verjährung nicht mehr mit Erfolg berufen kann (1 Ob 123/15t), war Gegenstand des zweiten Rechtsgangs (nur) das Verhalten der Kriminalpolizei. Der Kläger wirft den ermittelnden Beamten – zusammengefasst – vor, sie hätten rechtswidrig und schuldhaft gehandelt, indem sie bestimmte, von ihm näher bezeichnete Beweismittel, und zwar vor allem den Bericht über die verdeckte Ermittlung, der erst in der Hauptverhandlung vorgelegt worden war, zurückgehalten hätten. Dieser Bericht wäre bereits für sich genommen geeignet gewesen, den Anfangsverdacht gegen ihn und die übrigen Beschuldigten vollkommen zu entkräften. Die Einleitung des Strafverfahrens samt Zwangsmaßnahmen und auch die Erhebung der Anklage resultiere aus dieser Zurückhaltung. Wären die Auswertung der Überwachung der Telefonanschlüsse der Beschuldigten und der Funkzellenauswertung zu Tatörtlichkeiten und die anderen von ihm aufgelisteten Ermittlungsergebnisse früher vorgelegt worden, wäre es zu einer Anklage nicht gekommen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es pflichtete dem Kläger zwar darin bei, dass die Kriminalpolizei – weil die Prüfung des Beweiswerts dem öffentlichen Ankläger und dem Gericht obliege – auch die vom Kläger vermissten Erhebungsergebnisse schon früher hätte übermitteln müssen, kam aber in seinem 185‑seitigem Urteil nach ausführlicher Befassung mit diesen Unterlagen im Einzelnen und deren Bewertung in einer Gesamtschau mit den anderen Beweisergebnissen zum Ergebnis, dass ihre Vorlage an der Verpflichtung, der jeweils zuständigen Organe, die Untersuchungshaft zu verhängen und den Strafantrag einzubringen, nichts geändert hätte.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es teilte wie das Erstgerichts den Standpunkt des Klägers, dass die von ihm genannten Unterlagen hätten weitergeleitet werden müssen. Im Anschluss daran legte es aber dar, dass für die hypothetische Rechtsanwendung der Staatsanwaltschaft und des zuständigen Gerichts bei Prüfung und Subsumtion (auch) des Berichts der verdeckten Ermittlerin die Tatbestandsmerkmale des maßgeblichen Delikts und der Maßstab, welcher in Bezug auf den Tatverdacht bei Verhängung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft sowie bei Erhebung der Anklage anzulegen gewesen seien, wesentlich seien. Es setzte sich in der Folge mit dem dem Kläger vorgeworfenen Verbrechen der kriminellen Organisation nach § 278a StGB (in der damals anzuwendenden Fassung) auseinander und erläuterte unter Angabe von Belegstellen die Grundsätze der höchstgerichtlichen Rechtsprechung und Lehre dazu, wann Untersuchungshaft zu verhängen ist und die Staatsanwaltschaft Anklage zu erheben hat. Ausgehend davon erachtete es die Entscheidung des Erstgerichts als richtig und zog – auf mehreren Seiten und unter wertender Befassung mit den Beweisergebnissen – den Schluss, dass sich der dringende Tatverdacht gegen den Kläger vornehmlich auf dessen in einem bestimmten (Internet‑)Forum dokumentierte Äußerungen in Zusammenschau mit dem zeitlichen Ablauf von Drohungen und dann auch tatsächlich verübten schwerwiegenden Straftaten gegen eine bestimmte (im Bekleidungssektor tätige) Handelskette gegründet habe. Der Kläger und eine andere Person seien gegenüber diesem Unternehmen als Ansprechpartner aufgetreten; darauf seien nicht nur laufend Demonstrationen vor den Filialen, sondern auch E‑Mails mit eindeutig drohenden Inhalten und auch schwerwiegende Straftaten gegen das Vermögen, aber auch die Freiheit mehrerer Mitarbeiter dieses Unternehmens gefolgt. Beispielhaft und auch unter Zitaten aus Einträgen des Klägers in einem Internet-Forum verwies das Berufungsgericht darauf, dass der Kläger unter anderem Brandanschläge für Tierrechte gutgeheißen, Kritiker einer bestimmten Vereinigung gemaßregelt, Vorgehen mit schärfsten Mitteln gegen Denunzianten eingefordert, Anschläge auf jagdliche Einrichtungen (etwa durch „Hochstandschneiden“) ebenso wie „offene Lagerfeuer“ gebilligt, Buttersäure‑Attentate verharmlost und Aktivisten ausdrücklich vor dem Hinterlassen von DNA‑Spuren beim Sägen und Umwerfen von Hochständen gewarnt habe. Er habe sich auf Aktionen gemeinsam mit einem englischen Aktivisten bezogen und zu einem anderen (vorbestraften) Aktivisten im Jahr 2007 in Österreich Kontakt gehabt. Zudem habe er Ratschläge ua zu Gegenstrategien gegen polizeiliche Maßnahmen erteilt. Die Einbeziehung der erst später übermittelten Unterlagen in eine Gesamtschau der Ermittlungsergebnisse, wie sie bis zum Zeitpunkt der Einbringung des Strafantrags bestanden, und deren Bewertung hätten bei der geforderten ex-ante‑Betrachtung keine relevante Veränderung der Verdachtslage bewirkt. Jene Beweisergebnisse, die – durchaus im Zusammenwirken mit dem Bericht – letztlich zum Freispruch des Klägers geführt hätten, seien zum Großteil erst in der Hauptverhandlung entstanden. Der Bericht und die übrigen zurückgehaltenen Ermittlungsergebnisse hätten (ausgehend von der im Zeitpunkt der Verhängung der Untersuchungshaft bzw der Einbringung des Strafantrags gegebenen Beweislage) nicht ausgereicht, um den Tatverdacht gegen den Kläger zu entkräften.
Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers, in der er nicht darstellen kann, warum die Entscheidung im vorliegenden Fall von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts (§ 502 Abs 1 ZPO) abhinge, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukäme. Die Revision enthält weder ein Judikaturzitat noch eine Bezugnahme auf bestimmte Normen der StPO, mit denen sich der Kläger auseinandersetzen will.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Kläger zum Schadensbetrag von 347.000 EUR behauptete Aktenwidrigkeit liegt nicht vor, weil das seinem Wortlaut nach unstrittige Strafurteil (vgl zu dessen Verwendung im Revisionsverfahren RIS‑Justiz RS0121557 [T2, T4]) diese Summe als Schadensbetrag ausdrücklich nennt. Im Übrigen fehlt jede Darstellung, inwiefern ein unrichtig wiedergegebener Schadensbetrag im vorliegenden Fall entscheiungserheblich wäre. Ganz abgesehen davon, dass bei Mitverdächtigen im Zuge der Hausdurchsuchungen nicht nur Lacke und Chemikalien, Einwegspritzen, Bolzenschneider und Handsägen, sondern neben Anleitungen für verzögerte Brandanschläge und zum Bau eines Molotow-Cocktails auch Stinkbomben beschlagnahmt wurden und im allgemeinen Sprachgebrauch auch solche mit dem Inhaltsstoff Buttersäure als Stinkbomben bezeichnet werden, muss darauf, ob die Sachverhaltsgrundlage des Berufungsgerichts, bei Mitverdächtigen sei im Zuge von Hausdurchsuchungen Buttersäure gefunden worden, aktenwidrig ist, nicht eingegangen werden, weil der Rechtsmittelwerber wiederum die Relevanz einer solchen Aktenwidrigkeit, also deren Entscheidungswesentlichkeit und Eignung, eine unrichtige Entscheidung zu bewirken, nicht darstellt (vgl RIS‑Justiz RS0043347 [T9]; RS0042762 [T7]). Für sich allein kann der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit grundsätzlich nicht das Gewicht einer erheblichen Rechtsfrage des Verfahrensrechtes haben, weil er zum Tatsachenbereich gehört (RIS‑Justiz RS0042762).
Die Frage, ob sich zu einem bestimmten Tatvorwurf aus den vorliegenden Ermittlungsergebnissen ein dringender Tatverdacht iSd § 173 Abs 1 StPO ableiten lässt oder ob gemäß § 210 Abs 1 StPO eine Verurteilung als wahrscheinlicher einzustufen ist als ein Freispruch bzw kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung (mehr) besteht und daher das Ermittlungsverfahren nach § 190 Z 2 StPO einzustellen ist, ist in der Regel eine solche, die nur anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls beurteilt werden kann. In gleicher Weise ist die hier notwendige Beurteilung, ob und inwieweit zusätzliche Beweisergebnisse die Verdachtslage verändern, einzelfallabhängig.
Dies spiegelt auch die Revision wieder, wenn sich der Kläger darin ausführlich mit den einzelnen konkreten Beweisergebnissen seines Falles befasst. Er misst einzelnen Beweisergebnissen ein anderes Gewicht für den Tatverdacht zu als die Vorinstanzen, setzt sich aber an keiner Stelle seines Rechtsmittels mit den gesetzlichen Bestimmungen zum vorgeworfenen Verbrechen oder zu den Voraussetzungen für die Verhängung von Untersuchungshaft, der Einleitung eines Strafverfahrens und den Anforderungen für die Einbringung eines Strafantrags bzw mit dazu ergangener Judikatur oder Lehrmeinungen auseinander. Gegen welche in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bestehenden Grundsätze zur Frage, wann Anklage zu erheben und Untersuchungshaft zu verhängen ist, das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung verstoßen hätte, legt er nicht dar. Auch mit dem von ihm relevierten „anderen“ Verständnis von Personen innerhalb einer „Protestkultur“ als „Erlebniswelt jener Menschen, die sich in einem politischen Thema, in diesem Fall dem Tierschutz, verschrieben haben und ihr ganzes Leben danach ausrichten, gegen den Umgang mit Tieren zu protestieren“, woraus sich eine gänzlich andere Erfahrungswelt als für Personen außerhalb dieser Protestkultur ergeben soll, vermag er keine Überschreitung des den Vorinstanzen zukommenden Beurteilungsspielraums zur Frage, ob in dem hier konkret zu beurteilenden Einzelfall die Verhängung der Untersuchungshaft und die Einbringung des Strafantrags aus der Zurückhaltung jener Unterlagen resultierte, aufzuzeigen, die ein Eingreifen des Obersten Gerichtshofs aus Gründen der Rechtssicherheit erfordern würde.
Einer weitergehenden Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).
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