OGH 9ObA65/17z

OGH9ObA65/17z30.10.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Dehn und Dr. Weixelbraun‑Mohr sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Mag. Thomas Dürrer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei L*****, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Ö*****, vertreten durch Dr. Gustav Teicht, Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte Kommandit-Partnerschaft in Wien, wegen 10.177,87 EUR brutto und 312 EUR netto sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 10.177,87 EUR brutto sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. März 2017, GZ 10 Ra 110/16v‑25, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00065.17Z.1030.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Verstößt der Verjährungseinwand gegen Treu und Glauben, so kann diesem die Replik der Sittenwidrigkeit entgegen gehalten werden (RIS-Justiz RS0034537). Nach der erkennbaren Aufgabe eines Schuldnerverhaltens, das einen allfälligen Verjährungseinwand sittenwidrig erscheinen lässt, muss vom Gläubiger innerhalb angemessener Frist Klage eingebracht werden. Die Beurteilung, ob diese Voraussetzung gegeben ist, hängt typisch von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage (8 ObA 71/16y mwN).

Das Berufungsgericht erachtete hier das Begehren der Klägerin auf (rechnerisch unstrittige) Differenzen aus der Abrechnung von Mehr- und Überstunden, die sie als Abnahmeschwester in der Blutspendezentrale der Beklagten in den Jahren 2005 bis 2010 leistete, als noch nicht verjährt. In der dazu zitierten Entscheidung 8 ObA 71/16y stellte der Oberste Gerichtshof in einem ähnlichen Fall klar, dass die konkrete Situation der Mitarbeiter der Beklagten aufgrund der besonderen Umstände so gestaltet gewesen sei, dass die Beklagte nicht davon ausgehen durfte, dass – nach endgültigem Scheitern der Verhandlungen – den einzelnen Arbeitnehmern an der Durchsetzung ihrer Ansprüche nicht mehr gelegen wäre und sie kein Interesse an einer gerichtlichen Austragung der Sache hätten.

In den Jahren 2008 bis 2014 kam es zwischen den Vertretern der Arbeitnehmer und der Arbeitgeberseite zu wiederholten umfangreichen Verhandlungen über die Frage der korrekten Abrechnung von Mehr- und Überstunden der Mitarbeiter, wobei die für die Beklagte auftretenden Personen den Vertretern der Arbeitnehmer gegenüber mehrfach ausdrücklich zusicherten, dass – nach Klärung derRechtslage – sämtliche Mehr- und Überstunden ab 1. März 2005 nachverrechnet würden und die Ansprüche darauf den Arbeitnehmern nicht verloren gehen würden. Mit Schreiben vom 10. September 2014 teilte die Beklagte den betroffenen Mitarbeitern (so auch der Klägerin) mit, dass sie allfällige Verjährungsverzichtserklärungen widerrufe. Im vorliegenden Fall steht darüber hinaus fest, dass die Beklagte auch nach dem Versand dieses Schreibens weitere Vergleichsgespräche mit Vertretern der Arbeitnehmer führte und dass die Klägerin Anfang Jänner 2015 erfuhr, dass diese Gespräche nun endgültig gescheitert waren; Anfang Februar erhielt die Beklagte ein Aufforderungsschreiben der Arbeiterkammer betreffend die Ansprüche der Klägerin.

Ebenso wie in dem der Entscheidung 8 ObA 71/16y zugrunde liegenden Sachverhalt wurde auch die Klägerin damit letztlich über mehr als sechs Jahre von der Beklagten vertröstet und die (mehrfach zugesicherte) Einzelnachverrechnung der Mehr- und Überstunden als für die Beklagte administrativ undurchführbar dargestellt. Daher ist die Entscheidung des Berufungsgerichts, nach der hier die gerichtliche Geltendmachung der eingeklagten Ansprüche im Juni 2015 noch als innerhalb angemessener Frist qualifiziert wurde, aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls nicht unvertretbar.

2. Eine Divergenz der Rechtsprechung besteht– entgegen der Rechtsansicht der Revisionswerberin – nicht. In der Entscheidung 9 ObA 156/16f hat der Oberste Gerichtshof die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte habe nicht schlüssig auf die Verjährungseinrede verzichtet, im konkreten Einzelfall für vertretbar angesehen. Die hier und in der Entscheidung 8 ObA 71/16y zu beurteilende Frage, ob die Klägerin nach der erkennbaren Aufgabe jenes Verhaltens der Beklagten, das den Verjährungseinwand sittenwidrig erscheinen ließ, innerhalb angemessener Frist Klage eingebracht hatte, war in 9 ObA 156/16f nicht zu beurteilen.

3. Die Revision zeigt insgesamt keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf. Einer weiteren Begründung bedarf ein Zurückweisungsbeschluss gemäß § 510 Abs 3 Satz 3 ZPO nicht.

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