OGH 2Ob243/16y

OGH2Ob243/16y17.8.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Dr. Veith als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. E. Solé, den Hofrat Dr. Nowotny und die Hofrätinnen Mag. Malesich und Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** H*****, vertreten durch Dr. Edwin Mächler, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei ÖBB‑Infrastruktur Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Lansky, Ganzger + partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, und des Nebenintervenienten auf Seiten der beklagten Partei E***** S*****, vertreten durch Mag. Johann Kaltenegger, Rechtsanwalt in Frohnleiten, wegen 4.462,09 EUR sA und Feststellung (Streitwert 1.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom 28. September 2016, GZ 1 R 70/16k‑41, womit das Urteil des Bezirksgerichts Judenburg vom 28. Dezember 2015, GZ 17 C 17/14h‑33, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00243.16Y.0817.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und dem Nebenintervenienten die jeweils mit 626,52 EUR (darin enthalten 104,42 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Die Beklagte ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU).

Am 21. 11. 2013 fuhr der Kläger, ein Arbeitnehmer der ÖBB‑Produktions GmbH, die ihrerseits ein Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) ist, als Triebfahrzeugführer mit seinem Triebfahrzeug aus Richtung Z***** kommend mit ca 60 km/h in den Bereich des Bahnhofs K***** ein. Zur selben Zeit verließ ein pensionierter ÖBB‑Bediensteter, der Nebenintervenient, die dortige Betriebskantine und begann auf Höhe des Verschubmitarbeitergebäudes ungeachtet der dort befindlichen entsprechenden Hinweis-/Verbotstafel und im Bewusstsein des Verbots, die Gleise zu betreten, die Gleise zu überqueren, obwohl er das sich annähernde Triebfahrzeug wahrnehmen konnte. Der Kläger betätigte bei Ansichtigwerden der querenden Person das Makrophon und leitete eine Schnellbremsung ein. Als das Triebfahrzeug noch ca 300 m entfernt war, stürzte der Nebenintervenient auf dem vom Triebwagen benutzten Gleis und versuchte vergeblich wieder aufzustehen. Das Triebfahrzeug kam unmittelbar vor dem Gestürzten zum Stillstand, sodass eine Kollision knapp unterblieb.

Im Bereich des Verschubmitarbeitergebäudes und der gegenüberliegenden Kantine kommt es vor allem zu Schichtbeginn zu vermehrten unbefugten Gleisquerungen, die der Beklagten auch seit Jahren bekannt sind.

Der Kläger begehrt aufgrund des erlittenen Schocks Schmerzengeld und Verdienstentgang und stellt ein Feststellungsbegehren für zukünftige Schäden. Die Beklagte sei ihrer Verpflichtung aus § 30 iVm §§ 46 bis 47b EisbG nicht nachgekommen und habe die Schutznormen des § 19 EisbG und des § 47c EisbG iVm den Eisenbahnschutzvorschriften (EisbSV) sowie § 3 ASchG iVm den §§ 1 bis 3 Eisenbahn‑Arbeitnehmer-Innenschutzverordnung (EisbAV) verletzt, obwohl das Problem der Gleisüberschreitungen bekannt gewesen sei.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren übereinstimmend ab. Auch wenn die Beklagte von den unbefugten Gleisquerungen gewusst habe, sei eine Sicherung des Bereichs durch die Errichtung eines Zaunes „keineswegs notwendig und schon gar nicht zumutbar“ gewesen. Das Berufungsgericht ließ die Revision zur Frage zu, ob das Aufstellen von auf das Verbot der Gleisquerung hinweisenden Tafeln eine ausreichende Sicherungsmaßnahme sei.

Der Kläger legt in seiner Revision ausführlich dar, dass eine Verletzung der zitierten Schutznormen vorliege, von deren Schutzzweck der Kläger umfasst sei. Die Beklagte habe die sie treffende Verkehrssicherungspflicht in Form des Aufstellens eines Zaunes verabsäumt. Dies sei ihr insbesondere im Hinblick auf ihre Verpflichtung nach § 19 EisbG auch zumutbar gewesen. Zuletzt macht die Revision sekundäre Feststellungsmängel geltend.

Rechtliche Beurteilung

Damit vermag der Rechtsmittelwerber aber keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, sodass die Entscheidung entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) –Ausspruch des Berufungsgerichts nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage abhängt:

1. Nach § 19 Abs 1 EisbG ist ein zum Bau und zum Betrieb von Eisenbahnen berechtigtes Eisenbahnunternehmen verpflichtet, die Eisenbahn einschließlich der zugehörigen Eisenbahnanlagen, Betriebsmittel und des sonstigen Zugehörs unter Berücksichtigung der Sicherheit, der Ordnung und der Erfordernisse des Betriebs der Eisenbahn und des Verkehrs auf der Eisenbahn zu bauen, zu erhalten, zu ergänzen und nach Maßgabe der Rechtsvorschriften und entsprechend der nach diesem Bundesgesetz erforderlichen Konzessionen, Genehmigungen und Bewilligungen zu betreiben, und hat diesbezüglich die notwendigen Vorkehrungen zu treffen.

2. Die übrigen vom Rechtsmittelwerber als Schutzgesetze angesehenen Bestimmungen sehen – soweit sie sich nicht ohnehin an Bahnbenützende bzw Arbeitnehmer und nicht an die Beklagte richten (vgl § 47 ff EisbG, § 1 EisbSV etc) – in ebenso genereller Form allgemeine Pflichten der Arbeitgeber für die Sicherheit und Gesundheit ihrer Arbeitnehmer zu sorgen (vgl § 3 Abs 1 ASchG) vor.

3. Selbst wenn man mit der Revision die Beachtlichkeit des § 19 Abs 1 EisbG als auch den Kläger umfassende Schutznorm vorauszusetzen hätte (vgl dazu Netzer in Altenburger/N. Raschauer, Umweltrecht Kommentar, § 19 EisbG Rz 2 und Catharin/Gürtlich, Eisenbahngesetz² § 19 Anm 3, wonach die Bestimmung auf den Schutz von Leben, Gesundheit und Eigentum von Bahnbenützenden, Bediensteten und Dritten abzielt), lag es am Kläger zu behaupten und zu beweisen, dass die Beklagte diese Schutznorm objektiv übertreten hat (RIS‑Justiz RS0112234). Das Gelingen dieses Beweises hat im Ergebnis – mit erkennbarer Billigung des Berufungsgerichts – schon das Erstgericht verneint, indem es die Ansicht vertrat, dass die getroffenen Maßnahmen (Hinweis‑ und Verbotstafeln) verbunden mit der Tatsache, dass es sich bei dem fraglichen Teil des Bahnhofgeländes um einen nichtöffentlichen Bereich handle und das Verbot des Betretens von Bahngleisen allgemein bekannt sei, als ausreichend erachtete, sodass die Errichtung eines Zaunes „keineswegs notwendig“ sei.

4. Die Beurteilung dieser Frage ist typischerweise von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig und wirft daher keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf, sofern ihr nicht eine krasse Fehleinschätzung der Rechtslage zugrunde liegt. Eine solche ist den Vorinstanzen nicht unterlaufen:

Der Kläger beharrt weiterhin darauf, dass insbesondere der Schutznorm des § 19 Abs 1 EisbG nur durch die Errichtung eines Zaunes entsprochen hätte werden können. Dem ist entgegenzuhalten, dass keine der von ihm im Rechtsmittel angeführten Normen eine nähere Regelung enthält, auf welche Weise sie zu erfüllen ist. Sowohl § 30 EisbG als auch die Verwaltungsstrafbestimmung des § 162 Abs 1 EisbG, die ausdrücklich das unbefugte Queren der Gleise unter Strafe stellt, zeigen, dass das Gesetz vor allem eine auf Willensbeugung der zuwiderhandelnden Personen ausgerichtete Reaktion für tauglich erachtet. Dass derartige Kontrollen nicht stattgefunden hätten, wird in der Revision nicht mehr geltend gemacht. Eine Verpflichtung zur Errichtung mechanischer Hindernisse, die ein Betreten der Gleisanlagen durch Unbefugte (§§ 46 ff EisbG) unterbinden, wird dagegen gesetzlich nicht vorgeschrieben.

5. Auch bei der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht richtet sich das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen einen Schadenseintritt nach den Umständen des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0029874). Die von den Vorinstanzen getroffene Wertung, dass die Errichtung eines Zaunes seitens der Beklagten in der konkreten Situation angesichts der bestehenden Verbots- und Hinweistafeln nicht notwendig war, ist auch insoweit vertretbar.

Auf die geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel kommt es daher nicht mehr an.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Da der Beklagte und der Nebenintervenient in ihren Revisionsbeantwortungen jeweils auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen haben, dienten ihre Schriftsätze zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung.

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