European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00050.17V.0725.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der bei der Klägerin als LKW‑Fahrer beschäftigte Beklagte stürzte mit dem von ihm gelenkten Tanklastkraftfahrzeug am 4. 3. 2016 bei Glatteis in einen Straßengraben. Noch am selben Tag besichtigte der Geschäftsführer der Klägerin die Unfallstelle.
Am 21. 6. 2016 wurde der Klägerin der Abschlussbericht der LPD NÖ übermittelt. Mit Schreiben vom 16. 8. 2016 machte die Klägerin erstmals Schadenersatzansprüche gegen den Beklagten geltend.
Mit der vorliegenden Klage vom 25. 8. 2016 begehrt die Klägerin unter Einrechnung eines richterlichen Mäßigungsrechtes zwei Drittel des Schadens, den sie durch den vom Beklagten grob fahrlässig herbeigeführten Unfall erlitten habe.
Der Beklagte beantragte Klagsabweisung. Die geltend gemachten Schadenersatzansprüche seien nach Art XII des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Kollektivvertrags für Arbeiter in Güterbeförderungsgewerbe verfallen. Die Klägerin sei noch am Unfallstag in Kenntnis von Schaden und Schädiger gewesen, habe den Anspruch aber nicht binnen drei Monaten ab dieser Kenntnis schriftlich geltend gemacht. Überdies habe er den Unfall nicht verschuldet.
Die Klägerin hielt dem Verfallseinwand entgegen, dass sie erst nach Erhalt des Abschlussberichts der LPD NÖ erkennen habe können, dass der Unfall vom Beklagten verschuldet worden sei. Bis zu diesem Zeitpunkt sei sie davon ausgegangen, dass Ursache des Unfalls – wie vom Beklagten ihr gegenüber geschildert – plötzlich auftretendes Glatteis gewesen sei.
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren wegen Verfalls ab. Das Berufungsgericht lastete der Klägerin einen Verstoß gegen die sie treffende Erkundigungspflicht an. Angesichts der Umstände des Unfalls sei es durchaus naheliegend gewesen, neben plötzlich auftretendem Glatteis auch einen Fahrfehler oder eine zu hohe Risikobereitschaft des Beklagten in Betracht zu ziehen und sich nicht bloß mit dessen Behauptung zu begnügen. Die für Umstände über die Grenzen der Erkundigungspflicht behauptungspflichtige Klägerin habe nicht vorgebracht, warum die Beischaffung des Polizeiprotokolls über den Unfall innerhalb der Dreimonatsfrist nicht möglich oder zu mühevoll gewesen wäre. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Reichweite der Erkundigungspflicht des Geschädigten von den Umständen des Einzelfalls abhänge.
In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe, hilfsweise die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen.
Der Beklagte hat – trotz Freistellung durch den Obersten Gerichtshof – keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts zulässig, weil sich die Entscheidung der Vorinstanzen als korrekturbedürftig erweist. Die Revision ist dementsprechend im Sinn des subsidiär gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
1. Nach Art 12 Z 2 des Kollektivvertrags für Arbeiter in Güterbeförderungsgewerbe (im Folgenden: KollV) müssen Ansprüche des Dienstgebers gegen den Dienstnehmer wegen von diesem verursachter Schäden vom Dienstgeber innerhalb von drei Monaten ab Kenntnis gegen den Dienstnehmer schriftlich geltend gemacht werden, widrigenfalls der Anspruch verfällt.
2. Diese Frist wird ebenso wie die (kurze) Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB erst in Lauf gesetzt, wenn der Ersatzberechtigte sowohl den Schaden als auch den Ersatzpflichtigen so weit kennt, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann (9 ObA 187/88; RIS‑Justiz RS0034524). Nach ständiger Rechtsprechung darf sich der Geschädigte aber nicht passiv verhalten und es einfach darauf ankommen lassen, dass er von den für eine Erfolg versprechende Anspruchsverfolgung wesentlichen Tatsachen eines Tages zufällig Kenntnis erlangt (9 Ob 32/15v mwN). Wenn der Geschädigte die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre. Die Erkundigungsobliegenheit des Geschädigten darf aber nicht überspannt werden (9 ObA 152/08f; RIS‑Justiz RS0034327; Dehn in KBB4 § 1489 ABGB Rz 3; R. Madl in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.04 § 1489 Rz 18).
3. Wie sich aus § 1501 ABGB ergibt, ist die Verjährung nur insoweit zu prüfen, als sie von der belangten Partei geltend gemacht wird. Die Behauptungs- und Beweislast für die die Verjährung begründenden Umstände, insbesondere den Beginn der Verjährungsfrist, trifft denjenigen, der die Verjährungseinwendung erhebt (RIS‑Justiz RS0034456 [T4]; RS0034198 [T1, T2]). In diesem Sinn hat der Schadenersatzpflichtige den Beweis dafür zu erbringen, dass die maßgebliche Kenntnis auf Seiten des Schadenersatzgläubigers bereits zu einem bestimmten Zeitpunkt bestanden hat (RIS‑Justiz RS0034456 [T3]).
Die diesbezügliche Behauptungs- und Beweispflicht des Geschädigten gilt auch dann, wenn sich ein Beklagter nicht auf die positive Kenntnis des Schädigers von den nach § 1489 Satz 1 ABGB maßgeblichen Umständen, sondern darauf beruft, der Geschädigte hätte – im Sinne der oben erwähnten Erkundigungsobliegenheiten – ausreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen maßgeblicher Tatsachen gehabt und diese Umstände zu einem bestimmten Zeitpunkt in Erfahrung gebracht, wenn er diesen Anhaltspunkten nachgegangen wäre (1 Ob 124/13m).
4. Im vorliegenden Fall hat der Beklagte seinen Verfallseinwand ausschließlich damit begründet, dass die Klägerin bereits am Unfallstag (4. 3. 2016) in Kenntnis von Schaden und Schädiger gewesen sei, weshalb die schriftliche Geltendmachung (16. 8. 2016) außerhalb der dreimonatigen Frist des § 20 KollV erfolgt sei. Dies lässt sich aus dem festgestellten Sachverhalt aber nicht ableiten. Steht doch vielmehr fest, dass (erst) aus dem der Klägerin übermittelten Abschlussbericht der LPD NÖ und einer darin enthaltenen Zeugenaussage hervorgeht, dass der Beklagte schon bei der Bergauffahrt Probleme mit dem Glatteis hatte und die Bergabfahrt möglicherweise trotz Kenntnis der schlechten Fahrverhältnisse versuchte. Auf eine Verletzung der Erkundigungsobliegenheit durch die Klägerin hat der Beklagte seinen Verfallseinwand hingegen nicht gestützt und dazu auch kein Tatsachenvorbringen erstattet. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts musste daher die Klägerin nicht erklären, weshalb es ihr innerhalb der kollektivvertraglichen Dreimonatsfrist unzumutbar, unmöglich oder zu mühevoll gewesen wäre, die näheren Umstände des Unfalls zu erheben und das Polizeiprotokoll beizuschaffen.
5. Die Klägerin hat daher die von ihr mit der Klage geltend gemachten Schadenersatzansprüche rechtzeitig innerhalb der dreimonatigen Verfallsfrist des Art 12 Z 2 des Kollektivvertrags für Arbeiter in Güterbeförderungsgewerbe schriftlich geltend gemacht, weshalb Verfall nicht eingetreten ist. Da zur weiteren Prüfung von Grund und Höhe der Schadenersatzansprüche nähere Feststellungen erforderlich sind, erweist sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig.
In Stattgebung der Revision der Klägerin waren die Entscheidungen der Vorinstanzen daher aufzuheben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)