European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00130.16H.0713.000
Spruch:
Die Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens werden zurückgewiesen.
Der Antrag auf außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens wird abgewiesen.
Die Anträge auf Hemmung des Strafvollzugs und auf Gewährung von Verfahrenshilfe werden zurückgewiesen.
Gründe:
Andrzej S***** wurde mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 19. Mai 2015 (ON 345) des Verbrechens des „schweren und gewerbsmäßig schweren Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 2, 129 Z 1, Z 2, 130 dritter und vierter Fall“, 15 Abs 1 StGB idF vor BGBl I 2015/112 (A./1./–19./), der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (B./1./–8./) und der Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs 3 StGB (C./) schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt.
Nach Zurückweisung seiner Nichtigkeitsbeschwerde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 19. Mai 2016, GZ 11 Os 106/15w‑17 (11 Os 107/15t, 11 Os 110/15h, 11 Os 121/15a; ON 523 der Hv‑Akten), gab das Oberlandesgericht Innsbruck seiner Berufung mit Urteil vom 29. Juni 2016, AZ 6 Bs 169/16b (ON 558), nicht Folge. Diese Entscheidung wurde dem Verteidiger am 15. Juli 2016 zugestellt.
In einem Eingabenkonvolut vom 20. September 2016 begehrte der (rechtskräftig) Verurteilte vorerst die außerordentliche Wiederaufnahme des Strafverfahrens durch den Obersten Gerichtshof.
Rechtliche Beurteilung
Da der Verurteilte selbst zur Stellung eines solchen Antrags nicht legitimiert ist, war dieser abzuweisen (§ 362 Abs 3 StPO; RIS‑Justiz RS0101133). Sein Begehren auf Hemmung des Strafvollzugs war zurückzuweisen, weil dem Verurteilten auch kein darauf gerichtetes Antragsrecht zukommt.
Insoweit der Einschreiter mit seiner Eingabe auch die Erhebung einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§§ 23, 292 StPO) „anregen“ will, ist er darauf zu verweisen, dass der Oberste Gerichtshof nur für die Entscheidung über eine solche Beschwerde, nicht aber für deren Erhebung zuständig ist (13 Ns 9/88).
Der Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers „zur gesetzeskonformen Geltendmachung/Anregung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes“ war zurückzuweisen, weil die Erhebung eines solchen Rechtsbehelfs ausschließlich der Generalprokuratur zukommt, der eine Kopie des Eingabekonvoluts übermittelt wurde (vgl 13 Os 7/00).
Mit nicht anwaltlich gefertigten Schreiben vom 10. und 25. Oktober 2016 begehrt Andrzej S***** in Ansehung der genannten Urteile des Landesgerichts und des Oberlandesgerichts Innsbruck die
Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO (per analogiam).
Diese Anträge waren mangels Vorliegens einer gemäß § 363b Abs 2 Z 1 StPO zwingend erforderlichen Unterschrift eines Verteidigers, was einer Verbesserung nicht zugänglich ist (RIS‑Justiz RS0122737 [T30]), bereits bei nichtöffentlicher Beratung als unzulässig zurückzuweisen.
Am 31. Dezember 2016 stellte der Verfahrenshilfeverteidiger des Verurteilten im elektronischen Rechtsverkehr – also einer eigenhändigen Unterfertigung nicht bedürftig (vgl RIS‑Justiz RS0125146) – neuerlich (zur Zulässigkeit Reindl‑Krauskopf, WK‑StPO § 363b Rz 4) den Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gegen die obbezeichneten Urteile, der weite Teile der Eingabe vom 10. Oktober 2016 und eines weiteren Schreibens vom 11. Oktober 2016 enthält.
Dieser Antrag ist nicht berechtigt.
Für einen – wie hier – nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrag, bei dem es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt, gelten alle gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 EMRK sinngemäß (RIS‑Justiz RS0122737).
Dem Erfordernis der Ausschöpfung des Rechtswegs wird entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen
Gebrauch gemacht wurde (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventionsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im
Instanzenzug vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; RIS‑Justiz RS0122737 [T13]).
Die Zulässigkeitsvoraussetzung des Art 35 Abs 2 lit b erster Fall EMRK ist wiederum dann nicht erfüllt, wenn der Antrag insoweit „im Wesentlichen“ mit einer schon vorher vom Obersten Gerichtshof geprüften „Beschwerde“, nämlich der Nichtigkeitsbeschwerde übereinstimmt (RIS‑Justiz RS0122737).
Aus diesem Grund erweisen sich die weitwendigen gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 19. Mai 2015 gerichteten Ausführungen als unzulässig, soweit sie bereits in der gegen dieses erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde thematisiert wurden, wie etwa die Behauptung
‑ eines Verfolgungshindernisses infolge Einstellung des Verfahrens AZ 11 St 157/12p der Staatsanwaltschaft Salzburg und die Unzuständigkeit des Staatsanwaltschaft Innsbruck,
‑ der Unzuständigkeit des Oberlandesgerichts Innsbruck zur Entscheidung über den Anklageeinspruch,
‑ eines Verfolgungshindernisses infolge Sicherstellung von Diebsgut, anderen Gegenständen und Urkunden in einem zur Sachfahndung ausgeschriebenen in Deutschland gestohlenen Pkw,
‑ mangelhafter Urteilsfeststellungen und rechtlicher Beurteilung durch das Erstgericht,
‑ unzulässiger Verwertung der Ergebnisse der molekulargenetischen Untersuchungen und
‑ von Befangenheit des Sachverständigen Dr. S*****, wobei in diesem Umfang auch eine sachgerechte Antragstellung in der Hauptverhandlung unterblieb.
Dem darüber hinausgehenden, gegen das Ersturteil gerichteten Vorbringen des Erneuerungsantrags, wie etwa dem Vorwurf der Nichteinhaltung der gesetzlichen Vorbereitungsfrist infolge behaupteter vielfacher Gesetzesverstöße nicht in Rechtskraft erwachsener Anklageschrift, den aus einer Berichtigung der Anklage durch die Staatsanwaltschaft abgeleiteten Verfahrensfehlern und der behaupteten Unverwertbarkeit der Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung mangelt es hingegen an der (horizontalen) Erschöpfung des Instanzenzugs, sodass es schon aus diesem Grund unbeachtlich ist.
Dass die Unterlassung der Belehrung des Antragstellers anlässlich seiner Festnahme über die Möglichkeit der Verständigung seiner konsularischen Vertretung (vgl § 171 Abs 4 Z 2 lit c iVm Art 36 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen [WÜK]; BGBl 1969/318) durch die Justizwache am 18. Dezember 2014 (ON 14 in ON 11) eine grundrechtsrelevante Rechtsverletzung darstellt, wurde vom Obersten Gerichtshof zu AZ 11 Os 15/14s in Entscheidung über eine Grundrechtsbeschwerde bereits ausgesprochen und auch vom Oberlandesgericht Innsbruck in seiner Berufungsentscheidung berücksichtigt. Weshalb dies jedoch eine Grundrechtsverletzung iSd § 363a Abs 1 StPO durch das verurteilende Erkenntnis des Landesgerichts Innsbruck nach sich ziehen sollte, vermag der Antrag nicht nachvollziehbar darzulegen.
Soweit der Erneuerungsantrag die Ausgeschlossenheit der beisitzenden Richterin Dr. Klammer anlässlich der Berufungsentscheidung durch das Oberlandesgericht Innsbruck infolge deren Vorbefassung im Ermittlungsverfahren durch Teilnahme an der Entscheidung des Oberlandesgerichts über zwei Beschwerden behauptet, scheitert er schon an einer sofortigen Geltendmachung anlässlich der Berufungsverhandlung (Lässig, WK‑StPO § 44 Rz 11), weil die Geschäftsverteilung (ähnlich wie die Dienstlisten für Geschworene und Schöffen; vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 140) allgemein zugänglich ist und dem damaligen Verteidiger auch die beiden in Rede stehenden Entscheidungen AZ 11 Bs 51/15k und AZ 11 Bs 62/15b des Oberlandesgerichts Innsbruck zugestellt wurden (ON 202 und ON 224). Überdies ist Ausgeschlossenheit insbesondere nach § 43 Abs 2 und Abs 3 StPO in der vorliegenden Konstellation nicht erkennbar.
Der Erneuerungsantrag war daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung als offenbar unbegründet zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).
Über Antrag des Verurteilten vom 20. Juni 2016 hat das Oberlandesgericht Innsbruck eine Ablichtung von dessen Beschwerde vom 15. Mai 2017 als weiteres Vorbringen zum Erneuerungsantrag vorgelegt. Auf dieses war jedoch nicht Bedacht zu nehmen, weil in ein‑ und derselben Sache nur ein Erneuerungsantrag zusteht (RIS‑Justiz RS0123231).
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