OGH 28Ds1/17m

OGH28Ds1/17m18.5.2017

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 18. Mai 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden und den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil als weiteren Richter sowie durch die Rechtsanwälte Dr. Wippel und Dr. Strauss als Anwaltsrichter in Anwesenheit der Richteramtsanwärterin Mag. Adamowitsch in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, über die Beschwerde des Kammeranwalts gegen den Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 24. Oktober 2016, AZ D 4/16, nach Anhörung der Generalprokuratur den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0280DS00001.17M.0518.000

 

Spruch:

Der Beschwerde wird keine Folge gegeben.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 24. Oktober 2016, AZ D 4/16, wurde ausgesprochen, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung des Rechtsanwalts ***** wegen des Vorwurfs bestehe, er habe als mit Bescheid der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 11. Mai 2015, VZ 15/0477, bestellter Verfahrenshelfer seine Aufgaben nicht ordnungsgemäß wahrgenommen, indem er keine Klage des Martin J***** gegen dessen ehemaligen Vertreter *****, Rechtsanwalt in *****, einbrachte, sondern ein solches Vorgehen wegen Aussichtslosigkeit verweigerte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen gerichtete, die Fassung eines Einleitungsbeschlusses anstrebende Beschwerde des Kammeranwalts schlägt fehl.

Dem Verfahren liegt eine Anzeige des Martin J***** zu Grunde, wonach der für ihn als Verfahrenshelfer bestellte Disziplinarbeschuldigte seinen Aufgaben nicht ordnungsgemäß nachgekommen sei, weil er zwar Unterlagen zur Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen den vormaligen Rechtsvertreter des Anzeigers, Rechtsanwalt *****, entgegengenommen, jedoch keine Klage verfasst, sondern nach Ablauf von acht Wochen in einer schriftlichen Mitteilung an die Verfahrenshilfe genießende Partei die „Beweise verdreht“ und erklärt habe, keine Anspruchsgrundlagen für Schadenersatzansprüche gegen ***** zu sehen.

Der Disziplinarbeschuldigte nahm hiezu dahingehend Stellung, dass er nach einer Besprechung mit Martin J***** und bei Prüfung der ihm vorgelegten Unterlagen zum Ergebnis gelangt sei, die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegenüber Rechtsanwalt ***** sei aussichtslos. Dies habe er Martin J***** in einem Schreiben vom 20. Juli 2015 ausführlich erläutert, dem bestellenden Gericht sowie der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich zur Kenntnis gebracht und die genannten Stellen auch darüber informiert, dass die Verfahrenshilfe genießende Partei ihm das Vertrauen entzogen und seine Unterlagen zurückgefordert habe. Bis zur Anzeigeerstattung habe weder das Gericht noch die Rechtsanwaltskammer Niederösterreich auf seine Mitteilung reagiert.

Laut Bericht des Untersuchungskommissärs ließ der Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 30. April 2015, AZ 56 Nc 2/15c, mit dem Martin J***** Verfahrenshilfe „vor Einleitung des Verfahrens“ gewährt worden war, den bezughabenden Streitfall gar nicht erkennen. Der von der Rechtsanwaltskammer bestellte Disziplinarbeschuldigte führte mit der Verfahrenshilfe genießenden Partei eine Besprechung durch, prüfte vorgelegte Urkunden und stufte schließlich dessen Ansinnen auf Schadenersatz begründet als aussichtslos ein, was er dem Anzeiger ausführlich erläuterte.

Daraufhin kündigte Martin J***** eine Beschwerde bei der Rechtsanwaltskammer an und erklärte, auf eine weitere Vertretung durch Rechtsanwalt ***** zu verzichten. Der Disziplinarbeschuldigte regte im Anschluss daran beim Landesgericht Wiener Neustadt die Entziehung der Verfahrenshilfe und bei der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich eine Umbestellung an und setzte den Anzeiger hievon in Kenntnis. Der neu bestellte Verfahrenshelfer des Martin J*****, Rechtsanwalt *****, brachte schließlich eine (im Sinne der Verfahrenshilfe genießenden Partei verfasste) Klage bei Gericht ein.

Im nunmehr angefochtenen Beschluss führte der Disziplinarrat aus, keine Verletzung von Berufspflichten oder eine Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes darin zu erblicken, dass der für die Verfahrenshilfe „vor Einleitung des Verfahrens“ bestellte Disziplinarbeschuldigte nach Besprechung mit dem Klienten und Prüfung vorgelegter Unterlagen die angestrebte Schadenersatzforderung als aussichtslos einstufte und daher eine Klagsführung gegen Rechtsanwalt ***** begründet – nämlich zur Vermeidung von Kostenfolgen für Martin J***** – ablehnte. Dies zumal ***** sowohl das Landesgericht Wiener Neustadt als auch die Rechtsanwaltskammer Niederösterreich hierüber in Kenntnis gesetzt und darüber hinaus die Verfahrenshilfe genießende Partei ausführlich begründet informiert hatte, welche daraufhin auf die weitere Vertretung durch den Disziplinarbeschuldigten verzichtete.

Ein Beschluss des Inhalts, dass kein Grund zur Disziplinarbehandlung vorliegt (Einstellungsbeschluss), darf vom Disziplinarrat gefasst werden, wenn kein Verdacht eines ein Disziplinarvergehen begründenden Verhaltens des angezeigten Rechtsanwalts im Sinn des § 28 Abs 2 DSt vorliegt. Vom Fehlen eines solchen Verdachts ist dann auszugehen, wenn die zur Last gelegte Tat weder eine Berufspflichtenverletzung noch eine Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begründet, sonst ein Grund vorliegt, der eine Disziplinarverurteilung aus rechtlichen Gründen ausschließt, oder aber, wenn – im Licht des § 212 Z 2 StPO – das vorliegende Tatsachensubstrat Grund zur Annahme bietet, dass Dringlichkeit und Gewicht des Tatverdachts nicht ausreichen, um eine Verurteilung des Disziplinarbeschuldigten auch nur für möglich zu halten, wobei von weiteren Ermittlungen eine Intensivierung des Verdachts nicht zu erwarten ist.

Diese Beurteilung ist Sache der Beweiswürdigung des Senats gemäß § 28 DSt, während dem erkennenden Disziplinarrat gemäß § 30 DSt die Prüfung vorbehalten ist, ob sich ein bestehender Verdacht zum Schuldbeweis verdichtet hat (RIS‑Justiz http://www.ris.bka.gv.at/Ergebnis.wxe?Abfrage=Justiz&Rechtssatznummer=RS0056973&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False ).

§ 9 RAO verpflichtet auch den als Verfahrenshelfer einschreitenden Rechtsanwalt (§ 56 RL‑BA 1977 und § 50 RL‑BA 2015; RIS‑Justiz RS0109721), übernommene Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Der Schutzzweck des Verhältnisses eines Rechtsanwalts zu seinem Mandanten, diesem zur bestmöglichen Rechtsdurchsetzung oder Rechtsverteidigung zu verhelfen, umfasst auch die Vermeidung von Nachteilen, die vorhersehbar mit der Führung und insbesondere mit dem Verlust eines Prozesses verbunden sein könnten und gebietet daher die Aufklärung des Mandanten, wenn eine Prozessführung aussichtslos erscheint (RIS‑Justiz RS0112203).

Mit Blick auf die Annahmen des Disziplinarrats in der angefochtenen Entscheidung, wonach der Disziplinarbeschuldigte vorliegend die Klagsführung begründet und zur Vermeidung von Kostenfolgen für die Verfahrenshilfe genießende Partei ablehnte und dies sowohl seinem Mandanten als auch dem Gericht und der Rechtsanwaltskammer mitteilte, vermag die Beschwerde, die ihrerseits auf einzelne Passagen der Schreiben des Disziplinarbeschuldigten vom 20. Juli 2015 und vom 6. August 2015 hinweist und darin eine „einseitige, pflichtwidrige Ablehnung der Vertretung durch den Disziplinarbeschuldigten“ ortet, gerade keine Anhaltspunkte für eine (schuldhafte) Verletzung von Standesvorschriften durch Rechtsanwalt ***** aufzuzeigen. Gehört doch die im Schreiben an Martin J***** zum Ausdruck gebrachte Information des Mandanten zu essentiellen Aufgaben eines Rechtsanwalts

, während ein (ebenfalls gestellter) Antrag auf Enthebung gemäß § 45 Abs 4 RAO die Darstellung der insofern maßgeblichen Gründe erfordert, welche durchaus darin gelegen sein können, dass das für eine sinnvolle Vertretung notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Partei nicht hergestellt werden kann oder weggefallen ist (vgl M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 II/1 § 67 ZPO Rz 6).

Gleichermaßen hat ein an das Gericht gerichteter Antrag auf Entziehung der Verfahrenshilfe (§ 68 Abs 2 ZPO) die insofern maßgeblichen Gründe zu erläutern (vgl M. Bydlinski in Fasching/Konecny 3 II/1 § 68 ZPO Rz 17).

Die Beschwerdeargumentation, der Disziplinar-beschuldigte wäre verhalten gewesen, „so lange Vertretungshandlungen für den Anzeiger durchzuführen, als er als Verfahrenshelfer bestellt ist und ihm die Verfahrenshilfe nicht entzogen ist“, blendet aus, dass Martin J***** mehrfach zum Ausdruck gebracht hatte, eine Vertretung durch den Rechtsanwalt ***** nicht mehr zu wünschen.

Ein Eingehen auf die Frage, inwieweit die (von der Beschwerde behauptete) für eine Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes erforderliche Publizität gegeben war, erübrigte sich daher.

Der Beschwerde war daher keine Folge zu geben.

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