OGH 13Os85/16y

OGH13Os85/16y17.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Mai 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Adamowitsch als Schriftführerin in der Finanzstrafsache gegen Klaus K***** und andere Angeklagte wegen Finanzvergehen des gewerbsmäßigen Schmuggels nach §§ 35 Abs 1 lit a, 38 Abs 1 FinStrG sowie weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten Klaus K***** sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 18. März 2016, GZ 621 Hv 3/14k‑249, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0130OS00085.16Y.0517.000

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der Subsumtion der Klaus K***** und Sandor B***** angelasteten Taten nach § 38 Abs 1 lit a FinStrG idF BGBl I 2005/103 sowie demzufolge auch in den diese Angeklagten betreffenden Strafaussprüchen (einschließlich der über Klaus K***** verhängten Wertersatzstrafe) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Korneuburg verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und Klaus K***** auf die Aufhebung des diesen Angeklagten betreffenden Strafausspruchs verwiesen.

Dem Angeklagten Klaus K***** fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden (soweit hier von Bedeutung) Klaus K***** der Finanzvergehen der Abgabenhehlerei nach § 37 Abs 1 lit a FinStrG (I/A und D), der Abgabenhinterziehung nach §§ 13, 33 Abs 1 FinStrG (I/B und E) und des Schmuggels nach §§ 11 dritter Fall, 13, 35 Abs 1 lit a FinStrG (I/C) sowie jeweils mehrerer Finanzvergehen des Schmuggels nach § 35 Abs 1 lit a FinStrG (III) und der Hinterziehung von Eingangs‑ oder Ausgangsabgaben nach § 35 Abs 2 FinStrG (IV bis VI) und Sandor B***** der Finansvergehen des Schmuggels nach §§ 11 dritter Fall, 35 Abs 1 lit a FinStrG (II/A) sowie der Abgabenhinterziehung nach §§ 11 dritter Fall, 13, 33 Abs 1 FinStrG (II/B) schuldig erkannt, wobei das Erstgericht in allen Fällen auch Gewerbsmäßigkeit im Sinn des § 38 Abs 1 lit a FinStrG idF BGBl I 2005/103 als verwirklicht ansah.

Danach haben in L***** und an anderen Orten vorsätzlich sowie in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Finanzvergehen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen,

(I) Klaus K*****

A) am 16. Februar 2006 Sachen, hinsichtlich welcher ein Schmuggel begangen worden war, nämlich 9.489.600 Zigaretten, für die 218.640,38 Euro an Zoll zu entrichten waren, an sich gebracht,

B) durch die zu I/A beschriebene Tat unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige‑, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Verkürzung von 978.377,76 Euro an Tabaksteuer zu bewirken versucht,

C) im November 2005 zur Tat des Herbert M***** beigetragen, der versuchte, 8 Mio Zigaretten, für die 184.320 Euro an Zoll zu entrichten waren, vorschriftswidrig in das Zollgebiet zu verbringen, indem er sich vereinbarungsgemäß zur Abnahme der Zigarettenladung bereithielt,

D) am 10. Oktober 2007 Sachen, hinsichtlich welcher ein Schmuggel begangen worden war, nämlich 7.939.800 Zigaretten, für die 320.132,74 Euro an Zoll zu entrichten waren, an sich gebracht und

E) durch die I/D beschriebene Tat unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige‑, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Verkürzung an Tabaksteuer um 809.383,21 Euro zu bewirken versucht,

(II) Sandor B*****

A) am 9. Oktober 2007 durch Bargeldbereitstellung und Unterstützungsdienste beim Transport dazu beigetragen, dass eingangsabgabepflichtige Waren, nämlich 7.939.800 Zigaretten, für die 320.132,74 Euro an Zoll zu entrichten waren, vorschriftswidrig nach Slowenien und solcherart in das Zollgebiet der Europäischen Union eingeführt wurden, sowie

B) durch die zu II/A beschriebene Tat dazu beigetragen, dass Vinko O***** und Stanislav Z***** unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige‑, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Verkürzung an Tabaksteuer um 809.383,21 Euro bewirkten,

(III) Klaus K***** eingangsabgabepflichtige Waren, nämlich in China produzierte Schuhe, durch Falschangaben der zollamtlichen Überwachung entzogen, und zwar

A) vom 14. Juli 2006 bis zum 16. November 2006 im einverständlichen Zusammenwirken mit Manfred Ze*****, wobei auf die Waren Eingangsabgaben in der Höhe von 213.518,05 Euro entfielen, und

B) vom 8. August 2006 bis zum 27. November 2006 gemeinsam mit dem insoweit vorsatzlos handelnden Rudolf Ku*****, wobei auf die Waren Eingangsabgaben von 70.810,15 Euro entfielen,

(IV) Klaus K*****, ohne den Tatbestand des § 35 Abs 1 FinStrG zu erfüllen, unter Verletzung zollrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten, nämlich durch die Angabe unrichtiger Zollwerte für Schuh‑Lieferungen, Verkürzungen von Eingangsabgaben bewirkt, und zwar

A) vom 17. Mai 2006 bis zum 30. Oktober 2006 im einverständlichen Zusammenwirken mit Manfred Ze*****, wobei sich die Verkürzung auf 98.497,25 Euro belief, und

B) vom 28. August 2006 bis zum 19. Oktober 2006 gemeinsam mit dem insoweit vorsatzlos handelnden Rudolf Ku*****, wobei sich die Verkürzung auf 48.529,01 Euro belief,

(V) Klaus K*****, ohne den Tatbestand des § 35 Abs 1 FinStrG zu erfüllen, unter Verletzung zollrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten, nämlich durch die Vorspiegelung steuerbefreiter innergemeinschaftlicher Schuh‑Lieferungen, eine Verkürzung von Eingangsabgaben bewirkt, und zwar

A) vom 17. Mai 2006 bis zum 30. Oktober 2006 im einverständlichen Zusammenwirken mit Manfred Ze*****, wobei auf die Waren Eingangsabgaben von 280.887,83 Euro entfielen, und

B) vom 28. August 2006 bis zum 19. Oktober 2006 gemeinsam mit dem insoweit vorsatzlos handelnden Rudolf Ku*****, wobei auf die Waren Eingangsabgaben von 109.221,45 Euro entfielen,

(VI/A) Klaus K*****, ohne den Tatbestand des § 35 Abs 1 FinStrG zu erfüllen, unter Verletzung zollrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten, nämlich durch Falschangaben hinsichtlich der Bestimmungsorte und der Zollwerte von Schuh‑Lieferungen, eine Verkürzung von Eingangsabgaben bewirkt, und zwar

a) vom 20. April 2006 bis zum 24. Oktober 2006 im einverständlichen Zusammenwirken mit Manfred Ze*****, wobei sich der Verkürzungsbetrag auf 8.779.638,61 Euro belief, und

b) vom 3. August 2006 bis zum 6. November 2006 gemeinsam mit den insoweit vorsatzlos handelnden Rudolf Ku*****, wobei sich der Verkürzungsbetrag auf 1.206.183,10 Euro belief,

(VI/B) Klaus K*****, ohne den Tatbestand des § 35 Abs 1 FinStrG zu erfüllen, unter Verletzung zollrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten, nämlich durch Vorspiegelung umsatzsteuerbefreiter Lieferungen, eine Verkürzung von Eingangsabgaben bewirkt und zwar

a) vom 3. April 2006 bis zum 9. März 2007 im einverständlichen Zusammenwirken mit Manfred Ze*****, wobei auf die Waren 631.188,86 Euro an Einfuhr‑USt entfielen,

b) vom 8. August 2006 bis zum 2. April 2007 gemeinsam mit dem insoweit vorsatzlos handelnden Rudolf Ku*****, wobei auf die Waren 316.262,09 Euro an Einfuhr‑USt entfielen,

c) vom 9. Februar 2007 bis zum 3. April 2007 gemeinsam mit dem insoweit vorsatzlos handelnden Erhard T*****, wobei auf die Waren 77.037,14 Euro an Einfuhr‑USt entfielen, und

d) vom 1. April 2005 bis zum 8. Februar 2007 gemeinsam mit unbekannt gebliebenen Mitarbeitern und Zolldeklaranten, wobei auf die Waren 1.084.301,61 Euro an Einfuhr‑USt entfielen, sowie

(VI/C) Klaus K*****, ohne den Tatbestand des § 35 Abs 1 FinStrG zu erfüllen, unter Verletzung zollrechtlicher Anzeige‑, Offenlegungs‑ oder Wahrheitspflichten, nämlich durch unrichtige Angaben über den Kaufpreis importierter Textilien, Verkürzungen von Eingangsabgaben bewirkt, nämlich

a) vom 3. April 2006 bis zum 12. März 2007 im einverständlichen Zusammenwirken mit Manfred Ze*****, wobei sich die Verkürzung auf 10.955.867,71 Euro belief,

b) vom 2. August 2006 bis zum 23. März 2007 gemeinsam mit dem insoweit vorsatzlos handelnden Rudolf Ku*****, wobei sich die Verkürzung auf 16.906.545,86 Euro belief,

c) vom 8. Februar 2007 bis zum 23. März 2007 gemeinsam mit dem insoweit vorsatzlos handelnden Erhard T*****, wobei sich die Verkürzung auf 5.880.484,51 Euro belief, und

d) vom 12. Oktober 2005 bis zum 8. Februar 2007 gemeinsam mit unbekannt gebliebenen Mitarbeitern und Zolldeklaranten, wobei sich die Verkürzung auf 2.833.432,12 EUR belief.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus Z 9 lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Klaus K***** geht – wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – fehl.

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) – mit dem Ziel eines Freispruchs hinsichtlich der von den Schuldsprüchen IV, V und VI/C umfassten Vorwürfe – die Feststellungen zum darauf entfallenden strafbestimmenden Wertbetrag (§ 53 Abs 1 und 2 FinStrG) bestreitet, entfernt sie sich vom Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0099810).

Sofern das diesbezügliche Vorbringen, das Erstgericht sei insoweit zu Unrecht von der Richtigkeit der rechtskräftigen Abgabenbescheide ausgegangen, im Sinn des Einwands eines Begründungsmangels (Z 5) zu verstehen ist, sei hinzugefügt:

Nach ständiger Judikatur kommt einem Abgabenbescheid als dem Resultat eines fachspezifischen Ermittlungsverfahrens die Bedeutung einer qualifizierten Vorprüfung der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des im diesbezüglichen Finanzstrafverfahren aktuellen Finanzvergehens zu (RIS‑Justiz RS0087030). Ist der Abgabenbescheid – wie hier – in der Hauptverhandlung vorgekommen (§ 258 Abs 1 StPO), so ist es unter dem Aspekt hinreichender Urteilsbegründung (Z 5 vierter Fall) daher nicht zu beanstanden, wenn sich die Tatrichter im Rahmen ihrer Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO) auf einen solchen Bescheid stützen. Zur Urteilsvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) ist es freilich erforderlich, sich mit allfälligen gegenteiligen Verfahrensergebnissen auseinanderzusetzen. Da die Beschwerde weder fehlendes Vorkommen der Abgabenbescheide in der Hauptverhandlung einwendet, noch diesen Bescheiden widersprechende Verfahrensergebnisse aufzeigt, geht sie somit auch aus dem Blickwinkel des § 281 Abs 1 Z 5 zweiter und vierter Fall StPO ins Leere.

Entsprechendes gilt für die Sanktionsrüge (Z 11), die (ebenfalls) behauptet, das Erstgericht habe die Feststellungen zum strafbestimmenden Wertbetrag verfehlt auf die rechtskräftigen Abgabenbescheide gestützt (der Sache nach Z 11 erster Fall iVm Z 5 zweiter Fall [ Lässig in WK 2 FinStrG Vorbem Rz 21 mwN]), ohne Verfahrensergebnisse aufzuzeigen, die den Abgabenbescheiden widersprechen würden.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen.

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof jedoch, dass zum Nachteil der Angeklagten Klaus K***** und Sandor B***** das Gesetz unrichtig angewendet worden ist (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):

Das Erstgericht zog die Qualifikationsnorm des § 38 Abs 1 FinStrG idF BGBl I 2005/103 heran, weil es das zur Zeit seiner Entscheidung geltende Recht in seiner Gesamtauswirkung für die Täter nicht günstiger erachtete als das zur Zeit der Tat geltende Recht (§ 4 Abs 2 FinStrG).

Dabei übersah es, dass § 38 FinStrG mit dem – seit 1. Jänner 2016 und solcherart auch im Urteilszeitpunkt (18. März 2016) in Kraft stehenden – AbgÄG 2015 BGBl I 2015/163 neu gefasst worden ist. Ob die damit geänderten Tatbestandsvoraussetzungen des § 38 Abs 1 FinStrG erfüllt sind, ist aber der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen.

Auch die Urteilsaussage, wonach „das festgestellte Verhalten geeignet ist, nach geltendem Recht den Tatbestand des Abgabenbetruges“ zu erfüllen (US 310), führt keineswegs zur Anwendung des Tatzeitrechts, weil Feststellungen, wonach Klaus K***** und Sandor B***** tatsächlich die Tatbestandsvoraussetzungen des § 39 FinStrG erfüllt hätten, gerade nicht vorliegen.

Hinzu kommt, dass die den Schuldsprüchen I/C, VI/B und VI/C zugrunde liegenden Taten nach den Urteilsfeststellungen zum Teil vor dem 1. Jänner 2006 begangen worden sind, sodass Tatzeitrecht insoweit nicht (wie vom Erstgericht angenommen) die Fassung BGBl I 2005/103, sondern jene BGBl I 2004/57 des § 38 Abs 1 FinStrG ist.

Die Schuldsprüche der Angeklagten Klaus K***** und Sandor B***** waren daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285e StPO iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO in der Subsumtion nach § 38 Abs 1 FinStrG idF BGBl I 2005/103 aufzuheben, was die Aufhebung der diese Angeklagten betreffenden Strafaussprüche zur Folge hatte.

Hierauf waren die Staatsanwaltschaft und Klaus K***** mit ihren Berufungen zu verweisen.

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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