OGH 10ObS25/17z

OGH10ObS25/17z21.3.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Herbert Bauer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei I*****, vertreten durch Dr. Philip Worthing‑Smith, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4021 Linz, Gruberstraße 77, wegen Ersatz von 223,20 EUR an Fahrtkosten, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. Jänner 2017, GZ 11 Rs 126/16b‑27, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00025.17Z.0321.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die in Bad Leonfelden wohnhafte Klägerin konsultierte 2014 und 2015 verschiedene Ärzte und medizinische Einrichtungen ihres Vertrauens, die ihren Ordinationssitz bzw Sitz jeweils in Linz haben. Eine Begleitperson war (insbesondere wegen Schwindelanfällen) medizinisch notwendig.

Die beklagte Partei lehnte mit Bescheid vom 4. 2. 2016 den Antrag der Klägerin auf Erstattung der Reise‑(Fahrt‑)kosten mit öffentlichen Verkehrsmitteln von (insgesamt) 223,20 EUR mit der Begründung ab, dass sich die dem Wohnort der Klägerin nächstgelegenen geeigneten Vertragspartner in Freistadt befinden und die Entfernung zwischen dem Wohnort der Klägerin und diesen Vertragspartnern 20 km jeweils nicht übersteige. Eine medizinische Notwendigkeit der Überweisung an Fachärzte mit Ordinationssitz in Linz sei nicht gegeben.

Das Erstgericht wies die Klage auf Ersatz der (Fahrt‑)Reisekosten ab. Es stellte fest, dass die Entfernung zwischen Bad Leonfelden und Linz mehr als 30 km, die Entfernung zwischen Ortsmitte Bad Leonfelden und Ortsmitte Freistadt laut amtlichen Straßengraphen unter 20 km beträgt. Auch die Entfernung zwischen der Wohnadresse der Klägerin in Bad Leonfelden und dem jeweiligen Ordinationssitz von Ärzten entsprechender Fachrichtungen bzw zum Krankenhaus in Freistadt beträgt auf kürzestem Weg (hauptsächlich auf der Bundesstraße 38) unter 20 km. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, der Klägerin gebühre nach der Satzung der beklagten Partei kein Ersatz der Reise‑(Fahrt‑)kosten, weil die Entfernung zwischen Wohnort und nächstgelegener geeigneter medizinischer Einrichtung (Behandlungsstelle) in Freistadt 20 km nicht übersteige.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Es teilte die Rechtsansicht, bei der Beurteilung, ob die Entfernung zwischen Wohnort und nächst erreichbarem Vertragspartner 20 km übersteige, sei nicht auf die Entfernungen bzw Strecken abzustellen, die ein öffentliches Verkehrsmittel – im konkreten Fall der öffentliche Bus von Bad Leonfelden nach Freistadt – zurücklege, sondern auf die Entfernungen nach dem österreichischen amtlichen Straßengraphen. Gerade der ländliche Raum sei nicht lückenlos mit öffentlichen Verkehrsmitteln erschlossen. Zudem werden öffentliche Verkehrsmittel im ländlichen Raum oftmals nicht auf der kürzest möglichen (direktesten) Route geführt.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Klägerin, ist mangels einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

1. Gemäß § 133 Abs 2 ASVG hat der Kläger Anspruch auf eine ausreichende und zweckmäßige Krankenbehandlung, die das Maß des Notwendigen aber nicht überschreiten darf. Gemäß § 135 Abs 4 ASVG kann im Falle der Notwendigkeit der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe auch der Ersatz der Reise‑(Fahrt‑)kosten nach Maßgabe der Bestimmungen der Satzung gewährt werden. Bei der Festsetzung des Ausmaßes des Kostenersatzes bzw eines allfälligen Kostenanteils des Versicherten ist auf die örtlichen Verhältnisse und auf den dem Versicherten für sich bzw seinen Angehörigen bei Benutzung des billigsten öffentlichen Verkehrsmittel erwachsenden Reisekostenaufwand Bedacht zu nehmen, dies gilt auch bei Benutzung eines Privatfahrzeugs.

2.1 In Ausführung der Bestimmungen des ASVG regelt § 43 der Satzung der beklagten Partei in der anzuwendenden Fassung 2011, avsv 2011/113, den Ersatz der Reise‑(Fahrt‑)kosten. (Gemäß § 53 Abs 1 trat die Satzung 2011 mit dem Ablauf des Tages der Kundmachung der Satzung 2016, avsv 2016/173, im Internet außer Kraft, ist aber auf eingetretene Versicherungsfälle sowie geltend gemachte Leistungsansprüche, die vor ihrer Aufhebung verwirklicht wurden, weiterhin anzuwenden.)

2.2 Gemäß § 43 Abs 3 der Satzung 2011 ist für die Ermittlung des Reise‑(Fahrt‑)kostenersatzes die Entfernung vom Wohnort zum/zur nächst erreichbaren Vertragspartner/in desselben Fachgebiets bzw der nächstgelegenen geeigneten medizinischen Einrichtung heranzuziehen. § 43 Abs 4 der Satzung legt den Ersatz der Reise‑(Fahrt‑)kosten mit einem Kilometersatz von 0,09 EUR bzw bei Fahrten mit einer Begleitperson mit 0,14 EUR fest. Dies gilt unabhängig davon, welches Verkehrsmittel der/die Versicherte (Angehörige) tatsächlich benützt hat. Nach § 43 Abs 5 Z 1 und 2 der Satzung werden jedoch für Fahrten innerhalb des Ortsgebiets oder wenn die Entfernung zwischen Wohnort und Behandlungsstelle (Abs 3) 20 km nicht übersteigt, keine Fahrtkosten ersetzt.

3. Im Revisionsverfahren noch strittig ist, wie bzw nach welchen Kriterien die Beurteilung vorzunehmen ist, ob die in § 43 Abs 5 Z 2 der Satzung genannte Entfernung von 20 km unter‑ oder überschritten ist.

3.1 Dazu ist vorerst festzuhalten, dass die Satzung eines Versicherungsträgers ihrer Struktur nach eine Verordnung ist (RIS‑Justiz RS0053701). Sind die Voraussetzungen für einen im Gesetz eingeräumten Anspruch – wie hier – in einer Verordnung näher determiniert bzw finden sich in dieser nähere Beschränkungen, ist der Anspruch auf Grundlage der Verordnung zu prüfen. Solange eine wirksame Verordnung besteht, die einen Anspruch ausschließt, ist es unzulässig, unter Übergehung der Verordnung die die Grundlagen der Verordnung bildenden gesetzlichen Bestimmungen als Anspruchsgrundlage heranzuziehen. Diese können aber zur Auslegung des Verordnungstextes (im Sinn einer gesetzeskonformen Interpretation dieser Rechtsgrundlage) verwendet werden (RIS‑Justiz RS0105188).

3.2 Eine Regelung, die wie § 43 Abs 5 der Satzung der beklagten Partei für Fahrten zwischen Wohnort und Behandlungsort von weniger als 20 km gar keinen Kostenersatz vorsieht, wurde als mit den Anforderungen des § 135 Abs 4 ASVG vereinbar (und deshalb aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich) angesehen. Es wird sowohl auf die in § 135 Abs 4 ASVG angesprochenen örtlichen Verhältnisse als auch auf den durchschnittlich jedermann zumutbaren Reise‑(Fahrt‑)kostenaufwand Bedacht genommen. Den Kassen als Verordnungsgeber kann es nicht verwehrt sein, im Hinblick auf die örtlichen Verhältnisse als auch die persönlich zumutbaren Reisekostenaufwendungen von einer Pauschalbetrachtung auszugehen und auf den Regelfall abzustellen (10 ObS 284/98g, SSV‑NF 12/117; Felten in SV‑Komm [23. Lfg] § 135 ASVG Rz 30).

4.1 Im Hinblick auf diese Rechtsprechung liegt jedenfalls keine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlauslegung des § 43 Abs 5 der Satzung der beklagten Partei durch die Vorinstanzen vor, wenn diese davon ausgingen, es werde im Sinn einer Pauschalbetrachtung auf die Entfernung in Kilometern und nicht auf die konkrete Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln bzw auf das aktuelle Streckennetz öffentlicher Verkehrsmittel abgestellt, und dies auch damit begründet haben, nach § 135 Abs 4 Satz 2 ASVG sei auf die „örtlichen Verhältnisse“ Bedacht zu nehmen, ohne dass auf öffentliche Verkehrsnetze oder die Benutzung konkreter Verkehrsmittel Bezug genommen werde. Mit ihrem Vorbringen, da Linz von Bad Leonfelden mit öffentlichen Verkehrsmitteln einfacher, rascher und billiger zu erreichen sei als Freistadt, sei die Entfernung zur nächstgelegenen medizinischen Einrichtung (in Freistadt) zweckmäßigerweise (doch) nach der aktuell vom öffentlichen Bus vom Wohnort der Klägerin nach Freistadt zurückgelegten Strecke von 34 km zu bestimmen, zeigt die Revisionswerberin somit keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf.

4.2 Dies trifft auch auf die weitere Ansicht zu, auch die Höhe des Reisekostenersatzes sei „anhand des öffentlichen Verkehrsnetzes“ zu bemessen. Die von der Revisionswerberin gewünschte Anknüpfung an die ihr (und der Begleitperson) entstandenen Busfahrtkosten von Bad Leonfelden nach Linz als billigstes öffentliches Verkehrsmittel im Sinn des § 135 Abs 4 ASVG läuft darauf hinaus, den Fahrtkostenersatz, der dem Grunde nach von den in § 43 Abs 5 der Satzung enthaltenen Voraussetzungen abhängt und in § 43 Abs 4 der Satzung der Höhe nach begrenzt wird, unmittelbar aus § 135 Abs 4 ASVG abzuleiten. Dies ist aber – wie bereits oben dargelegt – nicht zulässig (RIS‑Justiz RS0105188).

Die Revision war daher zurückzuweisen.

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