OGH 8ObS17/16g

OGH8ObS17/16g22.2.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Dr. Weixelbraun‑Mohr sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker und Peter Schleinbach als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei C*****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei IEF‑Service GmbH, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, *****, wegen 2.828 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 29. September 2016, GZ 7 Rs 28/16s‑12, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 29. Februar 2016, GZ 28 Cgs 19/16b‑8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:008OBS00017.16G.0222.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungs‑ und Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war von 16. Juli 2012 bis 15. April 2015 bei der X***** GmbH beschäftigt, über deren Vermögen am 10. April 2015 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Das Dienstverhältnis endete durch Austritt gemäß § 25 IO.

Der Kläger hatte von seiner Arbeitgeberin zunächst fristgerecht sein Entgelt erhalten, dann kam es zu zunehmend verzögerten Gehaltszahlungen. Zuletzt waren nur noch zwei oder drei von ursprünglich zehn Mitarbeitern beschäftigt und Zahlungen erfolgten keine mehr. Am 13. März 2015 erhielt der Kläger, der seinen Chef um Zahlung offenen Entgelts gebeten hatte, noch sein Gehalt für Juni 2014 samt Urlaubszuschuss 2014 in der Höhe von insgesamt 2.806,01 EUR. Am 10. April 2015 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet.

Der Kläger meldete am 28. Mai 2015 eine Gesamtforderung von 19.429 EUR an offenem Entgelt für Juli 2014 bis April 2015 einschließlich Sonderzahlungen für Jänner bis April 2015 im Insolvenzverfahren an und zahlte dafür 22 EUR Eingabengebühr. Das Entgelt für Oktober 2014 bis April 2015 samt Urlaubszuschuss und Weihnachtsremuneration sowie Kündigungsentschädigung für 16. April bis 15. Juni 2015 (unter Anrechnung des AMS-Bezuges) sowie die Eingabengebühr für die Forderungsanmeldung (22 EUR) erhielt der Kläger vom Insolvenz-Entgelt-Fonds (insgesamt 14.447,56 EUR).

Die Insolvenzverwalterin der Schuldnerin erklärte, die Zahlung vom 13. März 2015 über den Betrag von 2.806 EUR gemäß § 31 IO anzufechten. Am 15. Juli 2015 meldete der Kläger daraufhin im Insolvenzverfahren die angefochtene Forderung in Höhe von 2.806 EUR netto an, wofür er 22 EUR Eingabengebühr zahlte.

Der Kläger begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen, an die Insolvenzmasse der Schuldnerin 2.806 EUR (netto) zu zahlen und ihm die Eingabengebühr von 22 EUR zu ersetzen. Die von der Insolvenzverwalterin angefochtene Zahlung sei von der Bestimmung des § 7 Abs 7 IESG erfasst; auf eine zeitliche Beschränkung der Ansprüche gegen die Beklagte gemäß § 3a IESG sei hier nicht Bedacht zu nehmen.

Die Beklagte wendete zusammengefasst ein, der Gesetzgeber toleriere nur ein Zuwarten des Arbeitnehmers von sechs Monaten für Gehaltsforderungen. Auch im Fall der Anfechtung einer Zahlung gebühre Insolvenz-Entgelt nur für solche Ansprüche, die nach dem IESG gesichert seien. Das Verschieben der Rückzahlungsverpflichtung bei anfechtbaren Zahlungen vom Arbeitnehmer an den Insolvenz-Entgelt-Fonds diene der administrativen Vereinfachung, könne aber nicht zu einer Ausweitung der Sicherungsgrenzen des IESG führen. Ein nach dem IESG nicht gesicherter Anspruch bleibe auch dann ungesichert, wenn eine Zahlung vom Arbeitgeber erfolge und diese danach vom Insolvenzverwalter angefochten werde.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Der Kläger habe den in § 3a Abs 1 IESG normierten Sicherungszeitraum für seine Forderungen ausgeschöpft; für den länger als sechs Monate zurückliegenden Zeitraum stehe ihm kein Lohn (mehr) zu. Auch bei Anwendung des § 7 Abs 7 IESG sei ein nach § 3a Abs 1 IESG gesicherter Anspruch vorausgesetzt. Die geänderte Rückzahlungsverpflichtung bei anfechtbaren Zahlungen vom Arbeitnehmer auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds habe nicht zur Folge, dass die Sicherungsgrenzen des IESG unbeachtlich wären.

Das Berufungsgericht änderte die Entscheidung im klagsstattgebenden Sinn ab.

Aus dem Wortlaut des § 7 Abs 7 IESG ergebe sich kein Hinweis auf eine Beschränkung angefochtener Zahlungen auf gesicherte Ansprüche. Die Novellierung des IESG aus dem Jahr 1997, in der die Wortfolge „im Ausmaß des zuzuerkennenden Insolvenz‑Ausfallgeldes“ entfernt worden sei, spreche dafür, dass die Verpflichtung zur Rückerstattung auf die Beklagte auch dann übergehe, wenn der Sicherungszeitraum des § 3a Abs 1 IESG bereits erschöpft gewesen sei. Hier gehe es um die Abfederung der mit einer Verpflichtung zur Rückzahlung lange nach Fälligkeit erhaltener Entgelte verbundenen Härten, auch wenn damit eine Ausweitung des Sicherungszeitraums verbunden sei. Eine entsprechende Klarstellung der Sicherungsgrenzen sei Aufgabe des Gesetzgebers.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Auslegung des § 7 Abs 7 IESG keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Die Beklagte beantragt in ihrer Revision, die Entscheidung dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist auch berechtigt.

1. Gemäß § 3a Abs 1 erster Satz IESG gebührt Insolvenz-Ausfallgeld für das dem Arbeitnehmer gebührende Entgelt einschließlich Sonderzahlungen, das in den letzten sechs Monaten vor dem Stichtag (§ 3 Abs 1 IESG) oder– sofern das Arbeitsverhältnis vor dem Stichtag endete – in den letzten sechs Monaten vor dessen arbeitsrechtlichem Ende fällig geworden ist. Für länger zurückliegende Entgeltforderungen steht Insolvenz-Ausfallgeld nur unter besonderen, im Gesetz näher geregelten Voraussetzungen zu.

Nach ständiger Rechtsprechung ist der Zweck des IESG eine sozialversicherungsrechtliche Sicherung von Entgeltansprüchen und sonstigen aus dem Arbeitsverhältnis erwachsenden Ansprüchen von Arbeitnehmern im Falle der Insolvenz ihres Arbeitgebers. Versichertes Risiko ist demnach im Kernbereich die von den Arbeitnehmern typischerweise nicht selbst abwendbare und absicherbare Gefahr des gänzlichen oder teilweisen Verlustes ihrer Entgeltansprüche, auf die sie typischerweise zur Bestreitung des eigenen Lebensunterhalts sowie des Lebensunterhalts ihrer unterhaltsberechtigten Angehörigen angewiesen sind (RIS‑Justiz RS0076409; s auch Liebeg, IESG3 § 3a Rz 23). Mit diesem Zweck ist es allgemein nicht vereinbar, längst zurückliegende (weil lange stehen gelassene) Ansprüche, die mit der Sicherung des laufenden Lebensunterhalts in keinen Zusammenhang mehr gebracht werden können, dem Schutzzweck des IESG zu unterstellen (8 ObS 200/02y).

2.1 Unter bestimmten Voraussetzungen können Entgeltzahlungen, die ein Arbeitnehmer bereits erhalten hat, nach Bestimmungen der IO oder der AnfO angefochten werden. Sofern der Arbeitnehmer durch eine solche Anfechtung zur Rückerstattung erhaltener Entgeltzahlungen verpflichtet wird, kommt ihm für seine – dann wieder offenen – Gehaltsforderungen im Insolvenzverfahren über das Vermögen seiner Arbeitgeberin grundsätzlich ein Anspruch auf Insolvenz-Entgelt zu.

2.2 § 7 Abs 7 IESG lautet:

Ist unter Bedachtnahme auf § 1 Abs 3 Z 1 der Anspruchsberechtigte aufgrund eines Urteiles nach der Insolvenzordnung oder der Anfechtungsordnung verpflichtet, erhaltene Zahlungen für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis (freien Dienstverhältnis, Auftragsverhältnis) zurück-zuerstatten, so geht diese Verpflichtung mit der rechtzeitigen Beantragung (§ 6 Abs 1) auf den Insolvenz-Entgelt-Fonds über. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der Anspruchsberechtigte aufgrund einer nachweislich ihm zugegangenen schriftlichen Aufforderung solche Zahlungen für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis (freien Dienstverhältnis, Auftragsverhältnis) zurückzuerstatten hat.

Dieser Abs 7 wurde § 7 IESG durch die IESG‑Novelle 1992, BGBl Nr 835/1992, angefügt. Er sollte– so die Gesetzesmaterialien – „das Verfahren vereinfachen“, indem der Insolvenz-Entgelt-Fonds anfechtbare Zahlungen, die der Masseverwalter von einem Arbeitnehmer forderte, (nach fristgerechtem Antrag des Arbeitnehmers auf Insolvenz-Ausfallgeld) nun direkt an die Masse leisten sollte (ErlRV 738 BlgNR 18. GP  6). Diese Bestimmung sah in ihrer ursprünglichen Fassung den Übergang der Zahlungsverpflichtung auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds „im Ausmaß des zuzuerkennenden Insolvenz-Ausfallgeldes“ vor. In dieser Fassung bestand daher kein Zweifel daran, dass der Übergang der Zahlungsverpflichtung auf den Fonds im gleichen Umfang einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Insolvenz-Ausfallgeld voraussetzte. Die damalige Fassung der Bestimmung war allerdings noch auf den Anfechtungstatbestand des § 30 Abs 1 Z 1 KO beschränkt und hatte daher zunächst keine praktische Bedeutung, weil bei Gehaltszahlungen eine inkongruente Deckung nicht vorliegen konnte (Liebeg, IESG3 § 7 Rz 24).

Durch die IESG‑Novelle 1997, BGBl I Nr 107/1997, wurde § 7 Abs 7 IESG neu formuliert und auf alle Anfechtungstatbestände der IO und der AnfO erweitert. Die nun angeordnete „Bedachtnahme“ auf § 1 Abs 3 Z 1 IESG (nach dem kein Insolvenz‑Entgelt für Ansprüche gebührt, die durch eine anfechtbare Rechtshandlung erworben wurden) stellt klar, dass ein Übergang der Zahlungsverpflichtung vom Arbeitnehmer auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds nur stattfinden kann, wenn bloß die vom Arbeitnehmer erhaltene Zahlung anfechtbar ist, nicht aber auch dann, wenn etwa der Gehaltsanspruch selbst bereits anfechtbar erworben worden ist (ErlRV 737 BlgNR 20. GP  11). Ein Übergang der Zahlungsverpflichtung kommt daher von vornherein nicht in Betracht, wenn der Anspruch auf die erhaltene Zahlung durch eine (im Sinn der IO oder der AnfO) anfechtbare Rechtshandlung erworben wurde (s etwa Liebeg, IESG3 § 1 Rz 480: zB durch Vereinbarung einer Vordienstzeitenanrechnung von zehn Jahren bei einem 22‑jährigen Arbeitnehmer). Auf die frühere Wortfolge „im Ausmaß des zuzuerkennenden Insolvenz-Ausfallgeldes“ gehen die Gesetzesmaterialien weder anlässlich der IESG‑Novelle 1992, durch die sie Eingang in die Bestimmung gefunden hat, noch anlässlich der IESG‑Novelle 1997, in deren Neuformulierung sie entfallen ist, ein.

2.3 Die Bestimmung des § 7 IESG trägt die Überschrift „Entscheidung und Auszahlung“ und enthält Regelungen über die Bindung der (jeweils gemäß § 5 IESG zuständigen) Geschäftsstelle an gerichtliche Entscheidungen, über das Verfahren und über die Entscheidungen der Geschäftsstelle sowie über die Auszahlung des zuerkannten Insolvenz-Ausfallgeldes.

2.4 Es ist zwar richtig, dass – wie das Berufungsgericht argumentiert – der Wegfall des erwähnten Einschubs und die (dadurch) offene Formulierung des § 7 Abs 7 IESG nur nach ihrem Wortsinn auch eine weite Auslegung hinsichtlich aller angefochtenen Entgeltzahlungen eines Arbeitnehmers, zu deren Rückzahlung er verpflichtet wird (oder werden könnte), zulassen würde. Eine solche isolierte Betrachtung dieser Bestimmung begegnet jedoch erheblichen systematischen Bedenken: Sowohl die Bezugnahme des § 7 Abs 7 IESG auf gemäß § 1 Abs 3 Z 1 IESG von vornherein ausgeschlossene Ansprüche, als auch die Positionierung dieses Absatzes und der mit ihm laut den Gesetzesmaterialien verfolgte Zweck der Verfahrens-vereinfachung spricht – wie die Beklagte dies stets eingewendet hat – dafür, dass die allgemeinen Sicherungsgrenzen des IESG durch den Übergang der (bloßen Auszahlungs-)Verpflichtung bei anfechtbaren Zahlungen vom Arbeitnehmer auf den Fonds nicht erweitert wurden, sondern auch in diesem Zusammenhang zu beachten sind. § 7 Abs 7 IESG stellt selbst keine eigene, zusätzliche Anspruchsgrundlage dar, auf die sich ein Arbeitnehmer, der eine anfechtbare Geldleistung erhalten und diese zurückzuerstatten hat, auch in solchen Fällen berufen könnte, in denen er (im direkten Weg) gegenüber dem Fonds für die der Zahlung zugrunde liegende Forderung keinen Insolvenz-Ausfallgeld-Anspruch gehabt hätte. Auch der Entfall der erwähnten Wortfolge im Zuge der Novellierung lässt nämlich keine entsprechende Absicht des Gesetzgebers dahin erkennen, dass durch diese Bestimmung eine über den allgemeinen Schutzumfang des IESG zugunsten der Arbeitnehmer hinausgehende Überwälzung des Finanzierungsrisikos von Unternehmen auf den Fonds vorgenommen werden sollte.

2.5 Zusammengefasst ist die Bestimmung des § 7 Abs 7 IESG daher so auszulegen, dass der angeordnete Übergang der Rückzahlungsverpflichtung für anfechtbare Zahlungen vom Arbeitnehmer auf den Insolvenz-Ausfallgeld-Fonds voraussetzt, dass für die Forderung, die der angefochtenen Zahlung zugrunde liegt, ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Insolvenz-Ausfallgeld bestand. Eine Ausweitung der Sicherungsgrenzen des IESG ist mit dieser Bestimmung nicht verbunden.

Im Anlassfall kann der Kläger daher für die von seinem früheren Arbeitgeber am 13. März 2015 erhaltene Zahlung für offenes Entgelt für Juni 2014 samt Urlaubszuschuss, für das er gemäß § 3a Abs 1 IESG nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 10. April 2015 kein Insolvenz-Entgelt erhalten hätte, aus der Anfechtung dieser Zahlung durch die Insolvenzverwalterin keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung an die Insolvenzmasse ableiten. Die klagsabweisende Entscheidung des Erstgerichts war daher wiederherzustellen.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 ASGG. Ein Kostenersatz nach Billigkeit an den unterliegenden Kläger setzt voraus, dass seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse einen Kostenersatz nahelegen und auch tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens vorliegen. Es ist Sache des Versicherten, Umstände darzulegen, die einen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen können (RIS‑Justiz RS0085829). Hier hat der Kläger keinerlei Vorbringen zu den Voraussetzungen des § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG erstattet und insbesondere nicht vorgebracht, dass seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse einen Kostenersatzanspruch nahelegen; auch aus dem Akteninhalt ist dazu nichts zu gewinnen.

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