European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:008OBA00075.16M.0127.000
Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 428,78 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 69,80 EUR USt) zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der Beklagten vom 1. 6. 1987 bis 30. 6. 2015 als Angestellter im Außendienst beschäftigt. Das durch Dienstgeberkündigung beendete Vertragsverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag (KV) für Handelsangestellte. Mit der Endabrechnung wurde dem Kläger auf Grundlage eines laufenden Bruttomonatsgehalts von 3.433,11 EUR eine Abfertigung von 39.402 EUR brutto abgerechnet.
Der Kläger forderte mit Schreiben vom 14. 7. 2015 von der Beklagten die Begleichung weiterer Ansprüche aus dem Dienstverhältnis, darunter eine Urlaubsersatzleistung und die Fortzahlung von Provisionen für den Zeitraum einer vorangegangenen Dienstfreistellung. Über Grund und Höhe dieser Forderungen wurde in der Folge zwischen der Beklagten und dem durch die Kammer für Arbeiter und Angestellte vertretenen Kläger im Korrespondenzweg verhandelt. Das Thema Abfertigung fand in diesem Schriftverkehr keine Erwähnung.
Mit Schreiben vom 23. 2. 2016 erklärte der Kläger erstmals, dass seine abgerechnete Abfertigung auf Basis des Monatsgehalts von 3.433,11 EUR nicht nachvollziehbar sei, sondern ihm unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen weitere 8.661,54 EUR brutto zustünden.
In der Klage werden jene drei Zwölftel dieses Betrags begehrt, die auf den bei Beendigung des Dienstverhältnisses am 30. 6. 2015 fälligen ersten Teilbetrag der Abfertigung im Ausmaß von drei Monatsentgelten entfallen.
Die Beklagte wandte ein, die Klagsforderung sei mangels schriftlicher Geltendmachung binnen sechs Monaten ab Fälligkeit nach Pkt XX des KV für Handelsangestellte verfallen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Der Kläger habe aus der Endabrechnung zum 30. 6. 2015 bereits ersehen können, dass die von der Beklagten errechnete und bezahlte Abfertigung nicht dem von ihm geforderten Betrag entsprochen habe. Das erst im Februar 2016 erfolgte Verlangen nach der bereits am 30. 6. 2015 fälligen Differenz habe die kollektivvertragliche Verfallsfrist nicht gewahrt.
Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel des Klägers keine Folge und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil die Frage, ob eine Abfertigungsdifferenz der Verfallsbestimmung des KV für Handelsangestellte auch dann unterliegt, wenn der Anspruch dem Grunde nach unstrittig ist, in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht behandelt worden sei.
Mit seiner Revision strebt der Kläger die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im klagsstattgebenden Sinn an, hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag. Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel des Klägers als unzulässig zurückzuweisen, jedenfalls aber ihm keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht ausgeführten Gründen zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.
1. Pkt XX des KV für Handelsangestellte lautet: „ Soweit in diesem Kollektivvertrag nicht anders geregelt, sind Ansprüche des Arbeitgebers sowie des Arbeitnehmers bei sonstigem Verfall innerhalb von 6 Monaten nach Fälligkeit schriftlich dem Grunde nach geltend zu machen. Bei rechtzeitiger Geltendmachung bleibt die gesetzliche Verjährungsfrist gewahrt.“
2. Der Revisionswerber interpretiert diese Bestimmung dahingehend, dass es zur Abwehr des Verfalls ausreiche, Ansprüche lediglich ihrer Art nach geltend zu machen, wogegen eine ziffernmäßige Aufgliederung nicht erforderlich sei.
Im Allgemeinen trifft das auch zu (vgl RIS‑Justiz RS0029775; RS0034446). Das Erfordernis der Geltendmachung innerhalb einer bestimmten Frist hat den Zweck, dem Zahlungspflichtigen in diesem Zeitraum erkennbar zu machen, welche Ansprüche ihrer Art und Höhe nach gemeint sind (9 ObA 180/90 = Arb 10.889; RIS‑Justiz RS0034441). Die Erstellung einer allfälligen ergänzenden Entgeltabrechnung obliegt jedenfalls dem Arbeitgeber.
Anders stellt sich der Fall dar, wenn sich der Arbeitnehmer bei seiner Forderung bereits auf einen exakten Betrag festgelegt hat. Dann macht er diesen, aber nicht gleichzeitig auch eine höhere Forderung geltend. Der Arbeitgeber kann sich auf die ihm bekannt gegebene Höhe einstellen und einer Erhöhung der Forderung nach Ablauf der Verfallsfrist den Einwand des Verfalls entgegenhalten (9 ObA 180/90; 9 ObA 63/05p; 8 ObA 90/08f).
Der Abfertigungsanspruch des Klägers war zwischen den Streitteilen dem Grunde nach unstrittig, die von der Beklagten errechnete Höhe war ihm aus der Endabrechnung zum 30. 6. 2015 bekannt. Auch wenn es daher hier nicht der Kläger war, der sich zuerst auf eine bestimmte Forderung der Höhe nach festgelegt hatte, sondern die Beklagte, liegt im Ergebnis ein zu den genannten Entscheidungen gleichartiger Sachverhalt vor. Im Lichte des Zwecks der Verfallsbestimmung macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob der Dienstnehmer selbst zunächst zu wenig verlangt und seine Forderung zu spät nach oben korrigiert hat (9 ObA 180/90; 9 ObA 63/05p; 8 ObA 90/08f), oder ob er den vom Arbeitgeber errechneten und bezahlten Betrag zunächst unbeanstandet angenommen und erst nach Ablauf der Frist eine Nachforderung erhoben hat. In beiden Fällen kann von der Geltendmachung einer offenen Differenz nicht die Rede sein, so lange nicht ein konkretes Verlangen gestellt wird.
Es reicht nach der hier maßgeblichen Kollektivvertragsbestimmung zur Fristwahrung völlig aus, wenn dieses Verlangen nur dem Grunde nach („mir wurde zu wenig gezahlt“) erhoben wird. Nach dem festgestellten Sachverhalt hat der Kläger die Abfertigungsberechnung aber erstmals im Februar 2016 und damit mehr als sechs Monate nach der Fälligkeit des ersten Teilbetrags beanstandet. Die Vorinstanzen haben unter diesen Voraussetzungen ohne Rechtsirrtum eine fristgerechte Geltendmachung verneint.
3. Das Argument des Revisionswerbers, er habe schon mit dem in seinem ersten Aufforderungsschreiben enthaltenen Begehren nach Zahlung der „sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Entgeltdifferenzen“ aus Sicht eines redlichen Erklärungsempfängers auch den höheren Abfertigungsbetrag, dessen „Berechnung zwischen den Streitteilen unstrittig war“ begehrt, weicht vom festgestellten Sachverhalt ab. Bis zum Schreiben vom 23. 2. 2016 stand zwischen den Parteien nur eine einzige Abfertigungsberechnung unbestritten im Raum, nämlich jene, die in der Endabrechnung enthalten war.
4. Dem Einwand des Verfalls kann auch nicht erfolgreich mit dem Argument des Revisionswerbers begegnet werden, der Arbeitgeber wäre aufgrund seiner Fürsorgepflicht verpflichtet gewesen, den Anspruch richtig zu berechnen. Nach dieser Auffassung hätten, wie bereits das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, sämtliche Verfallsbestimmungen keinen praktischen Anwendungs-bereich. Es können nach der Natur der Sache nur solche Ansprüche dem Verfall unterliegen, die zunächst materiell geschuldet wurden und deren Nichterfüllung daher objektiv pflichtwidrig war.
Die wechselseitigen Treue- und Fürsorgepflichten der Arbeitsvertragsparteien reichen nur in Ausnahmefällen über die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses hinaus. Nach dem Wegfall der für den Arbeitsvertrag typischen wirtschaftlichen Unterlegenheitsposition kann ein Arbeitnehmer nicht nur auf unabdingbare gesetzliche und kollektivvertragliche Ansprüche wirksam verzichten, sondern auch durch schlichtes Unterlassen der rechtzeitigen Geltendmachung den Verfall bzw die Verjährung eintreten lassen.
5. Der Revision war daher keine Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41 und 50 ZPO.
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