OGH 9ObA164/16g

OGH9ObA164/16g26.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Pflug und KR Karl Frint als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei U***** S*****, vertreten durch Dr. Sebastian Mairhofer und Mag. Martha Gradl, Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei K***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Eckhard Pitzl und Dr. Gerhard Huber, Anwaltspartnerschaft in Linz, wegen 1.322,73 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. November 2016, GZ 11 Ra 72/16m‑12, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 5. Juli 2016, GZ 10 Cga 49/16g‑8, Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:009OBA00164.16G.0126.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 377,50 EUR (darin 62,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 2. 7. 2015 bis 31. 1. 2016 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis fand der Kollektivvertrag der OÖ. Ordensspitäler mit Öffentlichkeitsrecht (kurz: KollV) Anwendung.

Die Klägerin war infolge Krankheit von 27. 10. bis 6. 11. 2015 sowie von 18. 11. 2015 bis 14. 3. 2016 arbeitsunfähig. Sie wurde mit Schreiben der Beklagten vom 19. 12. 2015 zum 31. 1. 2016 gekündigt. Ab 1. 2. 2016 bezog die Klägerin von der Sozialversicherung volles Krankengeld.

Die Klägerin begehrt für die Zeit von 1. 2. bis 14. 3. 2016 Krankengeldzuschuss von 1.302,80 EUR sowie an BMSVG-Beiträgen 19,93 EUR.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass die kollektivvertraglichen Voraussetzungen für den begehrten Krankengeldzuschuss nicht vorlägen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Erst ab dem Ende des gesetzlichen Entgeltfortzahlungsanspruchs nach dem Angestelltengesetz bestehe ein gesetzlicher Anspruch auf Krankengeld und entstehe damit auch ein kollektivvertraglicher Anspruch auf Krankengeldzuschuss. Da die Klägerin zum Zeitpunkt des Entstehens ihres Krankengeldanspruchs mit 1. 2. 2016 aber nicht mehr bei der Beklagten beschäftigt gewesen sei, habe sie während aufrechtem Dienstverhältnis keinen Anspruch auf Gewährung des Krankengeldzuschusses erworben.

Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin Folge und dem Klagebegehren statt. Die Klägerin habe den Anspruch auf Krankengeld gemäß § 138 Abs 1 ASVG bereits am 4. Tag der Arbeitsunfähigkeit erworben. Dieser Anspruch habe gemäß § 143 Abs 1 Z 3 ASVG bis zum Ende der gesetzlichen Entgeltfortzahlungspflicht der Beklagten lediglich geruht. Die allgemeine Bestimmung über den Anspruch auf Krankengeldzuschuss nach § 20 Z 2 lit a KollV enthalte hinsichtlich der Dauer des Anspruchs keine Einschränkung. Nur in dem – hier unstrittig nicht vorliegenden – in § 20 Z 6 KollV geregelten Ausnahmefall, nämlich dem Eintritt der Dienstverhinderung nach erfolgter Kündigung durch den Dienstgeber ende der Krankengeldzuschussanspruch mit dem Tag der Beendigung des Dienstverhältnisses.

Der Rechtsansicht der Beklagten, der hier vorliegende Fall der Dienstgeberkündigung während der Dienstverhinderung sei im KollV nicht geregelt, weshalb der Krankengeldzuschuss jedenfalls mit Beendigung des Dienstverhältnisses nicht mehr zu leisten sei, hielt das Berufungsgericht entgegen, dass in diesem Fall die Ausnahmeregelung des § 20 Z 6 KollV entbehrlich wäre. Dass eine unnötige bzw überflüssige Regelung in einen Kollektivvertrag aufgenommen werde, könne nach dem Grundsatz, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen wollten, aber nicht angenommen werden.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Auslegung des § 20 KollV keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung , die Revision der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. § 20 des Kollektivvertrags der OÖ. Ordensspitäler mit Öffentlichkeitsrecht mit der Überschrift „Anspruch bei Dienstverhinderung“ lautet auszugsweise wie folgt:

„1. Dienstnehmer haben Anspruch auf Fortzahlung ihrer Bezüge bei Dienstverhinderung durch Krankheit oder Unfall, soweit sie diese Verhinderung nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben, und zwar, soweit es sich um Angestellte handelt, nach den Bestimmungen des Angestelltengesetzes, […].

2. Darüber hinaus bestehen unter den obigen Voraussetzungen noch folgende zusätzliche Ansprüche:

a) Angestellte erhalten nach Ablauf der Entgeltfrist laut Angestelltengesetz einen Zuschuss zum gesetzlichen Krankengeld in der Höhe von 45 % des Normalgrundstundenlohnes, jedoch ohne Einbeziehung der Gefahrenzulage, bis zum nachstehenden Ausmaß der Krankheitstage:

bis zum vollendeten 5. Dienstjahr 84 Kalendertage,

vom begonnenen 6. Dienstjahr bis zum vollendeten 10. Dienstjahr 182 Kalendertage und

vom begonnenen 11. Dienstjahr an 364 Kalendertage.

[…]

6. Bei einer Dienstverhinderung, welche nach erfolgter Kündigung durch den Dienstgeber eintritt, endet der Krankengeldzuschussanspruch mit dem Tage der Beendigung des Dienstverhältnisses.“

§ 8 („Besonderer Kündigungsschutz“) lautet auszugsweise:

„1. Dienstnehmer mit mehr als fünfjähriger ununterbrochener Betriebszugehörigkeit in derselben Anstalt dürfen vom Dienstgeber in jenen Zeiträumen nicht gekündigt werden, in denen sie Anspruch auf Fortzahlung des Krankengeldzuschusses aufgrund der Bestimmungen dieses Kollektivvertrages haben. 2. ...“

2. Das Berufungsgericht hat die Auslegung der hier strittigen Bestimmungen des KollV zutreffend vorgenommen. Es kann daher auf die Richtigkeit der Begründung des Berufungsgerichts verwiesen werden (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Zusammenfassend und in Erwiderung der Revision der Beklagten ist festzuhalten:

3. Der normative Teil eines Kollektivvertrags ist gemäß den §§ 6 und 7 ABGB nach seinem objektiven Inhalt auszulegen; maßgeblich ist, welchen Willen des Normgebers der Leser dem Text entnehmen kann (RIS-Justiz RS0010088). In erster Linie ist dabei der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0010089). Da den Kollektivvertragsparteien grundsätzlich unterstellt werden darf, dass sie eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen wollten, ist bei mehreren an sich in Betracht kommenden Auslegungsmöglichkeiten, wenn alle anderen Auslegungsgrundsätze versagen, jener der Vorzug zu geben, die diesen Anforderungen am meisten entspricht (RIS-Justiz RS0008828; RS0008897).

4. Das gesetzliche System aus einer Kombination sozialversicherungsrechtlicher (Krankengeld) und arbeitsrechtlicher (Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall) Ansprüche soll dem Dienstnehmer während seines Krankenstands eine ausreichende materielle Absicherung seiner Existenz gewährleisten. Manche Kollektivverträge verwirklichen durch eine Verlängerung der gesetzlichen Fristen der Entgeltfortzahlung oder – so wie hier – durch Gewährung eines Krankengeldzuschusses, welcher zusätzlich zum Krankengeld der gesetzlichen Krankenversicherung auszuzahlen ist, eine finanzielle Besserstellung der Dienstnehmer im Krankheitsfall. Mit dieser beabsichtigten Besserstellung der Dienstnehmer durch die Kollektivvertragsparteien stünde jedoch in Widerspruch, den Krankengeldzuschuss nur dann zu gewähren, wenn das Dienstverhältnis zum Zeitpunkt der erstmaligen Auszahlung des gesetzlichen Krankengeldes noch aufrecht besteht. Eben wenn man – wie die Revision – den Krankengeldzuschuss als Annex zum auszuzahlenden Krankengeld der Krankenversicherung versteht, würde eine Regelung, die das Entstehen des Krankengeldzuschusses davon abhängig macht, dass das Dienstverhältnis nach erfolgter Dienstgeberkündigung zum Zeitpunkt der Auszahlung des Krankengeldes (gerade noch) aufrecht besteht, zu einer – wie gerade der vorliegende Sachverhalt aufzeigt –„stichtagsabhängigen“ Ungleichbehandlung der Dienstnehmer führen. Den Kollektivvertragsparteien kann aber eine derart gewollte Ungleichbehandlung von Dienstnehmern nicht unterstellt werden.

Die weiteren Überlegungen der Revisionswerberin zum Zweck der Ausnahmeregelung des § 20 Z 6 KollV im Verhältnis zu § 9 AngG sind schon deshalb nicht zielführend, weil dieser Ausnahmefall hier nicht vorliegt. In diesem Zusammenhang ist für die Revisionswerberin daher auch aus dem Verweis auf die Bestimmung des § 8 KollV zum besonderen Kündigungsschutz für bestimmte Dienstnehmer, die in jenen Zeiträumen nicht gekündigt werden dürfen, in denen sie Anspruch auf Fortzahlung des Krankengeldzuschusses aufgrund der Bestimmungen dieses Kollektivvertrags haben, nichts zu gewinnen. Diese Kündigungsschutzbestimmung regelt ihrem Wortlaut nach – entgegen der Rechtsansicht der Revisionswerberin – auch nicht, dass die Klägerin, sollte sie einen Anspruch auf Krankengeldzuschuss erworben haben, diesen durch die Kündigung der Beklagten wieder verloren hätte.

Der Revision der Beklagten war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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