European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0140OS00126.16K.0124.000
Spruch:
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch A/I, demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen.
Mit seiner gegen den Ausspruch über die Strafe gerichteten Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Alija S***** zweier Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (A) sowie des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 erster Fall StGB (B) schuldig erkannt.
Danach hat er – soweit im
Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung – zu A/I im Sommer/Frühling 2003 in B***** mit seiner am (richtig:) 23. Juni 1987 (US 3; ON 8 S 2) geborenen Enkeltochter Esma V*****, sohin mit einer „mit ihm in absteigender Linie verwandten minderjährigen Person“, eine geschlechtliche Handlung vorgenommen, indem er ihre bereits entwickelten Brüste streichelte.
Rechtliche Beurteilung
Ausschließlich gegen diesen Schuldspruch richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der Berechtigung zukommt.
Sie zeigt zutreffend auf, dass die Vornahme einer geschlechtlichen Handlung an einem Enkelkind nach § 212 Abs 1 StGB in der zur Tatzeit geltenden Fassung BGBl 1974/60 – anders als nach der zum Urteilszeitpunkt geltenden Fassung des am 1. Mai 2004 in Kraft getretenen Strafrechtsänderungsgesetzes 2004 (BGBl I 2004/15; § 212 Abs 1 Z 1 erster Fall StGB) – per se nicht mit Strafe bedroht war, Strafbarkeit vielmehr die Tatbegehung unter Ausnützung der Stellung des Täters gegenüber einer seiner Erziehung, Ausbildung oder Aufsicht unterstehenden minderjährigen Person erforderte.
Feststellungen zum Vorliegen oder Nichtvorliegen dieser Tatbestandserfordernisse hat das Erstgericht nicht getroffen.
Vom (konkreten) Urteilssachverhalt ausgehend (RIS-Justiz RS0112939 [insbesondere T4]) erweist sich demnach § 212 Abs 1 StGB in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung in seiner Gesamtauswirkung für den Angeklagten günstiger als das im Urteilszeitpunkt in Geltung stehende Recht (§ 61 zweiter Satz StGB; Höpfel in WK² StGB § 61 Rz 13), womit das Erstgericht die vom Schuldspruch A/I erfasste Tat rechtsirrig § 212 Abs 1 Z 1 StGB idF BGBl I 2004/15 unterstellt hat.
Dieser Rechtsfehler zwingt zur Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO).
Eine
Entscheidung in der Sache war jedoch – dem Beschwerdestandpunkt zuwider – nicht zu treffen (vgl zum Ganzen 17 Os 20/13i).
Für den Fall, dass die Tatrichter des zweiten Rechtsgangs
es für erwiesen ansehen, dass
dem Angeklagten im Zeitpunkt des Übergriffs die Aufsicht über seine Enkeltochter oblag und er diese Stellung vorsätzlich zur Tatbegehung ausnützte, wäre im Übrigen (zufolge der unverändert gebliebenen Strafdrohung) Tatzeitrecht nicht günstiger als die aktuelle Rechtslage.
Mit seiner gegen den Ausspruch über die Strafe gerichteten Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Wien zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten gegen den – auf den rechtskräftigen Schuldsprüchen A/II und B – basierenden Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche (vgl Ratz , WK‑StPO § 296 Rz 1).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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