OGH 10ObS58/16a

OGH10ObS58/16a24.1.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Schramm und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Cadilek (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*****, Deutschland, vertreten durch Dr. H. Burmann, Dr. P. Wallnöfer, Dr. R. Bacher, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1020 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Rehabilitationsgeld, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 15. April 2016, GZ 23 Rs 5/16f‑24, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 24. September 2015, GZ 44 Cgs 178/14d‑21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00058.16A.0124.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 69,80 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

Beim 1972 geborenen Kläger liegt seit 1. 1. 2014 vorübergehende Invalidität in der Dauer von mehr als sechs Monaten vor. Nicht mehr strittig ist im Verfahren der Anspruch des Klägers auf Rehabilitationsgeld für den Zeitraum von 1. 1. 2014 bis zu seinem Wegzug aus Österreich nach Deutschland am 30. 1. 2015. Strittig im Revisionsverfahren ist nur mehr, ob der Kläger auch nach dem Wechsel seines Wohnsitzes von Österreich nach Deutschland einen Anspruch auf Rehabilitationsgeld hat (Standpunkt des Klägers) oder nicht (Standpunkt der Beklagten).

Der Kläger erwarb in Österreich 305 Beitragsmonate durch verschiedene berufliche Tätigkeiten, zuletzt als Portier. Er beantragte am 18. 12. 2013 die Zuerkennung einer unbefristeten Invaliditätspension. Zu diesem Zeitpunkt war er in Österreich wohnhaft.

Der Kläger übersiedelte am 30. 1. 2015 nach Deutschland und heiratete dort am 30. 4. 2015. Seit 30. 4. 2015 ist der Kläger in Deutschland bei einer Betriebskrankenkasse als Mitversicherter seiner Gattin versichert. Bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 24. 9. 2015 hat der Kläger nie in Deutschland gearbeitet und bezieht auch kein Arbeitslosengeld nach deutschen Rechtsvorschriften.

Mit Bescheid vom 26. 5. 2014 wies die Beklagte den Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer Invaliditätspension ab. Ein Anspruch auf Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation wurde verneint.

Das Erstgericht bejahte – soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung – einen Anspruch des Klägers auf Rehabilitationsgeld ab 1. 1. 2014 für die Dauer der vorübergehenden Invalidität.

Das Berufungsgericht gab der von der Beklagten nur gegen den Zuspruch von Rehabilitationsgeld erhobenen Berufung nicht Folge.

Beim Rehabilitationsgeld handle es sich um eine Leistung bei Invalidität iSd Art 3 Abs 1 lit c der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (VO 883/2004 ), sodass es gemäß den Art 44–49 VO 883/2004 zu koordinieren sei. Das Rehabilitationsgeld stelle eine Rechtsvorschrift des Typs B dar, sodass die Regelungen des Kapitels 5 der VO 883/2004 über die Alterspension Anwendung fänden. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger bei seiner Gattin mitversichert sei, sodass für ihn aufgrund der von ihm wahrgenommenen Freizügigkeit die Vorschriften mehrerer Mitgliedstaaten gelten, sei Österreich der letzte Beschäftigungsstaat und daher die Beklagte gemäß Art 50 Abs 1 VO 883/2004 der zuständige Versicherungsträger.

Zu diesem Ergebnis gelange man auch, wenn man das Rehabilitationsgeld als Leistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 lit a VO 883/2004 ansehen würde. Zwar wäre hier wegen der Nichtanwendbarkeit der Fiktion des Art 11 Abs 2 VO 883/2004 Deutschland als Wohnsitzstaat gemäß Art 11 Abs 3 lit e VO 883/2004 zuständig. Der Anspruch auf Rehabilitationsgeld knüpfe aber nicht an eine aufrechte Krankenversicherung in Österreich, sondern an den Erwerb von Versicherungszeiten in Österreich an. Jedes andere Ergebnis stünde im Widerspruch zu dem in den Kollisionsnormen der VO 883/2004 zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Einheitlichkeit und Abgeschlossenheit der anzuwendenden Sozialrechtsordnung.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil es sich auf eine eindeutige Rechtslage stützen könne.

Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, mit der sie die Verneinung des Anspruchs des Klägers auf Rehabilitationsgeld nach seinem Wegzug nach Deutschland anstrebt.

In der ihm vom Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragt der Kläger, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Hinblick auf die bereits vorliegende höchstgerichtliche Rechtsprechung nicht zulässig.

1. Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage ist im Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel durch den Obersten Gerichtshof zu beurteilen. Eine zur Zeit der Einbringung des Rechtsmittels tatsächlich erhebliche Rechtsfrage fällt daher weg, wenn die bedeutsame Rechtsfrage durch eine andere Entscheidung des Obersten Gerichtshofs geklärt wird (RIS‑Justiz RS0112921 [T5]; RS0112769 [T9, T11]).

2. Zu den Fragen der unionsrechtlichen Einordnung des Rehabilitationsgeldes (§§ 143a, 255b ASVG), der Zuständigkeit der Beklagten zu dessen Gewährung und der Verpflichtung zu dessen Export hat der Oberste Gerichtshof jüngst in der ausführlich begründeten Entscheidung 10 ObS 133/15d Stellung genommen.

Er führte darin zusammengefasst aus, dass das Rehabilitationsgeld gemäß § 143a ASVG unionsrechtlich eine Geldleistung bei Krankheit iSd Art 3 Abs 1 lit a VO 883/2004 darstellt. Beim Rehabilitationsgeld handelt es sich jedoch um eine nicht eindeutig in die Kategorien des Art 3 VO 883/2004 einordenbare Geldleistung mit Sondercharakter, da diese Leistung bedeutende Berührungspunkte mit der Pensionsversicherung aufweist. Insbesondere hängt die Gewährung von Rehabilitationsgeld vom Erwerb von Versicherungs‑ und Beitragszeiten in Österreich ab und stellt damit eine Gegenleistung zu den in Österreich gezahlten Beiträgen dar. Um in einem solchen Fall die Vereinbarkeit mit dem Primärrecht der Union und insbesondere den Freizügigkeitsrechten der Unionsbürger (Art 20 Abs 2 lit a, Art 45, 48 AEUV) zu wahren, ist Anknüpfungspunkt für die Zuständigkeit bei der Leistung von Rehabilitationsgeld nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (insbesondere EuGH C‑388/09, da Silva Martins ) daher nicht der Wohnsitz (Art 11 Abs 3 lit e VO 883/2004 ), sondern die erworbenen Versicherungszeiten. Ist danach ein Anspruch auf österreichisches Rehabilitationsgeld zu bejahen, sind die Regeln über die Exportpflicht gemäß Art 21 VO 883/2004 anzuwenden.

3.1 Die Revisionswerberin wendet sich zusammengefasst mit der Begründung gegen die angefochtene Entscheidung, dass das Rehabilitationsgeld unionsrechtlich nicht als Leistung bei Invalidität, sondern als Leistung bei Krankheit einzustufen sei. Ausgehend davon sei keine Leistungszuständigkeit der Beklagten gemäß den Art 11 ff VO 883/2004 gegeben, vielmehr unterliege der Kläger gemäß Art 11 Abs 3 lit e VO 883/2004 den Rechtsvorschriften Deutschlands als Wohnsitzstaat. Sie zeigt damit keine Aspekte auf, die nicht schon in der Entscheidung 10 ObS 133/15d behandelt wurden, und keine Korrekturbedürftigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts.

3.2 Folgte man dem Standpunkt der Beklagten, würde auch im vorliegenden Fall der Kläger die Leistung des Rehabilitationsgeldes allein deshalb verlieren, weil er seinen Wohnsitz in einen anderen Mitgliedstaat der Union verlegt hat, der keine dem Rehabilitationsgeld vergleichbare Leistung kennt. Die Inanspruchnahme der Freizügigkeit durch den Kläger – hier als Unionsbürger – kann aber aus den in 10 ObS 133/15d ausgeführten und oben bereits dargelegten Gründen nicht zum Verlust des Anspruchs führen. Auch im vorliegenden Fall ergibt sich die Zuständigkeit der Beklagten daher aus der aus dem Primärrecht der Union abgeleiteten Erforderlichkeit der Anknüpfung an die vom Kläger in Österreich erworbenen Versicherungszeiten.

4. Da beim Kläger unstrittig auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung des Rehabilitationsgeldes vorliegen, sodass dieses nach Art 21 Abs 1 VO 883/2004 ins EU‑Ausland zu exportieren ist, hat das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend den durchgehenden Anspruch des Klägers auf Rehabilitationsgeld ab dem 1. 1. 2014 für die Dauer der vorübergehenden Invalidität bejaht.

Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG. Dass der Kläger in der Revisionsbeantwortung nicht auf die zitierte oberstgerichtliche Rechtsprechung hingewiesen hat, schadet ihm nicht, weil die Entscheidung 10 ObS 133/15d erst nach Erstattung der Revisionsbeantwortung ergangen ist (4 Ob 54/15t; RIS‑Justiz RS0123861).

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