European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0120OS00107.16A.1215.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Bardhyl P***** der Verbrechen des Mordes nach § 75 StGB (1./) und §§ 15 Abs 1, 75 StGB (2./) schuldig erkannt.
Danach hat er am 4. Juni 2015 in L*****
1./ Shehnur E***** dadurch vorsätzlich getötet, dass er diesem drei Messerstiche versetzte, nämlich in die Brusthöhle im Bereich der sechsten Rippe linksseitig mit Eröffnung des Herzbeutels und der linken Herzkammer sowie daraus resultierender Blutbrust, in den rechten Oberbauch mit Eintritt in die rechte Bauchhöhle und Verletzung des Leberunterrandes sowie der Gekrösewurzel und in den rechten Unterbauch mit Verletzung des Dünndarms, des rechten Harnleiters sowie der rechten inneren und äußeren Beinarterie;
2./ Faik B***** durch das Versetzen eines Messerstichs in den mittleren Rückenbereich mit Eindringen in die Bauchhöhle und Verletzung der Leber zu töten versucht.
Rechtliche Beurteilung
Die vom Angeklagten dagegen aus § 345 Abs 1 Z 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde schlägt fehl.
Der Beschwerdeführer moniert zunächst, dass zur Hauptverhandlung am 13. Jänner 2016 (ON 129a) „gemäß dem Protokoll 6 Geschworene und 5 Ersatzgeschworene geladen“ wurden, obwohl „gemäß § 32 StPO ein Geschworenengericht aus 8 Hauptgeschworenen und 3 Berufsrichtern“ besteht, womit offenbar eine nicht gehörige Besetzung des Geschworenengerichts (§ 345 Abs 1 Z 1 erster Fall StPO) aufgezeigt werden soll.
Dieser Einwand scheitert jedenfalls schon aus formalen Gründen, weil der Beschwerdeführer seiner Rügeobliegenheit (§ 345 Abs 2 StPO) nicht nachgekommen ist.
Bei der Beurteilung, ob dem Angeklagten der– Nichtigkeit aus § 345 Abs 1 Z 1 StPO begründende – Tatumstand schon vor (oder spätestens bis zum Ende) der Hauptverhandlung bekannt wurde, ist auf objektive Kriterien, nämlich die Zugänglichkeit des Tatsachensubstrats abzustellen (RIS‑Justiz RS0106091; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 136).
Aus dem Strafakt ist ersichtlich, dass die Vorsitzende des Schwurgerichtshofs bei Anordnung der Hauptverhandlung für den 13., 19. und 21. Jänner 2016 mit Beschluss vom 26. November 2015 (ua) die Ladung von acht „Hauptgeschworenen“ und sechs „Ersatzgeschworenen“ verfügte (ON 1 S 23), woraufhin (laut VJ‑Register) acht „Hauptgeschworene“ und sechs „Ergänzungsgeschworene“ geladen wurden.
Nach Enthebung von zwei Ergänzungs‑ und einer Hauptgeschworenen (aufgrund jeweils begründeten Ersuchens; ON 96, 100 und 101) wurden über Verfügung der Vorsitzenden vom 17. und 18. Dezember 2015 (ON 100, 101) zwei „neue Geschw.“ (laut VJ‑Register der Ergänzungsgeschworene Aleksandro K***** und der Hauptgeschworene Hermann R*****) sowie – infolge begründeter Enthebung auch des Hauptgeschworenen Hermann R***** – am 28. Dezember 2015 eine „neue HG“ (ON 103a; laut VJ‑Register die Hauptgeschworene Rukiye Y*****) zur Hauptverhandlung geladen. Am 4. sowie am 7. Jänner 2016 erfolgte (ebenfalls über jeweils begründetes Ersuchen) die Enthebung der Hauptgeschworenen Matthias S***** (ON 114) und Rukiye Y***** (ON 1 S 33), woraufhin – über Verfügung der Vorsitzenden vom 8. Jänner 2016 („EG durch PI“; ON 1 S 35) – der Ergänzungsgeschworene Reinhard H***** im Wege der PI Linz‑Kleinmünchen geladen wurde (ON 122). Schließlich musste am 12. Jänner 2016 auch die Ergänzungsgeschworene Meleke G***** (gleichfalls begründet; siehe ON 1 S 35 und ON 123) ihres Amtes enthoben werden, ohne dass die Ladung eines weiteren Geschworenen verfügt worden wäre (ON 1 S 41).
Die Namen der verbleibenden sechs Haupt‑ und fünf Ergänzungsgeschworenen sind aus dem Protokoll über die Hauptverhandlung vom 13. Jänner 2016 ersichtlich (ON 129a S 1; wobei Letztere als „Ersatzgeschworene“ bezeichnet wurden), während sich ihre fortlaufenden Nummern in den Dienstlisten (Haupt‑ und Ergänzungsliste gemäß § 13 Abs 1 GSchG) – mit Ausnahme jener des Ergänzungsgeschworenen Reinhard H***** (siehe dazu die gemäß § 285f StPO eingeholte Stellungnahme der vorsitzenden Richterin vom 17. Oktober 2016) – aus der im Akt (unjournalisiert) einliegenden „Geschworenenliste“ ergeben.
Da in die vom Präsidenten des Landesgerichts zu führende Dienstliste für Geschworene und Schöffen (§ 13 Abs 1 GSchG) grundsätzlich von jedermann Einsicht genommen werden kann (§ 170 Geo), sind darauf bezogene Fehler – etwa der (in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht gerügte) Umstand, dass die ursprünglich geladenen Ersatzgeschworenen nicht (ebenfalls) der Haupt‑, sondern der Ergänzungsliste entnommen wurden (vgl dazu Philipp , WK‑StPO § 301 Rz 12 mwN) – spätestens bei Beginn der Hauptverhandlung zugänglich (RIS‑Justiz RS0097452 [T13]). Die Überprüfung der gesetzmäßigen Beiziehung der Geschworenen laut Dienstlisten wäre dem Beschwerdeführer somit jedenfalls bis zum Beginn der (gemäß §§ 276a, 302 StPO mit Zustimmung der Parteien fortgeführten; ON 188 S 3) Hauptverhandlung am 7. Juni 2016 möglich gewesen, zumal er weder behauptet hat, dass ihm das Einsichtsrecht verwehrt worden wäre, noch dem Hauptverhandlungsprotokoll eine in diesem Fall notwendige entsprechende Antragstellung, die sodann der Kontrolle nach § 345 Abs 1 Z 5 StPO unterläge, zu entnehmen ist (RIS‑Justiz RS0106091 [T1, T2]).
Der weitere Einwand der Besetzungsrüge (§ 345 Abs 1 Z 1 StPO), eine zuvor an der Hauptverhandlung am 13., 19. und 21. Jänner 2016 (ON 129a, 134 und 143) beteiligte Ersatzgeschworene sei in der Hauptverhandlung am 7. Juni 2016 nicht anwesend gewesen, geht – ungeachtet der auch diesbezüglich nicht rechtzeitigen Geltendmachung dieses für den Angeklagten und seinen Verteidiger schon bei Beginn dieser Verhandlung wahrnehmbaren (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 136, 138 f) Umstands (§ 345 Abs 2 StPO) – ebenfalls ins Leere, zumal eine Änderung der Zusammensetzung des Gerichts bei teleologischer Auslegung der §§ 276a, 302 StPO dann nicht vorliegt, wenn ein in einer früheren Verhandlung (hier einverständliche Fortsetzung nach § 276a StPO; ON 188 S 3) bereits anwesend gewesener (Ersatz‑)Geschworener in der neuen Verhandlung einen nunmehr verhinderten Laienrichter ersetzt ( Danek , WK‑StPO § 276a Rz 4).
Schließlich kommt auch der auf Vorgänge nach Schluss der Verhandlung bezogenen – und demnach (trotz unterlassener sofortiger Rüge) prozessual zulässigen ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 143) – Kritik an der „willkürlichen“ Zusammensetzung der Geschworenenbank während der Beratung und Abstimmung der Geschworenen, weil nach Schluss der Verhandlung „die Ersatzgeschworenen Aleksandro K***** (10) und Reinhard H***** (9) entlassen“ wurden und „zur Entscheidung […] die Geschworenen 1 – 6 sowie die Ersatzgeschworenen 8 und 11“ „angetreten“ sind, keine Berechtigung zu.
Ein Verstoß gegen die in der Geschworenendienstliste vorgegebene Reihenfolge bewirkt dann Nichtigkeit im Sinn des § 345 Abs 1 Z 1 StPO, wenn vom gesetzlich determinierten Prinzip der nach dem Zufall zu erfolgenden Besetzung der Geschworenenbank willkürlich, somit in sachlich unvertretbarer Weise abgewichen wird (RIS‑Justiz RS0121700).
Die im Hauptverhandlungsprotokoll in alphabetischer Reihenfolge (vgl § 304 erster Satz StPO) aufgezählten „Ersatzgeschworenen“ Andre D***** und Helmut O***** wurden – anstelle der fehlenden Hauptgeschworenen – in der Reihenfolge ihrer Dienstliste herangezogen (Andre D***** Nr 14; Helmut O***** Nr 19), während der „Ersatzgeschworene“ Aleksandro K***** (Nr 20) ebenso zu entlassen war, wie der – laut der Stellungnahme der Vorsitzenden des Schwurgerichtshofs vom 17. Oktober 2016 erst am 8. Jänner 2016 „sehr kurzfristig“ (vgl ON 1 S 35) nachnominierte und vermutlich deshalb nicht auf der im Akt befindlichen „Geschworenenliste“ aufscheinende – „Ersatzgeschworene“ Reinhard H***** (mit der Dienstlisten‑Nr 25).
Somit erfolgte die Entlassung der Geschworenen Aleksandro K***** und Reinhard H***** nach Schluss der Verhandlung (ON 188 S 8) keineswegs willkürlich, sondern entsprach der Reihenfolge in der Ergänzungsdienstliste.
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d, 344 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§§ 285i, 344 StPO).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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