OGH 1Ob194/16k

OGH1Ob194/16k23.11.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** gemeinnützige GmbH, *****, vertreten durch die Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH, Perg, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen 7.385,10 EUR sA und Feststellung (Streitwert 25.000 EUR) über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 30. August 2016, GZ 14 R 72/16k‑12, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 23. März 2016, GZ 30 Cg 12/15b‑8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0010OB00194.16K.1123.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Amtshaftungsansprüche nach § 1 Abs 1 AHG setzen nicht nur ein rechtswidriges Organverhalten voraus. Geht es um die Anwendung bzw Auslegung von Gesetzen oder anderen Rechtsnormen, begründet selbst eine unrichtige Beurteilung keine Schadenersatzpflicht, wenn sie auf einer vertretbaren Rechtsauffassung, also auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Rechtsauslegung oder Rechtsanwendung, beruht (RIS‑Justiz RS0049955; RS0049951; vgl auch RS0050216).

Die Frage der Vertretbarkeit der Rechtsauffassung ist vom Amtshaftungsgericht stets an Hand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und entzieht sich damit regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0110837), sofern dem Berufungsgericht bei der Annahme der Vertretbarkeit keine krasse und damit korrekturbedürftige Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Dies ist hier nicht der Fall.

2. Die Klägerin begehrt die Feststellung der schadenersatzrechtlichen Haftung der Beklagten für jene Schäden, die daraus resultieren, dass das Bundeseinigungsamt die Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit des Österreichischen Roten Kreuzes, insbesondere durch Einleitung eines Verfahrens gemäß § 5 Abs 3 ArbVG, rechtswidrig unterlassen habe. Bei pflichtgemäßem Vorgehen wäre der (zur Satzung erklärte) Kollektivvertrag nicht auf die Klägerin anzuwenden und sie hätte erheblich geringere Aufwendungen für ihre Arbeitnehmer.

Die Auffassung des Berufungsgerichts, eine amtswegige Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit gemäß § 5 Abs 3 ArbVG habe schon deshalb nicht in Erwägung gezogen werden müssen, weil diese nach dem Gesetzeswortlaut den nachträglichen Wegfall der Voraussetzungen des § 4 Abs 2 oder 3 ArbVG voraussetze, weshalb nicht von einer unvertretbaren Rechtsansicht der Behörde auszugehen sei, kann keineswegs als vom Obersten Gerichtshof wahrzunehmende Fehlbeurteilung qualifiziert werden. Wenn die Revisionswerberin in diesem Zusammenhang ausführt, es liege für den Fall des schon ursprünglichen Fehlens der Voraussetzungen eine Gesetzeslücke vor, die durch sinngemäße Anwendung des § 5 Abs 3 ArbVG auch auf diese Fälle zu schließen wäre, wird damit eine unvertretbare Rechtsanwendung nicht dargetan. Dabei wird auch übersehen, dass die Zuerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit gemäß § 4 Abs 3 ArbVG an einen Verein für sich allein noch keine (nachteiligen) Auswirkungen auf andere Arbeitgeber haben kann und solche Wirkungen erst mit der Satzungserklärung eintreten (§ 19 Abs 1 ArbVG), wobei im entsprechenden Verfahren allen betroffenen kollektivvertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Gelegenheit zur Beteiligung zu geben ist (§ 20 Abs 2 ArbVG).

Auch der VwGH hat die Auffassung vertreten (Zl 2011/08/0230), dass eine Aberkennung der Kollektivvertragsfähigkeit gemäß § 5 Abs 3 ArbVG grundsätzlich den (nachträglichen) Wegfall der dafür erforderlichen Voraussetzungen verlange; die Rechtskraftwirkung des seinerzeitigen Bescheids werde insoweit durch § 5 Abs 3 ArbVG teilweise durchbrochen. Der Gesetzgeber habe aber im Verfahren betreffend die Zuerkennung nur der antragstellenden Berufsvereinigung nicht aber anderen freiwilligen Berufsvereinigungen Parteistellung zuerkannt, wogegen im Verfahren über die Aberkennung auch gerade diesen Berufsvereinigungen Parteistellung zukomme. Könnte nun eine solche Berufsvereinigung nicht schon das ursprüngliche Fehlen von Voraussetzungen geltend machen, so liefe dies dem in § 5 Abs 3 ArbVG zum Ausdruck kommenden Anliegen des Gesetzgebers, den kollektivvertragsfähigen Berufsvereinigungen ein gegenseitiges Kontrollrecht einzuräumen, zuwider. Auch aus dieser Begründung kann durchaus der Schluss gezogen werden, dass ein amtswegiges Aufgreifen des ursprünglichen Fehlens der Zuerkennungsvoraussetzungen nicht in Betracht kommt, sondern eine neuerliche Prüfung einen entsprechenden Antrag einer anderen kollektivvertragsfähigen Berufsvereinigung als Partei voraussetzt. Der (alleinige) Vorwurf der Revisionswerberin, ein Verfahren nach § 5 Abs 3 ArbVG sei in rechtlich unvertretbarer Weise nicht amtswegig eingeleitet worden, ist damit nicht berechtigt.

3. Auf die Anregung der Revisionswerberin, eine Normenprüfung beim Verfassungsgerichtshof einzuleiten bzw ein Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof zu stellen, ist schon deshalb nicht einzugehen, weil einerseits eine möglicherweise verfassungswidrige Norm gar nicht konkret genannt und andererseits die mögliche Unvereinbarkeit des § 4 Abs 2 ArbVG mit dem Unionsrecht ebenso wenig substantiiert begründet wird wie dessen Präjudizialität für das vorliegende Verfahren, in dem es in erster Linie um die Vertretbarkeit einer Unterlassung des Bundeseinigungsamts geht.

4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO), weshalb auch nicht näher auf das Tatsachenvorbringen zum Zahlungsbegehren einzugehen ist, das das Berufungsgericht (wohl zutreffend) als unschlüssig qualifiziert hat. Auch der Schutzzweck der angeblich verletzten Norm muss nicht erörtert werden.

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