OGH 15Os57/16w

OGH15Os57/16w7.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. September 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Beran als Schriftführer in der Strafsache gegen Manuela Z***** wegen des Vergehens des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB, AZ 8 U 100/14p des Bezirksgerichts Leopoldstadt, über den Antrag der Verurteilten auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0150OS00057.16W.0907.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

Mit (im zweiten Rechtsgang ergangenen) Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 28. Juli 2015 (ON 31) wurde Manuela Z***** des Vergehens des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe von sieben Wochen verurteilt. Bei der Strafbemessung wertete das Gericht das Vorliegen von 16 einschlägigen Vorstrafen als erschwerend, als mildernd hingegen, dass es beim Versuch geblieben war.

In der dagegen erhobenen Berufung (wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe) machte die Angeklagte zur Straffrage einen Verstoß gegen das allgemeine Beschleunigungsgebot des § 9 Abs 1 StPO und dadurch eine Verletzung des Art 6 Abs 1 MRK geltend, weil der zweite Rechtsgang „aus nicht nachvollziehbaren Gründen“ über acht Monate gedauert habe (ON 33 S 21 f).

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Berufungsgericht vom 30. März 2016, AZ 135 Bl 69/15w (ON 37), wurde die Berufung der Angeklagten wegen Nichtigkeit zurückgewiesen, ihrer Berufung wegen Schuld und Strafe keine Folge gegeben. Zum Vorbringen der Strafberufung führte das Rechtsmittelgericht wörtlich aus: „Entgegen den Ausführungen in der Berufungsschrift ist zwar der Milderungsgrund der langen Verfahrensdauer zu ergänzen, wirkt sich aber bei der Gewichtung der Strafzumessungsgründe nicht aus“ (US 8).

Gegen dieses Urteil wendet sich der Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO per analogiam (RIS‑Justiz RS0122228) der Verurteilten, der eine Verletzung des durch Art 6 Abs 1 MRK garantierten Rechts auf ein faires Verfahren binnen angemessener Frist geltend macht. Bei Vorliegen einer übermäßig langen Verfahrensdauer genüge die allgemeine Berücksichtigung als Milderungsgrund nicht, sondern es bedürfe einer eindeutigen Anerkennung der Verletzung sowie einer ausdrücklichen und messbaren Strafreduktion. Dies verkenne das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft, indem es in seiner Begründung die Auffassung vertrete, der Milderungsgrund der (unverhältnismäßig) langen Verfahrensdauer habe sich bei der Gewichtung der Strafzumessungsgründe nicht ausgewirkt.

Rechtliche Beurteilung

Damit weist der Erneuerungsantrag zutreffend darauf hin, dass sich die – überdies missverständlich eine (bloß) lange Verfahrensdauer anführende – Begründung des Berufungsgerichts nicht an den Vorgaben des EGMR und der höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientiert, wonach die durch eine unangemessen lange Verfahrensdauer bewirkte Grundrechtsverletzung ausdrücklich in Rechnung zu stellen und durch eine spür‑ und messbare (mit anderen Worten rechnerisch spezifizierte) Strafmilderung auszugleichen ist (RIS‑Justiz RS0114926).

Rechtslogische Voraussetzung einer solchen verpflichtenden Strafmilderung und damit zugleich Anknüpfungspunkt für die Opfereigenschaft nach § 34 MRK ist, dass das Verfahren aus einem nicht vom Angeklagten oder seinem Verteidiger zu vertretenden Grund unverhältnismäßig lange gedauert hat (§ 34 Abs 2 StGB). Dieses Erfordernis ist vorliegend nicht gegeben.

Eine Verfahrensdauer von knapp 21 Monaten vom ersten In-Kenntnis-Setzen der Verdächtigen von der Tatsache, dass gegen sie wegen des Verdachts einer strafbaren Handlung ermittelt wird (vgl RIS‑Justiz RS0124901), bis zur Rechtskraft des verurteilenden Erkenntnisses ist bei einer einfachen Strafsache zweifellos als lang zu bewerten. Bei Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Verfahrensdauer ist jedoch in Rechnung zu stellen, dass die – in ihrer Vernehmung vor der Polizei noch geständige (ON 2 S 13) – Angeklagte im ersten Rechtsgang trotz ordnungsgemäßer Ladung und ohne ausreichenden Entschuldigungsgrund nicht zur Hauptverhandlung erschienen war (ON 9). Gegen das auf Basis ihrer bisherigen Verantwortung gefällte Abwesenheitsurteil (ON 10) erhob sie zunächst – erfolglos – Einspruch (ON 11) und danach das Rechtsmittel der Berufung (ON 13), das zur Urteilsaufhebung führte. Die Hauptverhandlung im zweiten Rechtsgang musste wegen des Nichterscheinens einer Zeugin bzw zur Erhebung von im Interesse der Angeklagten gelegenen, auf ihrem Vorbringen basierenden Beweisen (ON 17, 18a, 24) dreimal vertagt werden.

Längere Phasen behördlicher oder gerichtlicher Inaktivität (vgl RIS‑Justiz RS0124901 [T3]) liegen nicht vor. Der Einwand des Erneuerungsantrags, zwischen 17. Februar und 28. Juli 2015 habe keine Hauptverhandlung stattgefunden, ist nicht nachvollziehbar. Die Hauptverhandlung am 17. Februar 2015 wurde (ua zur Einholung einer von der Angeklagten initiierten Auskunft der B*****GmbH) auf den 2. April 2015 vertagt und an diesem Tag auch durchgeführt (ON 19). Der Zeitraum bis zur nächsten Hauptverhandlung am 28. Juli 2015 (ON 30) diente (neben der Überprüfung eines Zustellvorgangs) auch dazu, einem schriftlich gestellten Beweisantrag der Verteidigung zu entsprechen (ON 24).

Im Rahmen der gebotenen Einzelfallbetrachtung (vgl zu den Kriterien der Abwägung Grabenwarter/Pabel EMRK 6 § 24 Rz 82 f) war neben der Berücksichtigung dieser Verfahrensdaten unter dem Aspekt der Bedeutung der Sache für die Beschwerdeführerin auch zu bedenken, dass keine Haft über sie verhängt wurde und eine besondere Dringlichkeit aus anderen Gründen weder ersichtlich ist noch vorgebracht wurde. Bei Abwägung all dieser Umstände aber liegt gerade noch keine unverhältnismäßig lange Verfahrensdauer vor.

Der Erneuerungsantrag war daher bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO).

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