European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0130OS00076.16Z.0906.000
Spruch:
In der Strafsache AZ 9 Hv 121/06z des Landesgerichts für Strafsachen Graz verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 17. Februar 2016, AZ 8 Bs 36/16d (ON 36), das Gesetz durch das Unterlassen der analogen Anwendung des § 31a StGB.
Dieser Beschluss wird aufgehoben und dem Oberlandesgericht Graz die neuerliche Entscheidung über die Beschwerde des Finanzamts Graz‑Stadt (ON 33) gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 20. Jänner 2016, GZ 9 Hv 121/16z‑32, aufgetragen.
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 14. September 2006, GZ 9 Hv 121/06z‑15, wurde Kemal G***** (richtig:) mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach § 33 Abs 1 FinStrG schuldig erkannt und – unter gemäß (richtig) § 21 Abs 3 FinStrG erfolgten Bedachtnahme auf ein Urteil dieses Gerichts vom 27. März 2006 – zu einer Geldstrafe von 30.000 Euro, im Uneinbringlichkeitsfall zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von zwei Monaten verurteilt. Über seinen Antrag (ON 17) bewilligte das Erstgericht mit Beschluss vom 15. November 2006, GZ 9 Hv 121/06z‑18, die Bezahlung der Geldstrafe in 57 Monatsraten zu je 300 Euro beginnend mit 15. Jänner 2007 und einer 58. Monatsrate zu 12.900 Euro. Bis zum 17. April 2015 – solcherart im Übrigen unter Verletzung der gesetzlichen Höchstfrist (§ 409a Abs 2 Z 3 StPO iVm § 195 Abs 1 StPO) – bezahlte der Verurteilte 27.900 Euro (siehe „Kostenmappe“).
Am 15. Dezember 2015 ersuchte Kemal G***** „für die restliche Geldstrafe von € 2.100,00 um gemeinnützige Leistungen“ (ON 29).
Im Hinblick auf die im Umfang von 27.900 Euro erfolgte Zahlung milderte die Einzelrichterin mit Beschluss vom 20. Jänner 2016 (ON 32) die Geldstrafe unter Heranziehung des § 31a StGB nachträglich auf diesen Betrag.
Der dagegen erhobenen Beschwerde des Finanzamts Graz‑Stadt als Finanzstrafbehörde (ON 33) gab das Oberlandesgericht Graz als Beschwerdegericht mit Beschluss vom 17. Februar 2016, AZ 8 Bs 36/16d (ON 36), Folge und hob den angefochtenen Beschluss ersatzlos auf. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, der Allgemeine Teil des Strafgesetzbuchs sei in Finanzstrafsachen nicht anwendbar und für eine analoge Anwendung des § 31a StGB bliebe auf Grund der abschließenden Regeln des Finanzstrafgesetzes kein Raum.
Wie die Generalprokuratur in ihrer gemäß § 23 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend ausführt, verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 17. Februar 2016, AZ 8 Bs 36/16d (ON 36), das Gesetz.
Rechtliche Beurteilung
Nach § 3 Abs 1 FinStrG sind die Bestimmungen des I. Hauptstücks des Finanzstrafgesetzes, also der Allgemeine Teil, auch in gerichtlichen Finanzstrafverfahren anzuwenden. In Bezug auf diese ist die genannte Bestimmung dahin zu verstehen, dass der Allgemeine Teil des StGB – von Sonderregelungen (vgl § 1 Abs 3, § 10, § 15 Abs 4, § 23 Abs 2, § 26 Abs 1 FinStrG) abgesehen - in Finanzstrafsachen nicht anzuwenden ist (RIS‑Justiz RS0123453; Lässig in WK² FinStrG § 3 Rz 1 mwN).
Einen generellen Ausschluss nachträglicher Strafmilderung in gerichtlichen Finanzstrafverfahren bedeutet dies aber aus folgenden Überlegungen nicht:
Die Bestimmungen über die nachträgliche Strafmilderung waren ursprünglich in § 410 StPO enthalten und solcherart von der Verweisungsnorm des § 195 Abs 1 FinStrG umfasst. Mit dem StRÄG 1996 wurden die materiell‑rechtlichen Elemente des § 410 StPO aF aus systematischen Gründen in den mit dieser Novellierung neu geschaffenen § 31a StGB übernommen. Die Voraussetzungen für eine nachträgliche Strafmilderung sollten dadurch keine Veränderung erfahren (vgl EBRV 33 BlgNR 20. GP 33). Eine allfällige gesetzgeberische Intention, durch diese insoweit bloß formale Änderung das unter dem Aspekt der Einzelfallgerechtigkeit wichtige Instrument der nachträglichen Strafmilderung für das Finanzstrafverfahren generell auszuschließen, ist unter Bedachtnahme auf die deklarierte ratio legis nicht anzunehmen. Solcherart ist das Finanzstrafgesetz durch das StRÄG 1996 – zufolge Wegfalls der bisherigen Regelung und mangels ausdrücklicher Anordnung der Anwendung der geltenden Bestimmung – in Bezug auf die Möglichkeit der nachträglichen Strafmilderung nachträglich lückenhaft geworden. Diese Gesetzeslücke ist durch analoge Anwendung des § 31a StGB auch in gerichtlichen Finanzstrafverfahren zu schließen (Lässig in WK2 FinStrG § 3 Rz 1; Tischler, SbgK § 31a Rz 24; vgl auch RIS‑Justiz RS0130299; vereinzelt gegenteilig 13 Os 87/08f).
Die generelle Verneinung der Möglichkeitsnachträglicher Strafmilderung in Finanzstrafsachen ist daher rechtlich verfehlt. Da die aufzeigte Gesetzesverletzung dem Verurteilten zum Nachteil gereicht, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verbinden (§ 292 letzter Satz StPO).
Von dem aufgehobenen Beschluss rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten gleichfalls als beseitigt (RIS‑Justiz RS0100444; Ratz , WK‑StPO § 292 Rz 28).
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