European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBS00001.16D.0830.000
Spruch:
Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Revision des Erstklägers
1.1. Nach § 7 Abs 1 IESG ist die Beklagte bei der Beurteilung des Vorliegens eines gesicherten Anspruchs an die hierüber ergangenen gerichtlichen Entscheidungen gebunden, die gegenüber dem Antragsteller rechtskräftig geworden sind. Diese Bindung tritt nicht ein, wenn der gerichtlichen Entscheidung kein streitiges Verfahren vorangegangen ist oder ein Anerkenntnisurteil gefällt wurde, sofern diese Gerichtsentscheidung vor weniger als sechs Monaten vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder vor Erlassung eines nach § 1 Abs 1 IESG gleichzuhaltenden Gerichtsbeschlusses rechtskräftig geworden ist.
Das Berufungsgericht hat aufgrund dieser Bestimmung dem Anerkenntnisurteil, das der Kläger erst nach der Konkurseröffnung über das Vermögen der Dienstgeberin im Prüfungsprozess gegen den Masseverwalter erwirkt hat, keine Bindungswirkung iSd § 1 Abs 1 erster Satz IESG beigemessen. Diese Rechtsansicht entspricht sowohl dem eindeutigen Wortlaut als auch dem Zweck der Gesetzesbestimmung.
1.2. Nach § 7 Abs 1 zweiter Satz IESG gibt es zwei Arten von gerichtlichen Entscheidungen, die von der Bindungswirkung im Verwaltungsverfahren iSd Satz 1 ausgenommen werden. Die Konjunktion „oder“ stellt dabei sprachlich klar, dass es beim Anerkenntnisurteil nicht darauf ankommt, ob ihm allenfalls ein kontradiktorisches Verfahren vorangangen ist.
Trifft das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung, dann liegt eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auch dann nicht vor, wenn eine ausdrückliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung fehlt (RIS‑Justiz RS0042656).
1.3. Das Revisionsargument, der Arbeitnehmer habe im Falle eines prozessualen Anerkenntnisses des Arbeitgebers aus Kostengründen keine andere Wahl, als die Fällung eines Anerkenntnisurteils zu beantragen, weshalb es nicht gerechtfertigt wäre, wenn sich die Beklagte durch die fehlende Bindungwirkung eines solchen Urteils etwas ersparen könnte, ist nicht schlüssig.
Liegt kein bindender gerichtlicher Titel vor, bedeutet das für die Beklagte zunächst einen organisatorischen Mehraufwand, weil sie die angemeldete Forderung selbst materiell prüfen muss. Eine finanzielle Ersparnis könnte sich nur dann einstellen, wenn im Gerichtsverfahren aufgrund der freien Parteiendisposition eine Forderung anerkannt wurde, die dem Arbeitnehmer materiell nicht zustand.
Die Unterbindung von einseitigen Parteiendispositionen zu Lasten des Fonds durch Gewährleistung einer inhaltlichen Überprüfung in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren ist aber gerade der Zweck des § 7 Abs 1 2. Satz IESG. Ein schutzwürdiges Interesse des Arbeitnehmers auf Bezug von Insolvenz-Entgelt für eine unberechtigte Forderung besteht nicht.
1.4. Nach § 1 Abs 1 IESG sind (nur) Arbeitnehmer, freie Dienstnehmer iSd § 4 Abs 4 ASVG, Heimarbeiter sowie deren Hinterbliebene und Rechtsnachfolger anspruchsberechtigt.
Jene nach § 1 Abs 2 ESG gesicherten Ansprüche, die sich bei Beurteilung des Vertragsverhältnisses des Erstklägers als freies Dienstverhältnis ergeben, wurden ihm von der Beklagten bereits bescheidmäßig zuerkannt. Gegen die Qualifikation von Stornoreserve, Aufwandersatz-rückforderung und „Insentive Rice“ als schon dem Grunde nach nicht gesicherte Ansprüche enthält die Revision keine Ausführungen.
Der Zweitkläger strebt mit seinem Rechtsmittel lediglich eine Qualifikation des Vertragsverhältnisses als (echtes) Angestelltenverhältnis an. Die dafür erforderlichen Voraussetzungen, insbesondere eine Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit, haben die Vorinstanzen aber aufgrund der Feststellungen ohne Rechtsirrtum verneint. Die Abgrenzung des freien Dienstvertrags von anderen Vertragstypen kann immer nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls erfolgen und wirft dementsprechend keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
1.5. Die von den Vorinstanzen bejahte Frage, ob die Vertragsbeziehung zwischen dem Kläger und der Schuldnerin rechtsmissbräuchlich zu Lasten des Fonds gestaltet war, kann mangels Relevanz für das Ergebnis auf sich beruhen.
2. Revision des Zweitklägers
2.1. Zur Frage der Bindung an das vom Zweitkläger im Prüfungsprozess erwirkten Anerkenntnisurteils ist auf die obenstehenden Ausführungen zu verweisen.
2.2. Die Arbeitssituation des Zweitklägers unterschied sich von jener des Erstklägers dadurch, dass er seine Tätigkeit für die Gemeinschuldnerin nur gelegentlich als nebenberufliche Zuverdienstmöglichkeit ausgeübt hat. Bei der vom Berufungsgericht wiedergegebenen erstgerichtlichen Feststellung, der Zweitkläger habe „ ein “ vorgegebenes Stundenpensum zu absolvieren gehabt, handelte es sich um einen offenkundigen Schreibfehler, tatsächlich gemeint war „kein“, wie sich aus dem folgenden Halbsatz: „es wurde die Anwesenheit oder die Arbeitszeit auch nicht kontrolliert“ ebenso zwingend ergibt wie aus der disloziert in die rechtliche Beurteilung aufgenommenen Feststellung, dass er völlig frei war, „ ob, wie und wann er seine Leistung erbringt“. Der Zweitkläger unterlag weder irgendwelchen Vorgaben noch Kontrollen hinsichtlich Arbeitszeit, Arbeitsort und Art und Weise der Tätigkeitsverrichtung. Er war zu einer Arbeitsleistung gar nicht verpflichtet.
Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass es sich bei der festgestellten losen Form der Vertragsbeziehung um ein „völlig a‑typisches“ (gemeint: überhaupt kein) Dienstverhältnis iSd § 4 Abs 4 ASVG handelte und der Zweitkläger nicht zum Kreis der nach § 1 Abs 1 IESG Anspruchsberechtigten zählt, ist jedenfalls nicht unvertretbar und begründet die Zulässigkeit der Revision nicht.
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