OGH 14Os50/16h

OGH14Os50/16h2.8.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. August 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Janisch als Schriftführerin in der Strafsache gegen Thomas R***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster und vierter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 18. Jänner 2016, GZ 021 Hv 42/14v‑47, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Janda, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Friis zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0140OS00050.16H.0802.000

 

Spruch:

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der (teilweisen) rechtlichen Unterstellung der vom Schuldspruch I/1 erfassten Taten nach § 206 Abs 1 und Abs 3 „dritter“ (gemeint: vierter) Fall StGB idgF sowie nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB idgF (Schuldspruch II/1 im Umfang des Verweises auf diese Taten), demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und im Umfang der Aufhebung zu Recht erkannt:

Thomas R***** hat durch die zu I/1 und II/1 genannten Taten (neben einem nicht von der Aufhebung umfassten Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und mehreren Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB) in einer unbestimmten Anzahl weiterer Fälle die Verbrechen de

s schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB idF BGBl I 2001/130 sowie (in diesem Umfang) die Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB idF BGBl I 2004/15 und BGBl I 2006/56 begangen.

Er wird

hiefür sowie für das ihm nach dem unberührt gebliebenen Schuldspruch weiterhin zur Last liegende Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB, die Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB sowie die Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB und das Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB (jeweils in der geltenden Fassung) unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem ersten Strafsatz des § 206 Abs 3 StGB zu fünf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe

verurteilt.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Thomas R***** des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 und Abs 3 erster Fall StGB und mehrerer Verbrechen de

s schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, „teilweise nach § 206 Abs 1, Abs 3 'dritter' (ersichtlich gemeint: vierter) Fall StGB“ (I/1), mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (I/2) sowie mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (II/1) und eines Vergehens der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB (II/2) schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er in W***** von 2005 bis 2009

(I) mit einer unmündigen Person, nämlich seiner am 15. August 1998 geborenen leiblichen Tochter Melina R*****,

1) den Beischlaf und diesem gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er

a) mehrmals einen Finger in ihre Scheide einführte, an ihr Anal‑ und Oralverkehr vollzog und von ihr Oralverkehr an sich vollziehen ließ, wobei

er

teilweise in ihren Mund ejakulierte und sie aufforderte, das Ejakulat

zu schlucken, wodurch sie in besonderer Weise

erniedrigt wurde;

b) in zumindest einem Fall mit seinem Penis an ihrer Scheide ansetzte und einzudringen versuchte,

wodurch die Genannte eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), und zwar eine länger als 24 Tage anhaltende emotionale Störung des Kindesalters mit Essstörung, aktuell überlagert von einer depressiven Symptomatik im Sinne einer Anpassungsstörung, erlitt;

2) in einer unbestimmten Zahl von Angriffen außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen, nämlich Handverkehr, von der unmündigen Melina R***** an sich vornehmen lassen;

(II) mit der Genannten, sohin einer mit ihm in gerader Linie verwandten minderjährigen Person,

1) durch die zu I/1/a und I/2 geschilderten Taten geschlechtliche Handlungen vorgenommen und von dieser an sich vornehmen lassen;

2) durch die zu I/1/b geschilderte Tat den Beischlaf „vollzogen“.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 10 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.

Soweit die Mängelrüge zunächst zum Schuldspruch I/1 fehlende Begründung (Z 5 vierter Fall) der Urteilsannahmen zur fahrlässigen Herbeiführung der Erfolgsqualifikation des § 206 Abs 3 erster Fall StGB behauptet, ist sie nicht im Recht.

Sie verkennt nämlich zunächst, dass die objektive Sorgfaltswidrigkeit in Bezug auf die eine Erfolgsqualifikation konstituierende Tatfolge – abgesehen von hier gar nicht angesprochenen Fällen atypischer Ungefährlichkeit der Begehungsweise für den qualifizierenden Erfolg (etwa bei überschweren Tatfolgen der §§ 85 oder 86 StGB) – im Regelfall mit dem (hier vorsätzlichen) Grunddelikt mitverwirklicht ist (RIS‑Justiz RS0089253, RS0089151, Burgstaller in WK² StGB § 7 Rz 21 ff). Ausgehend von den – mängelfrei begründeten und insoweit von der Rüge nicht erfolgreich (vgl dazu gleich unten)

kritisierten – Feststellungen zum Tatgeschehen (mehrfachen vorsätzlichen schweren sexuellen Missbrauch eines zum Beginn des Tatzeitraums erst siebenjährigen Mädchens; US 5 ff) und zur Kausalität des Täterverhaltens für die schwere Verletzungsfolge, bedurfte dieses Fahrlässigkeitskriterium demnach weder einer gesonderten Konstatierung noch deren Begründung, sondern ist vielmehr als Rechtsfrage einer Anfechtung mit Mängelrüge entzogen.

Die aus dem äußeren Geschehensablauf erfolgte Ableitung der Feststellungen zur inneren Tatseite (US 9) – demzufolge auch zur (schon durch die objektiv indizierte) subjektiven Sorgfaltswidrigkeit – ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (RIS‑Justiz RS0116882). Das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte infolge seiner individuellen geistigen Verhältnisse zur Tatzeit nicht wie jedermann in der Lage gewesen wäre, den durch das oben beschriebene Verhalten eingetretenen Erfolg und – in den wesentlichen Zügen – den zu ihm führenden Kausalverlauf zu erkennen, wird von der Rüge nicht behauptet (vgl zum Ganzen Burgstaller in WK2 StGB § 7 Rz 27 iVm § 6 Rz 91; RIS‑Justiz RS0088909; zur objektiven und subjektiven Vorhersehbarkeit des

Erfolgseintritts: 15 Os 166/12v).

Die leugnende Verantwortung des Angeklagten haben die Tatrichter mit ausführlicher Begründung als widerlegt erachtet (US 7 ff) und waren – dem Gebot zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend – unter dem Gesichtspunkt von Unvollständigkeit (nominell Z 5a, der Sache nach Z 5 zweiter Fall) nicht

verpflichtet, sich mit sämtlichen Details seiner Einlassung gesondert auseinander zu setzen. Die räumlichen Verhältnisse an den Tatorten wurden in den Entscheidungsgründen ebenso erörtert wie der vom Beschwerdeführer (im Zusammenhang mit der Bestreitung eines Telefonats) vorgelegte „Einzelentgeltnachweis“ (US 8).

Indem die Rüge aus diesen Verfahrensergebnissen andere Schlüsse zieht als jene des Erstgerichts bekämpft sie bloß unzulässig die Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung. Erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen (Z 5a) werden mit diesem Vorbringen nicht geweckt.

Welche „Aussagen der von ihm (dem Angeklagten) beantragten Entlastungszeugen“ im Urteil unberücksichtigt blieben, erklärt die Beschwerde nicht und entzieht sich solcherart insoweit einer inhaltlichen Erwiderung.

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher zu verwerfen.

Im Recht ist hingegen die Subsumtionsrüge (Z 10; dazu auch US 9 unten) mit dem Einwand, dass die rechtliche Unterstellung jener zu Schuldspruch I/1/a genannten Taten, in welchen der Angeklagte in den Mund der Unmündigen ejakulierte und sie aufforderte, das Ejakulat zu schlucken, wodurch sie besonders erniedrigt wurde, unter die mit 1. August 2013 durch das Sexualstrafrechts-änderungsgesetz 2013 (BGBl I 2013/116) eingeführte Deliktsqualifikation nach § 206 Abs 3 vierter Fall StGB mit Blick auf den Tatzeitraum von 2005 bis 2009 sowie den gemäß §§ 1, 61 StGB anzustellenden Günstigkeitsvergleich zu Unrecht erfolgte.

Somit war teils in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde, teils aus deren Anlass das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, in der verfehlten Subsumtion dieser Taten nach § 206 Abs 1 und Abs 3 „dritter“ (gemeint: vierter) Fall StGB sowie – zufolge der gebotenen Gesamtbetrachtung im Falle hier vorliegender Idealkonkurrenz (RIS‑Justiz RS0119085, RS0112939; vgl zuletzt 15 Os 3/15b) – nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB idgF (Schuldspruch II/1 im Umfang des Verweises auf diese Taten), demgemäß auch im Strafausspruch aufzuheben und wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen.

Der damit notwendig gewordenen Strafneubemessung ist vorauszuschicken, dass die Deliktsvollendung nach § 211 Abs 1 StGB vollzogenen Beischlaf (Vereinigung der Geschlechtsteile) und nicht bloß – wie hier konstatiert (US 6 oben) – unternommenen Beischlaf (bloßes Ansetzen zu einem solchen) verlangt (RIS‑Justiz RS0095106), weshalb insoweit richtig nur von einem Tatversuch – für dessen freiwillige Aufgabe keine Indizien vorliegen (RIS‑Justiz RS0089874, RS0090229, vgl auch RS0089806, RS0107292) – auszugehen ist.

Neben diesem Milderungsgrund teilweisen Versuchs (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB) waren der bisher ordentliche Lebenswandel (§ 34 Abs 1 Z 2 StGB) und das lange Zurückliegen der Taten (§ 34 Abs 1 Z 18 StGB) mildernd, erschwerend dagegen das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und mehrerer Vergehen, der lange Tatzeitraum (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB) sowie die besondere Erniedrigung des Opfers im Rahmen der vom Schuldspruch I/1/a erfassten Taten zu werten.

Der im Rahmen der Berufung des Angeklagten reklamierte Milderungsgrund des § 34 Abs 2 StGB liegt nicht vor, weil die Verfahrensdauer von etwas über zwei Jahren (von der ersten Vernehmung des Thomas R***** durch die Kriminalpolizei am 6. Juni 2014 [ON 2 S 15] bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verfahrens am heutigen Tag; vgl RIS‑Justiz RS0124901; Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 24 Rz 81) nicht unverhältnismäßig lang war und unter diesem Aspekt gegebenenfalls beachtliche längere Phase behördlicher Inaktivität dem Akteninhalt – auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die am 18. Februar 2015 (unter anderem zur Einholung von zwei Sachverständigengutachten) vertagte Hauptverhandlung erst am 14. Dezember 2015 fortgesetzt wurde (vgl dazu ON 23, 24, 27, 28, 31 und 34 iVm ON 1 S 13 f) – nicht zu entnehmen sind.

Davon ausgehend entspricht eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten dem Unrechts- und Schuldgehalt der Taten sowie der Täterpersönlichkeit.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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