OGH 9Ob42/16s

OGH9Ob42/16s24.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr in der Pflegschaftssache des mj L* G*, geboren *, vertreten durch die Stadt St. Pölten als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Jugendhilfe Magistrat der Stadt St. Pölten, 3100 St. Pölten, Rathausplatz 1), wegen Herabsetzung des Unterhalts aufgrund des Antrags des Vaters V*, über den Revisionsrekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 13. April 2016, GZ 23 R 163/16t‑14, mit dem dem Rekurs des Minderjährigen gegen den Beschluss des Bezirksgerichts St. Pölten vom 3. März 2016, GZ 11 Pu 67/11x‑11, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E115120

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

 

Begründung:

Der mj L* G* ist bei seiner Mutter in Pflege und Erziehung. Seit 1. 9. 2015 verdient er als Lehrling eine monatliche Nettolehrlingsentschädigung von 507,01 EUR inklusive anteiliger Sonderzahlungen.

Am 14. 1. 2016 beantragte der Vater als Geldunterhaltsschuldner, mit Wirkung ab 1. 1. 2016 seine bisherige Unterhaltsverpflichtung von monatlich 235 EUR auf den gesetzlich möglichen Mindestbetrag herabzusetzen (ON 6).

Mit Beschluss verpflichtete das Erstgericht den Vater ab 1. 1. 2016 zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 215 EUR. Es lägen einfache Lebensverhältnisse vor. Nach Abzug des anrechenbaren Eigeneinkommens von 507 EUR vom ASVG‑Richtsatz von 977,38 EUR verbleibe ein nicht durch Eigeneinkommen gedeckter Restbedarf von 470 EUR, der mit einem Anteil von 45 % (dem Verhältnis des Regelbedarfssatzes zum ASVG‑Richtsatz) vom unterhaltspflichtigen Elternteil abzudecken sei.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Minderjährigen nicht Folge und erachtete die Begründung des Erstgerichts als zutreffend, ließ aber den Revisionsrekurs zu den mittlerweile geänderten Geldwertverhältnissen zwischen Ausgleichszulagenrichtsatz und Regelbedarf zu.

In seinem dagegen gerichteten Revisionsrekurs beantragt der Minderjährige die Abänderung des Beschlusses im Sinne einer Abweisung des Herabsetzungsantrags. Der Vater erstattete keine Revisionsrekursbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch nicht zulässig.

Der Minderjährige bringt vor, die Ausgleichszulage sei im letzten Jahrzehnt stärker angehoben worden, als dies rechnerisch der Inflationsrate entsprochen habe. Dies habe sich zu Ungunsten des betreuenden Elternteils entwickelt, da sich die Regelbedarfssätze am VPI orientierten. Der vom geldunterhaltspflichtigen Elternteil abzudeckende Anteil sei zum Zeitpunkt der Entscheidung 1 Ob 560/92 noch bei ungefähr 50 % gelegen. Die Verschiebung dieses Verhältnisses dürfte nicht die Absicht des Obersten Gerichtshofs gewesen sein. Es gebe keine inhaltliche Begründung dafür, dass die Unterhaltsleistung für 15‑ bis 17‑Jährige mehr durch Betreuungsleistungen als durch Geldunterhalt zu erbringen sei.

Nach § 231 Abs 3 ABGB idF KindNamRÄG 2013, BGBl I 2013/15 (davor: § 140 Abs 3 ABGB) mindert sich der Anspruch auf Unterhalt insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist.

Selbsterhaltungsfähigkeit bedeutet die Fähigkeit zur eigenen angemessenen Bedarfsdeckung auch außerhalb des elterlichen Haushalts. Solange das Kind noch die elterliche Wohnungsgewährung oder Betreuung benötigt, ist es noch nicht selbsterhaltungsfähig (RIS‑Justiz RS0047554). Wenn ein Kind nur so viel selbst verdient, dass es neben der Betreuung durch einen Elternteil nichts mehr benötigt, dann kommt es nicht zur vollen Befreiung des anderen Elternteils, muss doch hier ein Teil des Eigenverdienstes auch dem betreuenden Elternteil zugute kommen. Ob dieser Elternteil von seinem Kind tatsächlich einen finanziellen Beitrag für die Betreuung fordert, ist nicht entscheidend (RIS‑Justiz RS0047500).

Ist das vom Minderjährigen erzielte Einkommen auf die von den Eltern gemeinsam geschuldeten Unterhaltsleistungen anzurechnen, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der Entlastung der beiden Elternteile, wofür zwischen einfachen und überdurchschnittlichen Lebensverhältnissen zu unterscheiden ist (s Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht7 151; Gitschthaler, Unterhaltsrecht3 Rz 712, jeweils mwN).

Bei Beurteilung einfacher Lebensverhältnisse kann nach der Rechtsprechung der Ausgleichszulagenrichtsatz nach § 293 Abs 1 lit a/bb und b ASVG als tauglicher Anhaltspunkt bzw Orientierungshilfe für die Annahme eines durchschnittlichen Bedarfs herangezogen werden (RIS‑Justiz RS0047514 [T2, T4, T5], RS0047645 [T3]).

Nach ständiger Rechtsprechung ist bei – hier unstrittig vorliegenden – einfachen Lebensverhältnissen das Eigeneinkommen des Kindes auf die Leistungen des geldunterhaltspflichtigen und des betreuenden Elternteils im Verhältnis zwischen dem Durchschnittsbedarf der Altersgruppe, der das Kind angehört, und dessen Differenz zum ASVG‑Ausgleichszulagenrichtsatz anzurechnen (1 Ob 560/92 [verstSen]; RIS‑Justiz RS0047565, zuletzt 7 Ob 99/15g).

Diese Berechnungsmethode bildet aber nur eine Orientierungshilfe, die nach den besonderen Umständen des Einzelfalls nach oben oder unten korrigiert werden kann (RIS‑Justiz RS0047565 [T1]). Es liegt schon im Wesen einer Orientierungshilfe, dass damit keine mathematisch exakte Unterhaltsberechnung vorgegeben werden soll. Der Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 560/92 lag ein Fall zugrunde, in dem der Durchschnittsbedarf für Minderjährige in der Altersgruppe von 15 bis 19 Jahren nur ganz geringfügig mehr als die Hälfte des Richtsatzes gemäß § 293 Abs 1 lit a sublit bb und lit b ASVG betrug, weshalb die Anrechnung der Lehrlingsentschädigung des Minderjährigen auf die Unterhaltsleistungen der Eltern zu gleichen Teilen als gerechtfertigt erachtet wurde. Daraus geht aber zugleich hervor, dass die Anrechnung nicht stets und jedenfalls in genau diesem Verhältnis gegeben sein muss. Wenn das Rekursgericht auch hier die Bedingung der Anrechnung von „etwa“ der Hälfte des Eigeneinkommens auf den geldunterhaltspflichtigen Elternteil noch als gegeben erachtete, ist dies nach Lage des Falls nicht weiter zu beanstanden.

Es besteht damit im vorliegenden Fall kein Anlass, von der genannten ständigen Rechtsprechung abzugehen, wonach das Eigeneinkommen des Minderjährigen auf die Leistungen des geldunterhaltspflichtigen und des betreuenden Elternteils im Verhältnis zwischen dem Durchschnittsbedarf der Altersgruppe, der der Minderjährige angehört, und dessen Differenz zum ASVG‑Ausgleichszulagenrichtsatz anzurechnen ist (RIS‑Justiz RS0047565).

Der Revisionsrekurs des Minderjährigen ist daher mangels einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.

Stichworte