European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0050OB00016.16P.0614.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Sachbeschluss des Erstgerichts zu lauten hat:
„1. Festgestellt wird, dass der am 5. Juli 2011 bekannt gemachte Umlaufbeschluss der Eigentümergemeinschaft der EZ ***** GB ***** (1. Thermische Sanierung Fassade und Kellerdecke, Balkonsanierung und Erneuerung der Geländer, Dämmung oberste Geschoßdecke, Erneuerung restlicher Fenster; 2. Kostenrefundierung an Wohnungseigentümer für den Austausch von Fenstern und Balkon/Außentüren) rechtsunwirksam ist.
2. Die 3., 6., 12., 18., 20. bis 22., 26. bis 28., 30., 31., 34. bis 36., 42., 46. bis 50., 52., und 64. bis 67. Antragsgegner sind schuldig, dem Antragsteller binnen 14 Tagen die mit 7.787,57 EUR (darin 1.297,93 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des erstgerichtlichen Verfahrens zu ersetzen.“
Die 3., 6., 12., 18., 20. bis 22., 26. bis 28., 30., 31., 34. bis 36., 42., 46. bis 50., 52. und 64. bis 67. Antragsgegner sind schuldig, dem Antragsteller binnen 14 Tagen die mit 559,44 EUR (darin 93,24 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.
Die 3., 6., 12., 18., 20. bis 22., 26. bis 28., 30., 31., 34. bis 36., 42., 46. bis 50., 52., 64. bis 67. und 73. Antragsgegner sind schuldig, dem Antragsteller binnen 14 Tagen die mit 670,89 EUR bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens (darin 111,81 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.
Begründung:
Gegenstand des Verfahrens ist die Anfechtung eines von den Wohnungseigentümern der Liegenschaft EZ ***** GB ***** gefassten und am 5. Juli 2011 bekannt gemachten Beschlusses. Dessen Gegenstand ist, 1. die thermische Sanierung Fassade und Kellerdecke, Balkonsanierung und Erneuerung der Geländer, Dämmung oberste Geschossdecke, Erneuerung restlicher Fenster sowie 2. eine Kostenrefundierung für diejenigen Wohnungseigentümer, die innerhalb der letzten fünf Jahre einen Austausch von Fenstern und Balkon-/Außentüren auf eigene Kosten vorgenommen haben.
Die Beschlussfassung erfolgte im Wege eines Umlaufbeschlusses, wobei die Wohnungseigentümer die Gelegenheit hatten, über die beiden Beschlussgegenstände gesondert abzustimmen. In den Abstimmungsbogen wurde den Wohnungseigentümern eine Frist für die Stimmabgabe bis längstens 20. 4. 2011 eingeräumt. Da zum Fristende am 20. 4. 2011 weder eine Mehrheit für noch gegen die Punkte 1. und 2. des Abstimmungsbogen feststand, beschloss die Hausverwaltung mit der Beschlussbekanntgabe noch zuzuwarten, da ihr von Seiten der Wohnungseigentümer bekannt war, dass einzelne Eigentümer ihre Stimme noch abgeben werden. In der Zeit zwischen 20. 4. 2011 und 25. 5. 2011 stimmten noch einzelne Wohnungseigentümer ab. Mit 25. 5. 2011 hatte die nach Miteigentumsanteilen bestimmte Mehrheit der Wohnungseigentümer für beide Beschlussgegenstände mit „Ja“ gestimmt. Am 25. 5. 2011 richtete die Verwalterin ein Schreiben an jene Eigentümer, die ihre Stimmen bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgegeben hatten und verlängerte in diesem die Frist für die Stimmabgabe auf den 6. 6. 2011. Mit dieser Fristsetzung wollte die Verwalterin auch ein eindeutiges Beschlussergebnis für den Punkt 2. erreichen, weil sie davon ausging, dass es für diesen Punkt noch keine Mehrheit gebe. Zum Zeitpunkt des Ablaufs der zweiten Frist zum 6. 6. 2011 war der Hausverwaltung bekannt, dass ein Wohnungseigentümer seine Stimme noch abgeben und hinsichtlich beider Beschlüsse mit „Ja“ stimmen werden wird. Unter Berücksichtigung der nach Fristende am 10. 6. 2011 eingelangten Stimme dieses Wohnungseigentümers ergaben sich abschließend folgende Mehrheitsverhältnisse: Für die Umsetzung des Punktes 1. stimmten 59,49 %, für die Umsetzung des Punktes 2. 52,15 %.
Der Antragsteller beantragte die gerichtliche Feststellung der Rechtsunwirksamkeit des von ihm als Einheit verstandenen Beschlusses oder dessen Aufhebung. Als formellen Mangel des Beschlusses machte der Antragsteller insbesondere geltend, dass die von der Hausverwaltung durchgeführte Abstimmung mit längstens 20. 4. 2011 befristet gewesen sei. Die nach diesem Zeitpunkt eingelangten Stimmen hätten im Abstimmungsergebnis daher keine Berücksichtigung finden dürfen. Es sei unzulässigerweise zu Verlängerungen der Abstimmungsfrist gekommen. Das additive Verfahren gemäß § 25 Abs 3 WEG scheide bei einem Umlaufbeschluss aus.
Die sich am Verfahren beteiligenden Antragsgegner beantragten die Abweisung des Antrags und wandten ein, dass es sich um zwei voneinander getrennt zu behandelnde Umlaufbeschlüsse handle. Der Abstimmungsvorgang sei bei beiden Umlaufbeschlüssen gesetzeskonform erfolgt. Die Verlängerung der ursprünglich gesetzten Abstimmungsfrist stelle keinen formellen Mangel dar. Da bis zu diesem Zeitpunkt weder eine Mehrheit für noch gegen einen der beiden Beschlüsse festgestanden sei, sei die Hausverwaltung verpflichtet gewesen, vorerst durch faktisches Zuwarten und sodann durch erneute Fristsetzung einen entsprechenden Mehrheitsbeschluss in die eine oder andere Richtung herzustellen.
Das Erstgericht wies den Antrag ab. Die vom Antragsteller geltend gemachte formelle Mangelhaftigkeit des Abstimmungsvorgangs zufolge unzulässiger Fristverlängerung und Berücksichtigung nachträglicher Stimmabgabe bei der Ermittlung der Anteilsmehrheit verneinte es. Angesichts des berechtigten Ziels, ein verbindliches Abstimmungsergebnis herbeizuführen, stelle die Verlängerung der Abstimmungsfrist keine willkürliche Vorgehensweise der Hausverwaltung dar.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Antragstellers nicht Folge und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 10.000 EUR übersteige und der Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Die Frage, ob das sogenannte additive Verfahren gemäß § 25 Abs 3 WEG auch im Rahmen eines (bloßen) Umlaufbeschlussverfahrens zulässig sei, habe der Oberste Gerichtshof zwar noch nicht abschließend beantwortet. Es sei aber nicht ersichtlich, warum die Kombination eines Umlaufverfahrens (mit Setzung eines Endtermins) mit einem additiven Verfahren nach § 25 Abs 3 WEG nicht zulässig sein sollte. Nur eine willkürliche Fristverlängerung ohne sachliche Begründung sei nicht zulässig. Entsprechendes sei aber weder aus den getroffenen Feststellungen noch aus den Behauptungen der Parteien abzuleiten. Ob auch die (weiteren) Fristverlängerungen über den 25. 5. 2011 hinaus zulässig gewesen seien oder nicht, brauche nicht geprüft werden. Voraussetzung für eine erfolgreiche Beschlussanfechtung sei nämlich, dass ein formeller Mangel für das Abstimmungsergebnis kausal gewesen sei. Aus den Feststellungen des Erstgerichts ergebe sich, dass die Mehrheiten für beide zur Abstimmung gestellten Maßnahmen bereits nach der ersten Fristverlängerung, also mit 25. 5. 2011, gegeben gewesen seien, sodass die weiteren Fristverlängerungen (durch welche es bei diesen Mehrheiten geblieben sei) nicht mehr kausal für das Abstimmungsergebnis gewesen seien.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Antragstellers aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag die Entscheidungen der Vorinstanzen im antragsstattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise stellt er Aufhebungs- und Zurückverweisungsanträge.
Die sich am Revisionsrekursverfahren beteiligenden Antragsgegner beantragten in der vom Obersten Gerichtshof freigestellten Beantwortung des Revisionsrekurses, diesen zurückzuweisen, hilfsweise diesem nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.
1. Die Grundsätze der Willensbildung der Eigentümergemeinschaft sind in § 24 WEG geregelt. Danach dient zur Willensbildung vornehmlich die Eigentümerversammlung, doch können Beschlüsse auch – allenfalls ergänzend zu den in einer Eigentümerversammlung abgegebenen Erklärungen – auf andere Weise, etwa auf schriftlichem Weg zustande kommen (§ 24 Abs 1 WEG). Die Willensbildung kann daher auch im Wege sogenannter Umlaufbeschlüsse erfolgen. Das kann in Form von Unterschriftenlisten oder auch im Wege einer brieflichen Befragung/Beantwortung geschehen. Auch eine Kombination solcher Beschlussformen ist zulässig. Da die Willensbildung in Form eines Umlaufbeschlusses der Beschlussfassung in einer Eigentümerversammlung gleichsteht, hat sie den Anforderungen des § 24 WEG zur Beschlussfassung in der Eigentümerversammlung zu entsprechen (5 Ob 191/13v mwN).
2. Nach § 25 Abs 3 WEG hat der Verwalter dann, wenn eine Abstimmung in der Eigentümerversammlung keine Mehrheit der Miteigentumsanteile für oder gegen einen Vorschlag ergeben hat, zur Herbeiführung eines Beschlusses die bei der Versammlung nicht erschienenen und auch nicht rechtswirksam vertretenen Wohnungseigentümer zugleich mit der Bekanntmachung der Niederschrift aufzufordern, sich zu dieser Frage ihm gegenüber innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu äußern.
Die Frage, ob ein Vorgehen iSd additiven Verfahrens nach § 25 Abs 3 WEG auch im Rahmen einer Beschlussfassung im Umlaufweg zulässig ist, hatte der Oberste Gerichtshof bisher nicht zu entscheiden. In der Entscheidung 5 Ob 185/04y ließ der erkennende Senat diese Frage ausdrücklich unbeantwortet, weil das aufgezeigte Problem im Anlassfall gar nicht zu lösen war. Nach den maßgeblichen Feststellungen hatte nämlich ohnehin nur ein einheitliches Umlaufverfahren stattgefunden. Auch in der Entscheidung 5 Ob 231/09w ließ der erkennende Senat diese Frage dahingestellt. Selbst wenn man das dort festgestellte Vorgehen als „additiven" Umlaufbeschluss qualifizieren hätte wollen, wäre jedenfalls nicht entsprechend § 25 Abs 3 Satz 2 WEG mit einer Fristsetzung für die (nachträgliche) Äußerung vorgegangen worden. Zu 5 Ob 191/13v führte der erkennende Senat (obiter) aus, dass das in der Literatur grundsätzlich als zulässig erachtete additive Verfahren auf eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren jedenfalls dann keine (sinngemäße) Anwendung findet, wenn bereits in einem ersten Durchgang eine Mehrheit in die eine oder andere Richtung feststehe.
3. In Lehre und Schrifttum wird die grundsätzliche Möglichkeit, andere Beschlussformen mit einem dem § 25 Abs 3 WEG entlehnten „additiven“ Verfahren zu kombinieren, teils bejaht und teils verneint.
So hält Löcker (in Hausmann/Vonkilch³ § 25 WEG Rz 26a) es für möglich, auch andere Beschlussformen mit einem „additiven“ Verfahren zu kombinieren. Das Umlaufverfahren erscheine für die Kombination mit einem (schriftlichen) „additiven“ Verfahren aber nur bei genauer Differenzierung geeignet, die sich bei der praktischen Umsetzung vor allem durch eine möglichst genaue Fristvorgabe und -kontrolle im Umlaufverfahren niederschlagen sollte. Im Fall des schriftlichen Umlaufverfahrens würde diese Kombination nämlich voraussetzen, dass nach Ablauf der Äußerungsfristen noch keine Mehrheit gefunden worden sei, weil noch keine ausreichende Anzahl von Stimmen für oder gegen den Beschlussantrag abgegeben worden seien, und das „einheitliche“ Verfahren somit keine Mehrheit für oder gegen den Beschlussantrag gebracht habe. Habe es ein „erstes“ Verfahren gegeben und sei dieses tatsächlich (durch Ablauf aller Äußerungsfristen) abgeschlossen worden, sei ausreichend Zeit zur wechselseitigen Beeinflussung gewesen, und es sei bereits Stimmbindung derjenigen eingetreten, die ihr Stimmrecht schon ausgeübt haben. Im dann folgenden, mangels Ergebnisses zulässigen „additiven“ Verfahren, das nur der nachträglichen Stimmabgabe der bis dahin mit der Stimmausübung Säumigen diene, sei daher eine Änderung der bereits abgegebenen Stimmen nicht mehr möglich, sodass auch keine Einflussmöglichkeit auf die anderen mehr gewährleistet werden müsste.
Auch Würth/Zingher/Kovanyi (Miet- und Wohnrecht II23 § 25 WEG Rz 13) vertreten die Auffassung, dass das additive Verfahren bei anderen Abstimmungsformen (insbesondere bei Umlaufbeschlüssen) dem Verwalter als fakultatives Instrument zur Verfügung stehe, um bisher „schweigende“ Wohnungseigentümer doch noch zu einer ausdrücklichen Stimmabgabe zu bewegen. Zu beachten sei dabei aber auch die Einhaltung einer angemessenen Höchstfrist für die Beendigung des Abstimmungsvorganges. Nach Illedits (Die Rechtsposition des Verwalters bei der Beschlussfassung der [Wohnungs‑]Eigentümergemeinschaft und im schlichten Miteigentum, FS Würth [2014], S 196) bestehe eine Pflicht zur Vervollständigung einer Willensbildung nur, wenn eine Eigentümerversammlung stattgefunden habe, nicht aber bei anderen Beschlussfassungen. Es werde aber nicht als relevanter Mangel zu beanstanden sein, wenn andere Beschlussformen, wie zB Telefonkonferenzen in vergleichbarer Art mit Zustimmung aller Beteiligten ergänzt würden. Auch Kletečka (Die Beschlussfassung nach dem WEG 2002, wobl 2002, 143 [149]) verneint bei anderen Beschlussformen die „Notwendigkeit eines zweiten Anlaufes“.
A. Mair (Beschlussfassung im Wohnungseigentum [2004], S 77) verneint die Anwendbarkeit der Einrichtung des § 25 Abs 3 letzter Satz WEG für von vornherein im Wege eines Umlaufbeschlusses zustande kommende Abstimmungen unter Hinweis darauf, dass diese nach dem Willen des Gesetzgebers der „Komplettierung der mündlich begonnenen Willensbildung“ diene. Auch Lenk (Wohnungseigentum Rz 140) beschränkt die Möglichkeit zur additiven Stimmabgabe auf den Fall der Hausversammlung. Nach Dirnbacher (WEG idF WRN 2009, 319) setzt das „additive Verfahren“ nach der klaren Anordnung des Gesetzes eine vorherige Eigentümerversammlung voraus, sodass dieses vom Verwalter nicht auf andere Formen der Beschlussfassung angewendet werden „muss“.
Mit einer eingehenden Begründung spricht sich Prader (immolex 2011/8 Glosse zu 5 Ob 231/09w) gegen die Zulässigkeit eines additiven Umlaufbeschlusses aus. Das additive Verfahren sei grundsätzlich (also abgesehen von ganz bestimmten Fällen) auf Beschlüsse in Eigentümerversammlungen beschränkt. Bei größeren Anlagen sei es erfahrungsgemäß häufig der Fall, dass nicht alle Wohnungseigentümer an Eigentümerversammlungen teilnehmen (können). Insoweit sei es sachgerecht, in diesen Fällen durch „nachträgliche Anfrage“, wie dies das Gesetz in § 25 Abs 3 WEG ermögliche, auf einen Beschluss hinzuwirken. Dieses Bedürfnis fehle aber bei anderen Beschlussformen wie etwa dem Umlaufbeschluss. Nehme ein Wohnungseigentümer an einer Abstimmung nicht teil, dann sei diese Stimme den Gegenstimmen zuzuordnen. Dieser Fall sei daher grundsätzlich mit dem des in der Versammlung erschienenen, aber nicht abstimmenden Wohnungseigentümer vergleichbar. Selbst wenn man sich der gegenteiligen Ansicht der generellen Zulässigkeit von additiven Beschlüssen anschließe, würden viele Fragen offen bleiben, wie vor allem die Bindung der Wohnungseigentümer, die ihre Stimme bereits abgegeben haben. Da die Wohnungseigentümer bis zum Zustandekommen des Beschlusses ihre Stimme widerrufen könnten und der Umlaufbeschluss idR erst mit dessen Bekanntmachung wirksam werde, wäre dann konsequenterweise die „Nachfristsetzung“ allen Wohnungseigentümern mitzuteilen, damit diese gegebenenfalls ihre Stimmabgabe noch ändern können. Insoweit liege der Fall anders als bei Stimmabgabe in der Hausversammlung, da es beim Umlaufbeschluss in der Regel an der in der Versammlung möglichen Diskussion fehlen werde.
Auch Kothbauer (Fehlerfreie Beschlussfassung im Wohnungseigentum [2014], Rz 162) hält es nicht für zulässig, nach Ablauf der Frist um weitere Stimmen zu werben, um einen gültigen Mehrheitsbeschluss zustande zu bringen, zumal nach dem Ende der Rückäußerungsfrist keine gültige Stimme mehr abgegeben werden könne. Ein solches „Werben“ in Form eines nochmaligen Kontaktierens der Wohnungseigentümer, die sich bisher noch nicht am Umlaufbeschluss beteiligt hätten, müsste demnach schon rechtzeitig vor dem Ablauf der Frist erfolgen, oder aber es müsste allen Wohnungseigentümern mitgeteilt werden (auch jenen, die bereits abgestimmt hätten, weil sie an die abgegebene Stimme ja noch gar nicht gebunden seien), dass sich die Rückäußerungsfrist bis zu einem bestimmten Termin verlängere. Würden von einer derartigen Verlängerung der Rückäußerungsfrist nicht alle Wohnungseigentümer verständigt, so liege der – das Beschlussergebnis beeinflussende – formelle Mangel der Beschlussfassung darin, dass einzelnen Wohnungseigentümern die Möglichkeit eingeräumt werde, auch nach Ablauf der ursprünglich gesetzten Rückäußerungsfrist ihre Stimme abzugeben, während allenfalls andere Wohnungseigentümer gar nicht mehr den Versuch unternommen hätten, nach Ablauf der Rückäußerungsfrist ihre Stimme abzugeben (bzw von ihrer bereits abgegebenen Stimme wieder abzurücken).
4. Auch der erkennende Senat vertritt die Auffassung, dass im Rahmen einer Beschlussfassung im Umlaufverfahren ein Vorgehen iSd additiven Verfahrens nach § 25 Abs 3 WEG nicht zulässig ist.
Ein additives Verfahren im Fall der Beschlussfassung im Umlaufweg, bei dem (nur) jene Wohnungseigentümer zur nachträglichen Stimmabgabe aufgefordert werden, die bis zum Ablauf der ursprünglichen Äußerungsfrist mit der Stimmausübung säumig gewesen sind, hätte zur Voraussetzung, dass bei den Wohnungseigentümern, die ihr Stimmrecht bis dahin ausgeübt haben, bereits Stimmbindung eintritt (vgl Löcker aaO Rz 26a). Nach herrschender Ansicht tritt bei einem Umlaufbeschluss die Bindung der Teilnehmer an ihre Abstimmungserklärung aber erst dann ein, wenn sie allen anderen am Willensbildungsprozess Beteiligten zugegangen ist. Bis zu diesem Zeitpunkt kann jeder Mit- und Wohnungseigentümer seine Entscheidung widerrufen. Zum Eintritt der Bindungswirkung ist demnach bei Umlaufbeschlüssen – falls nicht ausnahmsweise auf andere Weise der allseitige Zugang der Abstimmungserklärungen dokumentiert ist – die Bekanntgabe des Ergebnisses erforderlich, um die Entscheidung rechtswirksam werden zu lassen (5 Ob 191/13v, 5 Ob 231/09w mwN; RIS-Justiz RS0106052).
Werden jene Wohnungseigentümer, die bereits abgestimmt haben, von der Verlängerung der Rückäußerungsfrist im Sinne der Einräumung der Möglichkeit einer nachträglichen Stimmabgabe nicht in Kenntnis gesetzt, könnte zumindest bei einzelnen Wohnungseigentümern der Eindruck entstehen, sie könnten auf die Beschlussfassung ohnehin nicht mehr Einfluss nehmen. Darin liegt ein dessen Anhörungsrecht beeinträchtigender und damit kausaler formeller Mangel des Willensbildungsverfahrens (vgl 5 Ob 118/02t). Das in erster Linie deswegen, weil die Wohnungseigentümer, die bereits abgestimmt haben, anlässlich dieser Fristverlängerung gegebenenfalls ihre Stimmabgabe noch ändern könnten (vgl Prader aaO), aber mangels Kenntnis der Fristverlängerung gar nicht mehr den Versuch dazu unternehmen (vgl Kothbauer aaO Rz 162). Der Umstand, dass die Möglichkeit des Wohnungseigentümers, seine Entscheidung zu widerrufen, formal unabhängig von einer ausdrücklichen Fristverlängerung bis zur Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses besteht, ändert nichts an der möglichen faktischen Beeinträchtigung des Stimmrechts und steht dieser Einschätzung daher nicht entgegen. Zudem umfasst der allgemeine Grundsatz, dass allen Mit- und Wohnungseigentümern - auch jenen mit einer voraussichtlich chancenlosen Gegenposition - Gelegenheit zur Äußerung zu geben ist, insbesondere auch die Möglichkeit einer Werbung für den eigenen Standpunkt im Vorfeld der Abstimmung (5 Ob 118/02t, RIS-Justiz RS0108769). Werden von einer derartigen Verlängerung der Rückäußerungsfrist nicht alle Wohnungseigentümer verständigt, wird dieser Aspekt des Äußerungsrechts beeinträchtigt, weil nicht alle Kenntnis davon erlangen, dass nach wie vor die Möglichkeit und Notwendigkeit der Werbung besteht.
5. Um die bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses zu gewährenden Äußerungs- und Stimmrechte der innerhalb der ursprünglichen Äußerungsfrist abstimmenden Wohnungseigentümer nicht zu verletzen, müsste daher die Möglichkeit zur nachträglichen Stimmabgabe jedenfalls allen Wohnungseigentümern zur Kenntnis gebracht werden. Im Falle einer solchen allgemeinen Fristverlängerung liegt allerdings ohnedies ein einheitliches Umlaufverfahren vor. Wobei die Festlegung des Zeitpunkts der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses nicht dem Gutdünken der Initiatoren eines Umlaufbeschlusses etwa in der Weise überlassen ist, dass diese den Abstimmungsvorgang willkürlich für beendet und das Ergebnis für verbindlich erklären könnten. Den Initiatoren des Umlaufbeschlusses steht daher nicht die Möglichkeit offen, durch wiederholte Fristverlängerungen mit der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses so lange zuzuwarten, bis einzelne Wohnungseigentümer zur Änderung des Abstimmungsverhaltens bereit sind oder bis es etwa gar zur Änderung der Zusammensetzung der Eigentümergemeinschaft kommt (vgl 5 Ob 231/09w mwN).
6. Im vorliegenden Fall hat die Verwaltung die Bekanntmachung des Ergebnisses des ursprünglich bis 20. 4. 2011 befristeten Abstimmungsvorgangs – mangels Erreichens einer Mehrheit für oder gegen die geplanten Massnahmen – zunächst faktisch hinausgezögert und weitere Stimmabgaben abgewartet. Am 25. 5. 2011 hat sie – trotz Erreichens einer rechnerischen Mehrheit – ein Schreiben nur an jene Wohnungseigentümer gerichtet, die ihre Stimmen bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgegeben hatten und verlängerte in diesem die Frist für die Stimmabgabe auf den 6. 6. 2011. Diese Aufforderung im Schreiben vom 25. 5. 2011 stellt den – wie oben ausgeführt – im Rahmen einer Beschlussfassung im Umlaufverfahren unzulässigen Versuch einer additiven Beschlussfassung analog § 25 Abs 3 WEG dar. Der vom Antragsteller unter anderem aus diesem Grund angefochtene Beschluss ist daher mit einem formellen Mangel iSd § 24 Abs 6 WEG behaftet. Dieser Mangel ist auch für das Abstimmungsergebnis insofern kausal, als er die Mitwirkungsbefugnisse einzelner Wohnungseigentümer tatsächlich beeinträchtigen konnte.
An dieser – von der Rechtsprechung für die Beachtlichkeit eines formellen Mangels geforderten (vgl RIS‑Justiz RS0112201) – Kausalität ändert auch der Umstand nichts, dass vom Zeitpunkt 25. 5. 2011 aus betrachtet ein additives Vorgehen gar nicht mehr notwendig gewesen wäre, weil zu diesem Zeitpunkt an sich die Mehrheit rechnerisch erreicht war. Ein Beschluss kommt nicht bereits mit dem Erreichen der Mehrheit zustande, vielmehr ist die Bekanntgabe des Ergebnisses erforderlich, um die Entscheidung rechtswirksam werden zu lassen (5 Ob 191/13v, 5 Ob 231/09w mwN; RIS-Justiz RS0106052). Erst dann tritt auch eine Bindung der Teilnehmer an ihre Abstimmungserklärung ein. Anders als im Fall eines unnotwendigen und daher unzulässigen additiven Verfahrens nach einer Eigentümerversammlung (vgl 5 Ob 105/07p) konnte im vorliegenden Umlaufbeschlussverfahren die dem Erreichen der Mehrheit „nachfolgende“ Beeinträchtigung der Mitwirkungsbefugnisse einzelner Wohnungseigentümer Auswirkungen auf das Abstimmungsergebnis haben. Die Frage, ob der Willensbildungsprozess bis zum 25.05.2011 als mängelfrei anzusehen wäre, stellt sich hier daher nicht.
7. Der Revisionsrekurs des Antragstellers erweist sich damit als berechtigt. Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren im antragstattgebenden Sinn abzuändern. Der Umstand, dass die 73. Antragsgegnerin in den Verfahren vor den Vorinstanzen in ihrem rechtlichen Gehör verletzt wurde, konnte angesichts ihrer Angaben im Revisionsrekursverfahren keinen Einfluss auf die Richtigkeit der Entscheidung haben (§ 58 Abs 1 Z 1 und Abs 3, § 71 Abs 4 AußStrG; RIS-Justiz RS0120213 [T13]).
8. Die Kostenentscheidungen sowohl für das Verfahren vor dem Erstgericht als auch für die Rechtsmittelverfahren gründen sich auf § 52 Abs 2 WEG iVm § 37 Abs 3 Z 17 MRG. Es entspricht der Billigkeit, jeweils die sich an diesem Verfahren aktiv beteiligenden Antragsgegner zum Kostenersatz gegenüber dem obsiegenden Antragsteller zu verpflichten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Kostenersatzpflicht der 73. Antragsgegnerin nur auf das Revisionsrekursverfahren erstreckt, weil sie davor nicht persönlich als Beteiligte beigezogen war. Bei der Bestimmung der Höhe des Kostenersatzes war von den jeweiligen Kostenverzeichnissen der Antragstellervertreter insofern abzuweichen, als die Bemessungsgrundlage nach § 10 Z 3 b) aa) RATG nur 4.000 EUR beträgt (Kostenverzeichnis für die Leistungen bis 5. 6. 2012), der dreifache Einheitssatz nur im Berufungsverfahren begehrt werden kann (§ 23 Abs 9 RATG) und der ERV-Zuschlag nach § 23a RATG für Rekurs und Revision nur 1,80 EUR beträgt.
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