European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0200OS00027.15V.0610.000
Spruch:
In Stattgebung der Berufung des Disziplinarbeschuldigten (wegen Nichtigkeit) wird das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
*****, Rechtsanwalt in *****, wird von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe sich mit einer nicht vertretbaren Rechtsansicht geweigert, seinem Berufskollegen ***** für die Vertretung in der Streitverhandlung vom 19. April 2013 im Verfahren AZ ***** des Bezirksgerichts ***** das tarifmäßige Honorar im Sinne des § 37 Abs 1 RL‑BA zu bezahlen und dadurch gegen §§ 3, 37 RL‑BA 1977 und gefestigte Standesauffassung verstoßen, freigesprochen.
Mit ihren Berufungen wegen Strafe werden die Rechtsmittelwerber auf die Kassation (auch) des Strafausspruchs verwiesen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Rechtsanwalt ***** wegen des aus dem Spruch ersichtlichen Disziplinarvergehens der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt schuldig erkannt und hierfür zur Disziplinarstrafe des schriftlichen Verweises verurteilt.
Inhaltlich des angefochtenen Erkenntnisses hat der Disziplinarbeschuldigte Rechtsanwalt ***** am 11. April 2013 mit der substitutionsweisen Verrichtung der Streitverhandlung vom 19. April 2013 im Unterhaltsverfahren AZ ***** vor dem Bezirksgericht ***** beauftragt.
In seiner Honorarnote an den Disziplinarbeschuldigten verrechnete Rechtsanwalt ***** die „kollegiale Hälfte“ gemäß § 37 Abs 1 RL‑BA 1977 eines Honorarbetrags, den er unter Zugrundelegung des doppelten Einheitssatzes ermittelte. Der Disziplinarbeschuldigte stellte sich unter Hinweis auf den Kanzleisitz des Rechtsanwaltssubstituten im Sprengel des Bezirksgerichts ***** auf den Standpunkt, dass die „kollegiale Hälfte“ lediglich von einem unter Anwendung des einfachen Einheitssatzes zu ermittelnden Honorarbetrags gebühre.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richten sich die Berufungen des Kammeranwalts wegen Strafe (TZ 20) mit dem Antrag, über den Disziplinarbeschuldigten eine schuld‑ und tatangemessene Strafe zu verhängen, und des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit und des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe (TZ 23) mit dem Antrag, einen Freispruch zu fällen.
Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten kommt bereits insofern Berechtigung zu, als sie in ihrer Rechtsrüge (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) darauf hinweist, dass der Disziplinarbeschuldigte keine unvertretbare Rechtsansicht eingenommen hat.
Zwar ist der doppelte Einheitssatz ‑ worauf der Disziplinarrat im angefochtenen Erkenntnis (ES 4) und der Kammeranwalt in seiner Gegenausführung (TZ 26) ausdrücklich hinweisen ‑ gemäß § 23 Abs 5 RATG auch dann zuzusprechen, wenn der Rechtsanwalt mit der Vornahme einer Leistung an einem Ort außerhalb seines Kanzleisitzes einen anderen Rechtsanwalt beauftragt, doch ist es ‑ immerhin nach einer in einem renomierten Gesetzeskommentar (Engelhart in Engelhart et al RAO9, RL‑BA 1977 § 37 Rz 3) geäußerten Ansicht ‑ bei Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts üblich, dass dieser für seine Tätigkeit am Gerichtsort seines Kanzleisitzes nicht den doppelten Einheitssatz nach § 23 Abs 5 RATG zur Berechnung der „kollegialen Hälfte“ heranzieht, sondern den einfachen gemäß § 23 Abs 1 RATG.
Einwendungen eines Rechtsanwalts zur Abwehr von gegen ihn erhobenen Forderungen dürfen Ehre und Ansehen des Standes nicht beeinträchtigen (§ 3 RL‑BA 1977; jetzt § 4 RL‑BA 2015, wonach sachlich begründete Einwendungen zulässig sind), also etwa nicht auf Mutwillen oder auf unvertretbaren Rechtsansichten beruhen (Lehner in Engelhart et al RAO9, DSt § 1 Rz 29 mwN). Auf gutem Glauben gegründete Einwendungen eines Rechtsanwalts zur Abwehr wider ihn erhobener Forderungen ziehen keine disziplinäre Verantwortlichkeit nach sich (Lehner in Engelhart et al RAO9, DSt § 1 Rz 30 mwN; RIS‑Justiz RS0120583, RS0056313).
Da sich der Nichtigkeitswerber auf eine nicht unvertretbare Rechtsansicht stützen konnte und ihm der Disziplinarrat überdies guten Glauben zubilligte (konnte er doch glaubwürdig darlegen, dass er für von ihm selbst verrichtete Substitutionen auch nur den einfachen Einheitssatz bei Berechnung der „kollegialen Hälfte“ heranzog [ES 4]), stellt das inkriminierte Verhalten weder eine Berufspflichtenverletzung noch (mangels Publizität ‑ ES 5) eine Beeinträchtigung von Standesehre und ‑ansehen dar.
Somit war ‑ wie bereits die Generalprokuratur zutreffend ausführte ‑ das angefochtene Erkenntnis zur Gänze aufzuheben und mit Freispruch vorzugehen.
Die Berufungen wegen Strafe waren auf diese Entscheidung zu verweisen.
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