OGH 17Os3/16v

OGH17Os3/16v6.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 6. Juni 2016 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden, die Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek und Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oberressl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Fritsche als Schriftführerin in der Strafsache gegen Georg P***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 10. April 2015, GZ 23 Hv 138/14x‑13, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0170OS00003.16V.0606.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die „Berufung wegen Schuld“ werden zurückgewiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Georg P***** des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB (1) und des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (2) schuldig erkannt (zu ‑ nach den Feststellungen [US 4 f; vgl auch ON 9 S 12] vorliegender ‑ Realkonkurrenz von Missbrauch der Amtsgewalt und Urkundenunterdrückung vgl 17 Os 28/13s, EvBl 2014/121, 832).

Danach hat er in R***** und Z*****

1/ Anfang September 2014 als Bediensteter der Österreichischen Post AG, mithin als Beamter (im strafrechtlichen Sinn [vgl § 4 ZustG]), mit dem Vorsatz, dadurch Erwin O***** und Rositsa M***** an ihrem Recht auf „termingerechte und ordnungsgemäße“ Zustellung von Postsendungen „und den Staat in seinem Recht auf vorschriftsmäßige Behandlung von Post, insbesondere korrekte Zustellung von gerichtlichen Entscheidungen“, zu schädigen, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, dadurch zweimal wissentlich missbraucht, dass er jeweils bei einer RSb-Sendung des Bezirksgerichts I***** und des Bezirksgerichts T***** die Zustellung unterließ, den Status „Zustellhindernis“ oder „unbekannt“ vermerkte „und die RSb-Sendung des Bezirksgerichts I***** verbrannte“;

2/ am 13. September 2014 Urkunden, über die er nicht verfügen durfte, nämlich die zu Punkt 1 genannte RSb‑Sendung des Bezirksgerichts I***** samt darin enthaltenem gerichtlichem Beschluss, mit Gebrauchsverhinderungsvorsatz vernichtet, indem er sie verbrannte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4 und 9 lit a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist nicht im Recht.

Die Verfahrensrüge bekämpft die Abweisung des Antrags auf Vernehmung von Mutter und Schwester des Beschwerdeführers sowie auf Einholung eines „Fachgutachtens aus dem Bereich der Psychiatrie“ zum Beweis seiner Zurechnungsunfähigkeit. Diesen Antrag wies das Gericht am Beginn der Hauptverhandlung vom 10. April 2015 unter anderem mit der Begründung ab, dass das Begehren mit den Angaben des Antragstellers nicht in Einklang zu bringen sei, weil dieser Zurechnungsunfähigkeit „selbst nicht einmal behauptet“ habe (ON 12 S 3 f). Die gerichtliche Verfügung erweist sich als rechtsrichtig, weil der Antrag nach der damaligen, für die Beurteilung maßgeblichen Verfahrenslage ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 49; vgl RIS‑Justiz RS0099618) auf im Hauptverfahren unzulässige Erkundungsbeweisführung gerichtet war (RIS‑Justiz RS0118444 T6). Der Beschwerdeführer hatte bis dahin nämlich bloß davon gesprochen, „unter Stress“ gestanden und „überfordert“ gewesen zu sein (ON 9 S 7 und 10). Auch sonst lagen keine Beweisergebnisse vor, auf Grund derer bei Anlegung eines realitätsbezogenen Maßstabs zu erwarten war, dass die begehrte Beweisaufnahme das vom Antrag behauptete Ergebnis erbringen werde (RIS‑Justiz RS0107445). Dies änderten auch die in weiterer Folge gemachten Angaben des Beschwerdeführers, die Grundlage für den am Ende der Hauptverhandlung erneut gestellten „Antrag auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens“ waren (ON 12 S 16), nicht. Der Angeklagte sagte über ausdrückliche dahingehende Befragung nämlich (bloß) aus, es sei ihm „zirka eine Woche“ vor der zu Punkt 2 angelasteten Tat (weshalb diese Depositionen keine Relevanz für den Vorwurf des zu diesem Zeitpunkt bereits vollendeten Missbrauchs der Amtsgewalt hatten) „immer schlecht gegangen“, er habe „extreme Kopfschmerzen“ und „Schuldgefühle“ gehabt, „schachtelweise Zigaretten geraucht“, sich „immer mehr zurückgezogen und mit keinem mehr geredet“. Er könne sich nicht erklären, weshalb er die Briefe verbrannt habe, es habe sich um „eine Kurzschlussreaktion“ gehandelt, er sei „nicht mehr ganz Herr“ seiner „Sinne“ gewesen (ON 12 S 13 f). Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Zurechnungsunfähigkeit (also fehlender Diskretions- oder Dispositionsunfähigkeit), ergeben sich bei realitätsbezogener Betrachtung auch daraus nicht. Das Erstgericht hat daher diesen erneut gestellten Beweisantrag ebenfalls zu Recht abgewiesen.

Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a), gestützt auf die ‑ vom Erstgericht übrigens ohnehin gewürdigten (US 8 ff und 17 f) ‑ Angaben des Beschwerdeführers, er habe unter Arbeitsüberlastung sowie unter schlechtem körperlichem und seelischem Zustand gelitten, einwendet, dieser habe bei den zu Punkt 1 angelasteten Taten nicht wissentlich gehandelt, bekämpft sie bloß die gegenteiligen Feststellungen (US 5 f) nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung.

Bleibt anzumerken, dass der Oberste Gerichtshof der Anregung der Generalprokuratur zuwider keinen Anlass für eine amtswegige Maßnahme (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) in Bezug auf den Schuldspruch 1 gesehen hat. Zwar stellt das Recht des Staats gegenüber dem Beamten, seinen Dienst ordnungsgemäß zu verrichten, insbesondere jene Vorschriften, die den Gegenstand des tatbildlichen Fehlgebrauchs der Befugnis bilden, nicht zu verletzen, alleine keinen ausreichenden Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes dar (RIS‑Justiz RS0096270 [insbesondere T12 und T13]). Vorliegend hat das Erstgericht darüber hinaus aber auch den Vorsatz des Beschwerdeführers konstatiert, die Adressaten an deren Recht auf Erhalt der gegenständlichen Postsendungen, „speziell mit behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen“, zu beeinträchtigen (US 6; vgl SSt 49/32 [verst Senat]). Dieses Recht ist (mit noch hinreichender Deutlichkeit erkennbar) Teil eines ‑ im Sinn des § 302 Abs 1 StGB beachtlichen ‑ Anspruchs dieser Adressaten, an gerichtlichen (oder verwaltungsbehördlichen) Verfahren teilzunehmen (und von allfälligen Säumnisfolgen verschont zu bleiben).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher ‑ ebenso wie die im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene „Berufung wegen Schuld“ (RIS‑Justiz RS0098904) ‑ bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1, 296 Abs 2 StPO).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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