OGH 6Ob67/16w

OGH6Ob67/16w30.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei N***** B*****, vertreten durch Doralt Seist Csoklich Rechtsanwalts‑Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei V***** H*****, vertreten durch Mag. Markus Stender, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert im Provisorialverfahren 30.100 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 18. Jänner 2016, GZ 1 R 199/15i‑32, mit dem der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 23. Oktober 2015, GZ 20 Cg 41/15f‑27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Klägerin ist schuldig, dem Beklagten die mit 1.883,16 EUR (darin 313,86 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§§ 402, 78 EO, § 526 Abs 2 ZPO) – Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig:

Das Rekursgericht hat seinen Zulässigkeitsausspruch damit begründet, es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu Rechtsstellung und Rechtsschutz eines Mehrheitsgesellschafters einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, der aufgrund einer einstweiligen Verfügung zumindest vorläufig zum Minderheitsgesellschafter wird und berechtigt befürchtet, der andere Gesellschafter, der „bloß“ aufgrund der einstweiligen Verfügung vorläufig Mehrheitsgesellschafter ist, werde diese Situation missbrauchen.

Die Streitteile sind Gesellschafter der im Firmenbuch des Handelsgerichts Wien zu FN ***** eingetragenen, sich derzeit in Insolvenz befindlichen H***** GmbH in Liqu. mit Sitz in W*****, wobei die Klägerin zwar laut Firmenbuch 51 %‑Gesellschafterin ist, ihr jedoch aufgrund einer einstweiligen Verfügung jede Ausübung von Gesellschaftsrechten an der Gesellschaft verboten ist, soweit diese einen Anteil von 15 % übersteigen. Hintergrund dieser einstweiligen Verfügung war die Behauptung des Beklagten, bei Übertragung der Mehrheit der Gesellschaftsanteile an die Klägerin geschäftsunfähig gewesen zu sein, weshalb die einstweilige Verfügung die Ausübung der Gesellschafterrechte nur insoweit verbot, als die Klägerin diese durch angeblich unwirksame Erwerbsvorgänge erhalten hat; eine Grundlage für die Beschränkung der Ausübung der Gesellschafterrechte, soweit diese auf dem ursprünglichen Anteil von 15 % beruhen, wurde hingegen nicht gesehen (6 Ob 200/14a).

Nach dem von den Vorinstanzen im gegenständlichen Provisorialverfahren als bescheinigt angenommenen Sachverhalt besteht die Gefahr, dass der Beklagte, sobald das Insolvenzverfahren aufgehoben wird – wovon allseits aufgrund ausreichenden Vermögens ausgegangen wird – unter Ausnutzung seiner derzeit aufgrund der einstweiligen Verfügung gegebenen Stimmenmehrheit die Gesellschaft fortsetzt, deren Vermögen zu ihrem Nachteil und zu jenem der Klägerin verwertet, indem er die im Vermögen der Gesellschaft befindlichen Wohnungen und deren ausländisches Tochterunternehmen an sich selbst zu einem unangemessen niedrigen Preis verkauft oder sonstige nachteilige Änderungen des Gesellschaftsvertrags beziehungsweise des Unternehmensgegenstands der Gesellschaft betreibt, und daraufhin in Österreich vorhandenes oder durch diese Handlungen erlangtes Vermögen dem Zugriff der Klägerin dadurch entzieht, dass er dieses nach Russland transferiert beziehungsweise dort belässt. Der Beklagte scheint es geradezu darauf anzulegen, der Klägerin zu schaden. Dennoch wies das Rekursgericht den Provisorialantrag der Klägerin, dem Beklagten die Ausübung seiner Gesellschaftsrechte zu verbieten, sofern diese über jene Gesellschafterrechte hinausgehen, die mit einer Beteiligung von mehr als 15 % an der Gesellschaft verbunden sind, mangels Rechtsgrundlage ab.

1. Die Klägerin beruft sich in ihrem Revisionsrekurs auf das „Gebot der Waffengleichheit“ und den „Gleichheitssatz“. Es könne nicht angehen, dass „jeder noch so kleine Minderheitsgesellschafter jederzeit die Herrschaft in der Gesellschaft an sich [reißt, indem er] bloß seine Mitgesellschafter mit der Behauptung eindeck[t], diese hielten ihre Geschäftsanteile zu Unrecht, und sie bis zur Klärung der Vorwürfe mittels einstweiligen Verfügungen von der Ausübung ihrer Stimmrechte ausschließ[t]“.

1.1. Mit dieser Argumentation verkennt die Klägerin allerdings, dass sich grundsätzlich jeder Minderheitsgesellschafter in der theoretischen Situation befindet, dass der Mehrheitsgesellschafter seine Stellung missbraucht und Maßnahmen setzt, die dem Minderheitsgesellschafter einen Schaden zufügen könnten. Dem Umstand, dass sich der Beklagte derzeit „bloß“ aufgrund der einstweiligen Verfügung in der Mehrheitsposition befindet, kommt somit keine entscheidungswesentliche Bedeutung zu.

1.2. Im Übrigen ist dem Rekursgericht zu folgen, dass sich die Grundlage für die erlassene einstweilige Verfügung völlig von jener der nunmehr begehrten einstweiligen Verfügung unterscheidet: Im Vorverfahren ging es um die Frage, ob die Übertragung der Gesellschaftsanteile, die zur Mehrheitsposition der Klägerin führten, rechtswirksam erfolgte, weshalb sich die erlassene einstweilige Verfügung auch ausdrücklich nicht auf jene 15 % der Gesellschaftsanteile bezog, über die die Klägerin bereits zuvor verfügt hatte. Gerade dies gilt hier aber für die 49 % der Gesellschaftsanteile, über die der Beklagte jedenfalls noch verfügt.

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist Grundlage jeder einstweiligen Verfügung zur Sicherung eines nicht in Geld bestehenden Anspruchs die Behauptung und Bescheinigung eines bereits erfolgten oder unmittelbar drohenden Verstoßes des Gegners gegen eine ihn treffende Verpflichtung (RIS‑Justiz RS0005175 [T24]). Der allgemeine Hinweis auf eine in abstracto mögliche Gefährdung des Anspruchs ersetzt dabei nicht die im Gesetz geforderte Behauptung von Tatsachen, die die Erlassung einer einstweiligen Verfügung zur Abwendung eines unwiederbringlichen Schadens nötig erscheinen lassen (RIS- Justiz RS0005295). Die Auffassung des Rekursgerichts, es wäre überschießend, den Beklagten generell auf einen 15 %‑Gesellschafter „herabzustufen“, vielmehr könnten nur bestimmte Handlungen verboten werden, entspricht dieser Rechtsprechung. Zum einen sind die Feststellungen dazu, welche konkreten Schritte der Beklagte tatsächlich vorhaben soll, recht unkonkret und nennen zum anderen weder Urteils‑ noch Provisorialbegehren konkrete Unterlassungspflichten.

3. Tatsächlich strebt die Klägerin mit ihrem Provisorialantrag eine Art „Pattstellung“ zwischen den Streitteilen und Gesellschaftern so lange an, bis im Vorverfahren die Mehrheitsverhältnisse endgültig geklärt sind; beide Streitteile sollten lediglich über jeweils 15 % der Gesellschaftsanteile verfügen können. Dafür findet sich aber keine Anspruchsgrundlage, worauf bereits das Rekursgericht zutreffend hingewiesen hat. Die Klägerin als derzeitige Minderheitsgesellschafterin hat lediglich die Möglichkeit, dem Beklagten allenfalls missbräuchliche konkrete Maßnahmen untersagen zu lassen beziehungsweise vom Beklagten gefasste Gesellschafterbeschlüsse anzufechten.

4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO, §§ 78, 402 EO. Der Beklagte hat in der Revisionsrekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses hingewiesen. Der Schriftsatz ist daher als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendig anzusehen.

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