OGH 2Ob77/16m

OGH2Ob77/16m25.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr.

Veith und Dr.

Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. S*****, vertreten durch Dr. Hartmut Ramsauer, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei G*****, vertreten durch Dr. Harald Schwendinger und Dr. Brigitte Piber, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen 18.798,89 EUR sA und Feststellung (Revisionsinteresse 10.399,44 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Zwischen- und Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 29. Jänner 2016, GZ 6 R 3/16b‑41, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 18. September 2015, GZ 25 Cg 60/15i‑37, teilweise abgeändert und teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0020OB00077.16M.0525.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 860,58 EUR (darin enthalten 143,43 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Begründung

Der Kläger war am 4. 4. 2013 im Schigebiet G***** zum Schifahren unterwegs. Er beabsichtigte gegen Mittag den Sessellift „W*****“ bergwärts zu nehmen.

Bei diesem Sessellift handelt es sich um eine kuppelbare Sesselbahn mit sechs Sitzplätzen und einem Einstiegsförderband. Bei der Anlagentype werden die Fahrbetriebsmittel (Sessel) bei der Stationsdurchfahrt vom Förderseil getrennt, was bedeutet, dass die Durchfahrtsgeschwindigkeit der Sessel in der Station sehr langsam ist. Das in Fahrtrichtung mitlaufende Einstiegsförderband hat die Aufgabe, die Fahrgäste bis zur Einstiegskante bzw zum Übernahmepunkt zu transportieren, an dem sich die Fahrgäste in das ankommende Fahrbetriebsmittel setzen. Die Zugangsregelung für die Fahrgäste erfolgt durch einen Zugangsschranken, der sich abhängig von der Sesselfolge und der Seilgeschwindigkeit öffnet und für kurze Zeit offen bleibt. Der Öffnungs-/Schließintervall beträgt ca 3,5 Sekunden, wobei die geöffnete Stellung der Schranke ca 1,5 Sekunden beträgt. Der Bereich vom Zugangsschranken zum Förderband fällt leicht ab. Die eingestellte Fahrgeschwindigkeit des Sessellifts betrug zum Unfallzeitpunkt 4 m/sek. Maximal kann es zehn Sekunden dauern, bis man sich in den Sessel hineinsetzen kann, zumal bei vier Metern Fahrgeschwindigkeit der Liftanlage alle zehn Sekunden ein Sessel durchfährt. Die Fahrgeschwindigkeit des Förderbands beträgt 0,72 m/sek. Das Förderband hat eine Länge von 4,55 m. Vom Betreten des Förderbands bis zum Ende des Förderbands dauert es rund sechs Sekunden. Nach Betätigen der „Gefahr‑Aus‑Taste“ dauert die Bremszeit 3,8 Sekunden bis zum Stillstand der gesamten Liftanlage samt Förderband. Sowohl am linken und rechten äußeren Stahlrahmen des jeweils äußeren Zugangsschrankens war ein Holzpfosten mittels eines Kabelbinders montiert. Der Holzpfosten diente dazu, die Körpergröße von Kindern abschätzen zu können. Er wies im oberen Bereich des rechten äußeren Zugangsschrankens einen sehr geringfügigen Abstand von wenigen Zentimetern zum Stahlrahmen auf. Die Holzpfosten gehören nicht zur Standardausführung der gegenständlichen Sesselliftanlage. Es handelt sich dabei aber auch um keine genehmigungspflichtige Änderung an der Seilbahnanlage. Die angebrachten Holzpfosten stellen weder einen Fehler in der Beschaffenheit der Anlage dar, noch führten diese zu einem Versagen der Verrichtung der Anlage.

Der Kläger ordnete sich im äußerst rechten Zufahrtsbereich der Sesselliftanlage ein. Am Unfalltag herrschte geringer Fahrgastbetrieb. Der Kläger war nicht in Eile. Etwa einen Meter vor Passieren der Schrankenanlage gab er den linken Schistock in die rechte Hand. Der Kläger hielt beide Schistöcke am Griff in der rechten Hand, wobei die Stöcke nach hinten zeigten. Die Schlaufe des rechten Schistocks löste der Kläger nicht vom Handgelenk. „Korrekterweise und auch idealerweise“ hätte der Kläger aus der Stockschleife herausschlüpfen und beide Stöcke im oberen Drittel des Stockschafts in einer Hand eng am Körper halten müssen. Der Kläger passierte in der Folge die Schrankenanlage und rutschte mit den Schiern auf das Förderband. Der Kläger stand mit gerader Blickrichtung in Fahrtrichtung auf dem Förderband, als er bemerkte, dass seine rechte Hand nach hinten gezogen wurde. Er stellte fest, dass sich der rechte Schistock zwischen dem am rechten Zugangsschranken mit einem Kabelbinder montierten Holzpfosten und dem Stahlrahmen verhakte. Dem Kläger gelang es nicht, den Stock zu lösen. Nach etwa einer Sekunde nach Befahren des Förderbands wurde der Kläger dadurch nach rechts in Richtung Bahninnenseite gezogen, versuchte dann noch zurückzusteigen, stürzte aber sogleich. Die Maßnahme des Zurücksteigens bewirkte ein Hinauszögern des Sturzes im Zehntelsekundenbereich. Nach dem Sturz dauerte es zwei, höchstens drei Sekunden, bis die Liftanlage vollkommen still stand. Der am Unfalltag diensthabende Liftwart befand sich im Lifthaus. Er stand am Bedienpult der Liftanlage unmittelbar vor der „Gefahr‑Aus‑Taste“. Er hatte uneingeschränkte Sicht auf den Kläger, reagierte unter einer Sekunde nach frühestmöglichem Erkennen der Gefahrensituation und betätigte die „Gefahr‑Aus‑Taste“. Zu diesem Zeitpunkt stürzte der Kläger aber auch schon. Dem Liftwart ist keine Nachlässigkeit in der Dienstverrichtung oder ein Reaktionsverzug anzulasten. Eine Reaktion innerhalb einer Sekunde ab Erkennbarkeit der Gefahrensituation ist angemessen. Es dauerte nach Betätigung der „Gefahr-Aus-Taste“ dennoch 3,8 Sekunden, bis die Liftanlage, also das Förderband, vollkommen still stand.

Der Kläger erlitt bei dem Sturz rechts eine Schulterluxation sowie Blutergüsse im Beckenbereich.

Der Kläger begehrt, die beklagte Partei zur Zahlung der Kosten seiner ärztlichen Behandlung und Physiotherapie, der dadurch notwendig gewordenen Fahrten und Aufenthalte sowie von Schmerzengeld, insgesamt (zuletzt) 18.798,89 EUR, zu verpflichten. Weiters begehrt er die Feststellung der unbeschränkten Haftung der beklagten Partei für zukünftige Folgen aus diesem Unfall. Die beklagte Partei hafte nach dem EKHG. Die Geländer bei der Schrankenanlage seien abgerundet, um ein Verklemmen von Schistöcken zu vermeiden. Die dort angebrachten Holzpfosten stellten einen Fehler in der Beschaffenheit der Anlage dar und seien nicht Teil der genehmigten Liftanlage. Die beklagte Partei müsse damit rechnen, dass Schifahrer vor dem Förderband nicht aus der Handschlaufe des Schistocks schlüpften. Wäre der Holzpfosten nicht angebracht gewesen, hätte sich sein Schiteller nicht verfangen können. Wäre das Förderband rechtzeitig abgestellt worden, wäre er nicht gestürzt.

Die beklagte Partei wendete ein, der Unfall sei unabwendbar und unvermeidbar gewesen. Der Kläger sei aufgrund seiner eigenen Unaufmerksamkeit und Ungeschicklichkeit gestürzt. Den Kläger treffe ein Mitverschulden. Es habe keine Gefahr bestanden, dass sich Schistöcke im Bereich des Holzpfostens verhaken könnten. Diese seien bereits im Jahr 2002 montiert worden. Seither habe es keinen einzigen Vorfall gegeben, wo sich ein Schifahrer mit seinen Schistöcken im Bereich dieses Holzstehers in irgendeiner Form verhakt hätte. Es liege kein Sorgfaltsverstoß der beklagten Partei oder ihrer Mitarbeiter vor. In der Zwischenzeit sei die Einstiegstelle umgebaut, Drehkreuze angebracht und die Holzsteher entfernt worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht sprach mit Zwischen- und Teilurteil aus, das Zahlungsbegehren bestehe dem Grunde nach mit der Hälfte zurecht. Es wies das halbe Zahlungsbegehren sowie das Feststellungsbegehren im Ausmaß der Hälfte (sowie ohne Beschränkung auf die Haftungshöchstbeträge nach § 15 EKHG) ab. Betreffend das halbe weitere Feststellungsbegehren hob das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil auf und trug insoweit dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Rechtlich vertrat es zusammengefasst die Ansicht, der beklagten Partei wäre es frei gestanden, die zur Einschätzung der Körpergröße der Kinder dienenden Holzpfosten ohne Schaffung eines Zwischenraums zwischen Holzpfosten und Metallgerüst so zu befestigen, dass sich kein Schistock darin verhaken könne oder eine gänzlich andere Vorrichtung zu schaffen. Die zum Unfallstag angewandte Befestigungsmethode, die einen Zwischenraum zwischen Holzpfosten und Metallrahmen schuf, stelle keinesfalls die von § 9 Abs 2 EKHG geforderte äußerste nach den Umständen des Falls mögliche Sorgfalt dar. Mangels gelungenen Entlastungsbeweises habe die beklagte Partei für die Folgen des Unfalls des Klägers einzustehen. Der Mitverschuldenseinwand der beklagten Partei sei aber berechtigt: Ein in eigenen Dingen sorgfältiger Schifahrer hätte bei einer für das Verhaken von Schistöcken „sensiblen Örtlichkeit“ wie bei der Einstiegstelle eines Sessellifts ‑ auch ohne das Vorhandensein von Holzpfosten ‑ jedenfalls die Hände aus der Schlaufe des Schistocks genommen und wäre selbst bei einem Verhaken oder Verklemmen des Schistocks durch ein einfaches Auslassen des Griffs von diesem freigekommen. Ein Unfall wie der des Klägers wäre durch eine äußerst einfache und naheliegende Maßnahme unterblieben. Eine Schadensteilung im Ausmaß von 1 : 1 sei angemessen.

Das Berufungsgericht ließ erst nachträglich gemäß § 508 Abs 3 ZPO die Revision zu seinem Zwischen- und Teilurteil zu, weil zur Frage, ob sich der gegenständliche Unfall „beim Betrieb“ des Sessellifts im Sinn des § 1 EKHG ereignet habe, keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist unzulässig. Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

1. Dass auf den gegenständlichen Sessellift (als Seilbahn gemäß § 2 SeilbG 2003) das EKHG anwendbar ist, ist nicht strittig (§ 2 Z 2 lit b sublit bc SeilbG 2003 [„Sesselbahnen“], abgedruckt in Danzl, EKHG9 § 2 Anm 2 lit a; vgl auch RIS‑Justiz RS0058091).

2. Die Frage, ob ein Schaden im Sinn des § 1 EKHG „beim Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs (oder einer Eisenbahn) verursacht wurde, hängt von den Umständen des zu entscheidenden Falls ab, und geht daher in ihrer Bedeutung über den Anlassfall nicht hinaus (RIS‑Justiz RS0111365), es sei denn, dem Berufungsgericht wäre eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen. Eine solche liegt hier nicht vor:

Das Einsteigen in ein Fahrzeug ist ein mit dem Betrieb zusammenhängender Vorgang (RIS‑Justiz RS0058145). Dies gilt auch beim Einsteigen in die sich bewegende Gondel einer Seilbahn (2 Ob 9/06x = RIS‑Justiz RS0058156 [T3] = RS0022569 [T6] = RS0022592 [T13]; vgl auch RS0023706; 2 Ob 14/08k = ZVR 2008/201 [Kathrein] = RS0023706 [T5] für die Ausstiegstelle). Diesem Einsteigen ist hier das Rutschen auf das Förderband, das schon allein durch seine auf das Sich-Hinsetzen auf den Sitz des Sessellifts hinführende Bewegung dem Betrieb des Sessellifts zuzurechnen ist, durchaus vergleichbar.

Soweit die beklagte Partei in ihrer Revision behauptet, das Berufungsgericht weiche zur Frage, ob der Unfall beim Betrieb des Sessellifts geschehen sei, von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ab, vermag sie keine einzige fallbezogen passende oberstgerichtliche Entscheidung zu nennen. Überdies geht die Rechtsrüge der beklagten Partei nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, wird doch verschwiegen, dass sich der Unfall ereignet hat, als der Kläger schon auf dem Förderband stand (S 4 des Ersturteils).

3. Die Revisionswerberin meint schließlich, die Beurteilung des Berufungsgerichts, der beklagten Partei sei der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen, sei eine Fehlbeurteilung.

Auch damit zeigt die Revisionswerberin keine erhebliche Rechtsfrage auf: Der Umfang der gemäß § 9 Abs 2 EKHG gebotenen Sorgfalt hängt von den besonderen Umständen des Einzelfalls ab (RIS‑Justiz RS0111708; speziell zum Einsteigen in eine Seilbahngondel abermals 2 Ob 9/06x). Vom Obersten Gerichtshof wäre daher nur eine auffallende (und damit korrekturbedürftige) Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts aufzugreifen. Eine solche liegt auch diesbezüglich nicht vor: Die Sorgfalt im Sinn des § 9 Abs 2 EKHG ist nicht die gewöhnliche Verkehrssorgfalt, sondern die äußerste, nach den Umständen des Falls mögliche Sorgfalt (RIS‑Justiz RS0058317; RS0058326).

In dem der bereits mehrfach zitierten Entscheidung 2 Ob 9/06x zugrundeliegenden Fall wurde der Kläger beim Einsteigen in eine Gondel der von der Beklagten betriebenen Seilbahn verletzt, nachdem er seine Schi in einen der beidseits des Einstiegs angebrachten Metallkörbe zur Beförderung der Schi gesteckt und das rechte Bein in die Gondel gesetzt hatte. Möglicherweise blieb der Kläger „irgendwo“, vielleicht am Schikorb, mit einer der geöffneten Schnallen an seinem linken Schischuh hängen. Während die Gondel ihre Fahrt im Halbkreis bei geöffneten Türen fortsetzte, erlitt der Kläger Knieverletzungen. Die Schitransportkörbe wichen von der genehmigten Ausführung ab, was die Möglichkeit einer Verhakung des Schischuhs erhöhte.

Der Oberste Gerichtshof hielt die Auffassung der zweiten Instanz, der Entlastungsbeweis sei nicht gelungen, für vertretbar. Ebenso ist es vertretbar, wenn hier das Berufungsgericht ausführte, die beklagte Partei hätte die zur Einschätzung der Körpergröße der Kinder dienenden Holzpfosten ohne Schaffung eines Zwischenraums zwischen Holzpfosten und Metallgerüst so befestigen können, dass sich kein Schistock darin verhaken könne, oder hiefür überhaupt eine gänzlich andere Vorrichtung schaffen können. Deshalb sei der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen.

4. Sonstige erhebliche Rechtsfragen zeigt die Revision nicht auf, weshalb sie zurückzuweisen war.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50, 41 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte