Spruch:
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 30. Oktober 2014, GZ 033 Hv 135/14h‑15, wurde Mohammad E***** des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB schuldig erkannt und unter Bedachtnahme gemäß § 31 Abs 1 StGB auf ein anderes Urteil zu einer Zusatzfreiheitsstrafe verurteilt.
Seiner dagegen gerichteten Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe, die er ‑ nachdem ihm am 27. April 2015 eine schriftliche Urteilsausfertigung zugestellt worden war (ON 1 S 4) ‑ am 26. Mai 2015 eingebracht hat (ON 23), gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 13. Oktober 2015, AZ 20 Bs 173/15k, keine Folge (ON 27).
Mit Eingabe vom 23. Februar 2016 beantragte der Verurteilte ‑ unter Behauptung von Verletzungen der Art 6 und 7 MRK, des Art 2 7. ZPMRK und des „Art 14 MRK (Art 49 Abs 3 GRC)“ ‑ die Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO und in diesem Zusammenhang die Hemmung des Strafvollzugs.
Rechtliche Beurteilung
Beide Anträge erweisen sich als unzulässig.
Unter Berufung auf Art 7 MRK ‑ und Art 49 Abs 1 GRC, der jedoch dieselbe Bedeutung und Tragweite wie das von der MRK garantierte Recht aufweist (vgl Erläuterungen zur Charta der Grundrechte [ABl C 2007/303, 31]), sodass auf letztere Bestimmung und ihren Anwendungsbereich (Art 51 Abs 1 GRC) in diesem Zusammenhang nicht einzugehen ist ‑ behauptet der Erneuerungswerber eine Verletzung des Bestimmtheits‑ und Klarheitsgebots (vgl dazu Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 24 Rz 155) zufolge der „äußerst unklar(en)“ gesetzlichen Abgrenzung zwischen den §§ 269 und 270 StGB. Er übersieht, dass der nicht auf ein Urteil des EGMR gestützte Erneuerungsantrag (RIS‑Justiz RS0122228) ein subsidiärer Rechtsbehelf ist und es unter dem Aspekt der (vertikalen) Rechtswegerschöpfung (vgl RIS‑Justiz RS0122737 [T13]; Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 13 Rz 28 ff) im konkreten Fall notwendig gewesen wäre, die somit behauptete Verfassungswidrigkeit des Gesetzes an den Verfassungs-gerichtshof heranzutragen und aus Anlass der gegen das erstinstanzliche Urteil erhobenen Berufung einen Antrag auf Normenkontrolle (Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG) zu stellen (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 597; RIS‑Justiz RS0130514).
Indem der Erneuerungswerber behauptet, es könne „nicht nachvollzogen werden“, warum er sich „aufgrund der tatgegenständlichen Vorfälle in zwei Strafverfahren verantworten“ habe müssen, und aus dem Umstand, dass die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht in einem einzigen Verfahren verhandelt wurden, sei „Art 6 MRK wegen überlanger Verfahrensdauer verletzt“ worden, wird eine Grundrechtsverletzung nicht prozessförmig zur Darstellung gebracht, weil der Antrag einerseits nicht deutlich und bestimmt darlegt, worin die ‑ vom Obersten Gerichtshof dann selbst zu beurteilende -Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei, und sich andererseits nicht mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinandersetzt (RIS‑Justiz
Ebenso wenig wird mit den bloßen Behauptungen, das Berufungsgericht hätte „den Polizisten und den Angeklagten noch einmal befragen“ und (dargelegte) Widersprüche in den erstrichterlichen Feststellungen von Amts wegen aufgreifen müssen, eine Verletzung des Rechts auf Überprüfung einer strafrechtlichen Verurteilung durch ein Gericht höherer Instanz nach Art 2 7. ZPMRK verfahrenskonform aufgezeigt (RIS‑Justiz RS0128393). Im Übrigen wird übersehen, dass sich die gegenständliche Nachprüfung durch das Berufungsgericht gemäß § 489 Abs 1 StPO ohnedies sowohl auf Tatsachen- als auch auf Rechtsfragen bezog (vgl zur konkreten Ausgestaltung der zweiten Instanz EGMR 18.9.2008, 28034/04, Müller/Österreich ; Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 24 Rz 171).
Soweit der Erneuerungsantrag unter Verweis auf Art 49 Abs 3 GRC kritisiert, sowohl das Erst- als auch das Berufungsgericht hätten gegen das Gebot der Verhältnismäßigkeit verstoßen, weil eine Zusatzfreiheitsstrafe von sechs Monaten angesichts der „objektiven Geringfügigkeit“ der Tat „jedenfalls nicht angemessen“ sei, argumentiert der Antragsteller nicht einmal, dass die Entscheidung „bei der Durchführung des Rechts der Union“ getroffen wurde, was aber Voraussetzung für die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf Akte der Mitgliedstaaten wäre (Art 51 Abs 1 GRC).
Die in der Einleitung des Erneuerungsantrags erfolgte Bezugnahme auf Art 14 MRK im Zusammenhang mit der Behauptung eines Verstoßes gegen Art 49 Abs 3 GRC bleibt unerfindlich (vgl zum Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 26 Rz 4 ff).
Mit den weiteren Ausführungen zum Gewaltbegriff des § 269 StGB und dem Tathergang wird eine Grundrechtsverletzung nicht aufgezeigt, sondern bloß Kritik an der Beweiswürdigung des Berufungsgerichts geübt.
Der Erneuerungsantrag war daher ‑ im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ in sinngemäßer Anwendung des Art 35 Abs 3 lit a MRK als unzulässig schon bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 StPO; vgl RIS‑Justiz RS0128394 [T1]).
Der Antrag, eine „allenfalls in Vollzug gesetzte Haft“ auszusetzen, in eventu einen Haftantritt aufzuschieben, war schon deshalb zurückzuweisen, weil der Oberste Gerichtshof mit Blick auf die Kompetenznorm des § 362 Abs 5 StPO zwar auch im Fall eines auf § 363a StPO gestützten Antrags die Befugnis in Anspruch nimmt, den Vollzug einer mit Erneuerungsantrag bekämpften Entscheidung zu hemmen, ein Antragsrecht betroffener Personen daraus jedoch nicht abzuleiten ist (RIS‑Justiz RS0125705).
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