European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0010OB00017.16F.0428.000
Spruch:
1. Der Revision wird teilweise Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie einschließlich des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils insgesamt wie folgt lauten:
„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 104.987 EUR samt 4 % Zinsen seit 24. 11. 2012 binnen 14 Tagen zu zahlen.
Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 63.748,61 EUR samt Zinsen gemäß § 352 UGB aus 56.507,29 EUR seit 24. 11. 2012 sowie aus 7.241,32 EUR seit 23. 5. 2013 zu zahlen, wird abgewiesen.
Das auf Zahlung der Differenz zwischen den Zinsen gemäß § 352 UGB und 4 % Zinsen aus dem zugesprochenen Betrag gerichtete Zinsenmehrbegehren wird ebenfalls abgewiesen.“
2. Die Kostenentscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Dem Berufungsgericht wird die Beschlussfassung über die Verfahrenskosten aller drei Instanzen aufgetragen.
Entscheidungsgründe:
In einem Vorverfahren, in dem die nunmehrige Klägerin beklagte Partei war und auf Werklohnzahlung geklagt wurde, erstattete der Beklagte als gerichtlich bestellter Sachverständige ein unrichtiges Gutachten. Dies führte dazu, dass die Klägerin zu Unrecht zu einer Zahlung an Kapital in Höhe von 51.655,83 EUR verurteilt wurde. Weiters war das unrichtige Gutachten kausal für eine Zahlungsverpflichtung der Klägerin von 11.743,40 EUR an Verzugszinsen. Die unrichtige Entscheidung in der Sache führte weiters dazu, dass der Klägerin für das Verfahren erster und zweiter Instanz aufgrund der vom Prozessausgang abhängigen Kostenentscheidungen ein Schaden von 36.002,69 EUR und von 5.585,08 EUR entstand. Ihre außerordentliche Revision wurde vom Obersten Gerichtshof mit der Begründung zurückgewiesen, dass ein vom Berufungsgericht verneinter Mangel des Verfahrens erster Instanz nicht neuerlich geltend gemacht werden kann.
Im Vorverfahren hatte die nunmehrige Klägerin gegen die erhobene Honorarforderung für die Durchführung von Heizungs‑, Klima‑, Lüftungs‑, Sanitär‑ und Elektroplanungen im Wesentlichen eingewendet, dass auch tatsächlich nicht erbrachte Planungsleistungen in Rechnung gestellt und insbesondere niemals zur Verfügung gestellte Leistungen für Ausschreibung und Detailplanung verrechnet worden seien. Der Beklagte erhielt den gerichtlichen Auftrag, ein Gutachten darüber zu erstatten ob die erbrachten Leistungen mängelfrei ausgeführt wurden und ob die erstellte Abrechnung nachvollziehbar und schlüssig ist bzw den vertraglichen Grundlagen entspricht. Die Parteien des Vorverfahrens legten dem Beklagten die zu beurteilenden Pläne ausschließlich im PDF‑Format und nicht als DWG‑Datei vor. Der Beklagte fasste den Gerichtsauftrag derart auf, dass er nicht das gesamte Werk in jedem Detail zu überprüfen habe, sondern lediglich Qualitätsmängel der erbrachten Planungsleistungen. Er erfüllte den Gutachtensauftrag zwar in quantitativer Hinsicht vollständig, jedoch ist sein Gutachten weder schlüssig noch nachvollziehbar, da auf der im Vorverfahren herangezogenen Grundlage kein seriöses Ergebnis hätte erzielt werden können. Die dem Beklagten zur Verfügung gestellten Pläne wurden nämlich überwiegend derart ausgedruckt, dass mehrere bzw sämtliche „Layer“ der Gewerke übereinander geschaltet wurden, sodass sie nicht im Detail lesbar waren. Die Beurteilung eines Plans auf Richtigkeit und Vollständigkeit kann jedoch nur erfolgen, indem der Plan für jedes Gewerk einzeln ausgedruckt wird oder die jeweiligen Gewerke im DWG‑Format durch Ein‑ und Ausschalten der betreffenden Layer einzeln dargestellt werden. Durch das gleichzeitige Einschalten wird die Gesamtplanung in einer Zusammenschau überprüft. Der Beklagte zog allerdings nur die PDF‑Pläne zur Gutachtenserstattung heran, nicht aber auch die DWG‑Files, und ließ weitere Detailfragen ebenfalls unüberprüft. Er verfügte über gar kein Programm, mit welchem diese Files lesbar gewesen wären und hatte auch keinen Zugriff auf den Server. Er erstattete sein Gutachten auch ohne Zugrundelegung der vom Server gelöschten Daten. Aus fachlicher Sicht hätte er darauf hinweisen müssen, dass er auf Basis der Aktenlage keine seriöse Überprüfung der Planungsleistungen vornehmen kann. In seinem schriftlichen Gutachten führte der Beklagte unter anderem aus: „Die ... vorgelegten Planungsunterlagen sind, soweit überprüft, frei von erkennbaren Mängeln. ... Die Abrechnung als solche ist nachvollziehbar, wäre schlüssig und entspräche der Honorarordnung Industrielle Technik der Bundesingenieurkammer und den vertraglichen Vereinbarungen.“ Im Rahmen seines Befundes finden sich folgende Passagen: „Vom Sachverständigen wurde der technische Inhalt aller vorliegenden Planungsunterlagen der diversen Bauabschnitte und aller Teilgewerke (Heizung, Sanitäranlagen, Kälteanlagen, Lüftungsanlagen, Brandrauchentlüftung, Mess‑ und Regeltechnik sowie die gesamte Elektrotechnik, technische Beschreibung, alle Pläne gemäß Planliste, Heiz‑ und Kühllastberechnungen, Druckhaltung für Heizung und Kühlung, Massenauszüge, etc) so weit überprüft, dass deren Mängelfreiheit, Normenkonformität und Vertragsgemäßheit, sowohl bei den durchgeführten Berechnungen als auch in den darauf basierenden planlichen Darstellungen, festgestellt werden konnten. Das Gesamtplanungshonorar ist gemäß HOIT aus den mit 4.712.900 EUR geschätzten Gesamtherstellungskosten abgeleitet worden, die Teilleistungsfaktoren entsprechen der HOIT. Der bloße Bezug von Planungsleistungen auf eine Quadratmeterbasis ist im vorliegenden Fall nicht zielführend, weil bestimmte flächenübergreifende Leistungen und Vorfeststellungen unbedingt erforderlich sind.“ Nachdem das Gutachten den Parteien des Vorprozesses zugestellt worden war, beantragte die nunmehrige Klägerin eine Gutachtensergänzung mit der Begründung, die dem Beklagten zur Beurteilung vorgelegten Planunterlagen seien nicht ident mit den vom damaligen Kläger auf den Server gestellten. Im Rahmen eines daraufhin erstatteten Ergänzungsgutachtens kam der Beklagte zum Ergebnis, dass eine Anzahl der Dateien auf der CD in den vom damaligen Kläger vorgelegten Beilagen nicht enthalten sei, wogegen bestimmte Beilagen gegenüber der CD zusätzliche Dateien enthielten; der Unterschied der vorgelegten Dateien und Pläne sei aber nicht gutachtensrelevant; die übrigen Dateien und Pläne seien völlig ident. Gutachten und Ergänzungsgutachten wurden in der Tagsatzung vom 29. 3. 2011 erörtert, wobei es um Fragen des Formats der Pläne ging, das für deren exakte Auswertbarkeit von Bedeutung war. Mit Schriftsatz vom 2. 5. 2011 brachte die Klägerin vor, die örtliche Bauaufsicht habe ermittelt, dass der seinerzeitige Kläger lediglich 30,5 % der Leistungen erbracht, aber erheblich mehr verrechnet habe. Mit Schriftsatz vom 31. 5. 2011 nahm sie zu Gutachten, Ergänzungsgutachten und Gutachtenserörterung dahin Stellung, dass die Gutachten die vom Beklagten getroffene Schlussfolgerungen nicht schlüssig und nachvollziehbar begründeten und stellte den Antrag auf neuerliche Begutachtung durch einen weiteren Sachverständigen. „Unter einem“ legte sie eine Stellungnahme eines Privatgutachters vor, der das Gutachten des Beklagten als „grob unrichtig“ bezeichnete. Dieses Gutachten wurde vom Erstgericht des Vorprozesses nicht verwertet, es holte auch kein weiteres Gutachten ein. Vielmehr sah es das Gutachten des Beklagten als nachvollziehbar und schlüssig an und stützte darauf die Feststellung, dass die durchgeführte Abrechnung den erbrachten Planungsleistungen entspreche, die mängelfrei erbracht worden seien. Die Berufung der Klägerin blieb erfolglos, wobei auch das Berufungsgericht das Gutachten des Beklagten weder als unklar noch unschlüssig oder widersprüchlich befand. Es vertrat weiters die Auffassung, dass das vorgelegte Privatgutachten aufgrund seiner späten Vorlage nicht zu berücksichtigen gewesen sei. Tatsächlich war das Gutachten aber unrichtig und die vom Beklagten zu überprüfende Abrechnung weder angemessen noch schlüssig. Er hatte es insbesondere unterlassen, das Fehlen einiger Planungsleistungen in den PDF‑Plänen aufzuzeigen und vom dortigen Kläger auch keine allenfalls fehlenden Unterlagen angefordert. Er führte in seinem Befund aus, den technischen Inhalt aller ihm vorgelegten Planungsunterlagen überprüft zu haben, unterließ es jedoch aufzuzeigen, dass eine inhaltlich richtige Gutachtenserstattung auf Basis der vorhandenen PDF‑Pläne gar nicht möglich war. Er hatte die Qualität der Berechnung bezüglich der Planungsleistungen die ihm vorliegenden Dateien nur stichprobenweise dahingehend überprüft, ob sie zu den angestellten Berechnungen passen, und den in der Abrechnung genannten Erfüllungsgrad nur anhand der vom dortigen Kläger aufgestellten Tabellen überprüft. Insgesamt ließ er die als Abrechnungsgrundlage herangezogenen technischen Parameter weitgehend ungeprüft und beschränkte seine gutachterliche Tätigkeit auf die Überprüfung der rechnerischen Richtigkeit des Rechenvorgangs, indem er seinem Gutachten ungeprüft die vom dortigen Kläger aufgestellte Abrechnung zugrunde legte.
Die Klägerin begehrte ‑ nach Klageausdehnung und Klageeinschränkung ‑ letztlich die Zahlung von 168.735,61 EUR samt Verzugszinsen nach § 352 UGB an Kapital, Zinsen und Prozesskosten für den Schaden, der ihr durch das unrichtige Gutachten und dem darauf beruhenden Prozessverlust als Vermögensschaden entstanden sei. Obwohl sie sich vehement bemüht habe, das Gericht im Vorverfahren von der Unrichtigkeit des Gutachtens zu überzeugen, sei letztlich die unrichtige Entscheidung gefällt worden, zumal der Beklagte von seinen unrichtigen Schlussfolgerungen nicht abgerückt sei.
Der Beklagte ‑ dessen grundsätzliche Haftung im Revisionsverfahren nicht mehr strittig ist ‑ wandte unter anderem ein Mitverschulden der Klägerin am Prozessverlust ein. Es wäre deren Sache gewesen, die Befundgrundlagen mit ihm genauer zu erörtern. Sie habe zwar Erörterungs‑ und Ergänzungsanträge gestellt, es aber insbesondere unterlassen, die nunmehr als Minderleistung angesehenen „Verstöße“ zu thematisieren. Die Klägerin habe im Vorverfahren zwar konkret vorgebracht, dass der Planungsumfang nicht 89 % sondern nur 80 % betrage, nicht aber, dass statt 82 Appartements tatsächlich 104 zu planen gewesen wären. Im Ergänzungsgutachten habe er auch darauf hingewiesen, wie viele Pläne die ihm übergebene CD in welchem Format enthalten habe.
Das Erstgericht erkannte den Beklagten schuldig, der klagenden Partei 92.073,05 EUR samt 4 % Zinsen zu zahlen und wies das Mehrbegehren über weitere 76.663,52 EUR (rechnerisch richtig wären es 76.662,56 EUR gewesen) samt Zinsen sowie das Zinsenmehrbegehren ab. Im Hinblick auf die durch das unrichtige Gutachten verursachte Fehlentscheidung im Vorverfahren und die damit verbundene Zahlungspflicht der Klägerin in Höhe von 51.655,83 EUR an Kapital warf es dieser ein Mitverschulden im Ausmaß von 25 % vor, weshalb sich der Ersatzbetrag auf 38.741,88 EUR verringere. Ihr sei insbesondere vorzuwerfen, anlässlich der Gutachtenserörterung nur Fragen hinsichtlich des Dateiformats der vom Beklagten herangezogenen Unterlagen gestellt zu haben, nicht aber auch bezüglich der inhaltlichen Überprüfung der Planungsleistungen. Ein Mitverschulden im selben Ausmaß sei der Klägerin auch im Hinblick auf den erlittenen Kostenschaden von 48.803,59 EUR anzulasten. Sie habe eine Verfahrensverzögerung ‑ und damit eine Kostenerhöhung ‑ durch das Nachschießen von Bestreitungsvorbringen sowie das Unterlassen der Erstattung konkreten Vorbringens zu allfälligen Mängeln in der Planung mitverursacht und es darüber hinaus auch unterlassen, erfolgversprechende Einwendungen gegen das vom Kläger des Vorprozesses erhobene Kostenverzeichnis zu erheben. Damit vermindere sich ihr Ersatzanspruch im Hinblick auf den Kostenschaden auf 36.002,69 EUR. Weiters habe der Beklagte Mehrkosten des Berufungsverfahrens von 5.585,08 EUR zu ersetzen. Die Kosten der von vornherein aussichtslosen Revision habe die Klägerin hingegen selbst zu tragen, weil insoweit eine Verletzung der Schadensminderungspflicht vorliege. Ein Zuspruch von Verzugszinsen nach § 352 UGB komme nicht in Betracht, weil es zwischen dem Beklagten und den Parteien des Vorprozesses keine vertragliche Beziehung gegeben habe.
Das Berufungsgericht bestätigte über Berufung beider Parteien die erstgerichtliche Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Dem Beklagten sei ein (erheblicher) Sorgfaltsverstoß anzulasten, weil auf der Grundlage der im Vorverfahren herangezogenen Unterlagen kein seriöses Ergebnis zu erzielen gewesen sei. Dafür wäre die Auswertung von Dateien im DWG‑Format erforderlich gewesen. Schon aufgrund des Prozessvorbringens habe für ihn erkennbar sein müssen, dass der Grad der Erfüllung der Planungsleistungen wesentliches Prozessthema gewesen sei. Es sei für ihn außer Zweifel gestanden, dass es um die Beurteilung des bisherigen Aufwands des Planers gehen sollte. Er habe schließlich ohne ausreichenden Hinweis in seinem Gutachten unrichtige Ergebnisse präsentiert. Zu Recht habe das Erstgericht aber ein Mitverschulden der Klägerin im Ausmaß von einem Viertel angenommen und ihr eine Sorglosigkeit bei ihrer Prozessführung vorgeworfen. Insbesondere wäre die Klägerin gehalten gewesen, nach Zustellung des Gutachtens die Erörterung zu verlangen, dass der Beklagte die Grundlage seiner Schlussfolgerung näher darlegt und ausführt, der Überprüfung welcher weiteren Unterlagen es bedürfte, um eine definitive Aussage treffen zu können. Es habe der Klägerin als Architektin und Ziviltechnikerin wohl auch bewusst sein müssen, dass eine bloße Einsicht in ‑ kaum lesbare ‑ Pläne im PDF‑Format nicht geeignet sein konnte, das Ausmaß des Erfüllungsgrades der Planungsarbeiten abschließend zu beurteilen. Das Privatgutachten habe sie erst nach der Gutachtenserörterung unmittelbar vor der letzten Tagsatzung vorgelegt. Damit sei jedenfalls eine Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten gegeben. Es sei sehr wohl Sache der Prozessparteien, mit allen ihnen von der Prozessordnung gebotenen Mitteln ein richtiges Ergebnis des Sachverständigenbeweises anzustreben, wenn sie Bedenken gegen die Richtigkeit des Gutachtens haben. Schadenersatz für die Kosten der außerordentlichen Revision im Vorprozess habe das Erstgericht zutreffend zur Gänze abgelehnt, weil sie im Rahmen ihrer Schadensminderungspflicht den Kostenaufwand für ein von vornherein aussichtsloses Rechtsmittel zu unterlassen gehabt hätte. Das Erstgericht habe auch zutreffend die Verzinsung der zuerkannten Schadenersatzforderung nach § 352 UGB abgelehnt. Auch wenn man die Auffassung vertreten sollte, dass sich die Haftung des gerichtlich bestellten Sachverständigen nach vertraglichen Grundsätzen bestimme, mangle es an einem nach § 352 UGB vorausgesetzten beiderseitigen Unternehmensgeschäft zwischen der Klägerin und dem Beklagten. Die betreffende gesetzliche Bestimmung beruhe ‑ ebenso wie ihre Vorgängerbestimmung in § 1333 Abs 2 ABGB ‑ auf der EU‑Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr, die es bezweckt habe, den Zahlungsverzug zwischen Unternehmen einzudämmen. Die hier zu beurteilende Nichterfüllung eines Schadenersatzanspruchs aufgrund eines angeblich unrichtigen Gutachtens eines gerichtlich bestellten Sachverständigen sei aber nicht der der Richtlinie und dem ZinsRÄG zugrundeliegenden Verzögerung von Zahlungen aus dem laufenden unternehmerischen Geschäft ‑ seien es auch Schadenersatzforderungen auf vertraglicher Grundlage - vergleichbar. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil Rechtsfragen in der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zu lösen gewesen seien.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Revision der Klägerin ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Unzulässigkeitsausspruch des Berufungsgerichts zulässig und teilweise berechtigt.
1. Auch wenn es grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls ist, ob und inwieweit einem Geschädigten wegen Sorglosigkeit in eigenen Angelegenheiten ein Mitverschulden im Sinne des § 1304 ABGB vorzuwerfen ist (RIS‑Justiz RS0087606), erscheint dem erkennenden Senat die ein Mitverschulden der Klägerin an den nachteiligen Folgen des Prozessverlusts bejahende Rechtsansicht der Vorinstanzen korrekturbedürftig.
Wie sich aus den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts deutlich ergibt, hat die nunmehrige Klägerin stets Zweifel an der Richtigkeit der Darlegungen des Beklagten als Sachverständiger geäußert. Dass sie im Rahmen der Gutachtenserörterung die Frage des „Formats“ der dem Gutachten zugrunde gelegten Dateien in den Mittelpunkt gestellt hat, vermag schon deshalb keine ins Gewicht fallende Sorglosigkeit zu begründen, weil es ja tatsächlich ein maßgeblicher Grund für die Unrichtigkeit des Gutachtens war, dass der Beklagte nur Dateien im PDF‑Format heranzog, die einerseits unleserlich und andererseits auch inhaltlich zu wenig aussagekräftig waren. Noch weniger ist der Klägerin vorzuwerfen, das eingeholte Privatgutachten erst nach dem (erfolglosen) Versuch, den Beklagten im Rahmen der Gutachtenserörterung zu einer Revidierung seiner Schlussfolgerungen zu bewegen, vorgelegt zu haben. Solange eine Prozesspartei noch versucht, die primär vorgesehenen verfahrensrechtlichen Mittel zu nutzen und insbesondere über einen Erörterungsantrag die Möglichkeit wahrnimmt, unklare oder fragwürdige Passagen eines Sachverständigengutachtens in Frage zu stellen und auf Klarstellung bzw Präzisierung zu dringen, ist von ihr regelmäßig nicht zu verlangen, gleichzeitig ‑ oder sogar schon vorher ‑ ein ihre Auffassung stützendes Privatgutachten einzuholen, dessen Kosten sie ‑ auch im Falle eines Erfolgs ‑ möglicherweise selbst tragen muss, weil argumentiert werden könnte, sie hätte doch die Unklarheiten durch entsprechende Fragestellung an den Sachverständigen ohne erhebliche zusätzliche Kostenbelastung ausräumen können. Es ist daher kein sorgloses Vorgehen in eigenen Angelegenheiten darin zu erblicken, dass sie erst nach dem erfolglosen Erörterungsversuch ein Privatgutachten eingeholt und dem Prozessgericht vorgelegt hat. Dass Letzteres dieses Privatgutachten nicht zum Anlass dafür genommen hat, die Richtigkeit des Gutachtens des Beklagten in Frage zu stellen, kann nicht der Klägerin vorgeworfen werden. Mit der Rechtsauffassung der Vorinstanzen würden die prozessualen Sorgfaltspflichten der Prozessparteien, die ja nicht primär dazu berufen sind, ein inhaltlich richtiges Sachverständigengutachten herbeizuführen, überspannt werden.
Da der Klägerin somit kein im Verhältnis zur Sorglosigkeit des Beklagten, der trotz zahlreicher Hinweise die Unzulänglichkeit der Gutachtensgrundlagen und sein Unvermögen zur Auswertung aussagekräftiger Unterlagen nicht offengelegt, sondern vielmehr auf der Richtigkeit seines Gutachtens beharrt hat, ins Gewicht fallende (vgl nur RIS‑Justiz RS0027202) Nachlässigkeit nicht vorzuwerfen ist, steht ihr der Ersatz des gesamten Kapitalbetrags zu, zu dessen Zahlung sie wegen des fehlerhaften Gutachtens zu Unrecht verurteilt wurde, sodass sich ihr Zuspruch um den vom Erstgericht abgewiesenen Teil an Kapital in Höhe von 12.913,95 EUR erhöht.
2. Schon im Berufungsverfahren hatte die nunmehrige Revisionswerberin zwar die Entscheidung formell im gesamten klageabweisenden Teil bekämpft, sich jedoch mit den Erwägungen des Erstgerichts zur Teilabweisung des in Bezug auf den Prozesskostenersatz entstandenen Schadens ‑ mit Ausnahme der Revisionskosten -nicht auseinandergesetzt. Auch in der Revision geht sie auf den Vorwurf, ihr sei deshalb ein Mitverschulden anzulasten, weil sie einerseits durch Verfahrensverzögerung und andererseits durch Unterlassen von Einwendungen gegen das Kostenverzeichnis der Gegenseite den Kostenschaden vergrößert habe, nicht ein. Auch die Frage der Revisionskosten macht sie (zutreffend) nicht mehr zum Thema. Insoweit ist die vom Berufungsgericht bestätigte Teilabweisung daher nicht zu überprüfen.
3. Zu den begehrten Verzugszinsen hat das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass § 352 UGB ein beiderseitiges Unternehmergeschäft voraussetze (vgl nur RIS‑Justiz RS0120608), das im vorliegenden Fall fehlt. Dem vermag die Revisionswerberin nichts Überzeugendes entgegenzusetzen. Warum § 352 UGB ‑ bzw nun § 456 UGB idFd Zahlungsverzugsgesetzes BGBl I 2013/50 bei ab dem 16. 3. 2013 geschlossenen Verträgen ‑ über den gesetzlichen Tatbestand hinaus auf alle unternehmensbezogenen Rechtsverhältnisse anzuwenden sein sollte, in deren Rahmen auch Umsatzsteuer verzeichnet wird, ist nicht verständlich. Diese Rechtsauffassung hätte ‑ entgegen dem klaren Gesetzeszweck ‑ etwa auch zur Konsequenz, dass § 352 UGB auch im Verbrauchergeschäft anzuwenden gewesen wäre, wird doch auch dort der Unternehmer unternehmerisch tätig und verzeichnet für seine Leistungen Umsatzsteuer. Eine taugliche Analogiebasis für eine Übertragung der Rechtsfolgen des § 352 UGB auf Schadenersatzansprüche einer Prozesspartei gegen einen durch öffentlich‑rechtlichen Akt bestellten (Gerichts‑)Sachverständigen, vermag die Revisionswerberin nicht aufzuzeigen.
4. Insgesamt sind die Entscheidungen der Vorinstanzen daher dahin abzuändern, dass der Klägerin weitere 12.913,95 EUR samt 4 % Zinsen seit 24. 11. 2012 zuerkannt werden; im Übrigen ist die Revision unberechtigt. Die Erklärung, das Zinsenbegehren wegen geleisteter Zahlungen einzuschränken, muss im Revisionsverfahren schon deshalb unbeachtlich bleiben, weil sich die Zahlung ersichtlich auf den bereits in Rechtskraft erwachsenen Teil des Zahlungsbegehrens bezieht.
5. Die Aufhebung der Kostenentscheidung hat in sinngemäßer Anwendung des § 510 Abs 1 letzter Satz ZPO zu erfolgen (RIS‑Justiz RS0124588), ergibt sich doch wegen der Vielzahl unterschiedlicher Verfahrensabschnitte mit unterschiedlichen Streitwerten und Erfolgsquoten die Notwendigkeit eingehender Berechnungen.
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