OGH 8ObA31/15i

OGH8ObA31/15i27.4.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Brenn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Rolf Gleißner und Wolfgang Cadilek in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Arbeiterbetriebsrat der R***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler und Dr. Gerd Grebenjak, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei R***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Michael Augustin, Mag. Peter Haslinger und Mag. Thomas Böchzelt, Rechtsanwälte in Leoben, wegen Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 14. Jänner 2015, GZ 7 Ra 56/14f‑28, mit dem das Urteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 1. April 2014, GZ 25 Cga 103/12x‑24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBA00031.15I.0427.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 447,98 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 74,66 EUR USt) zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Der klagende Betriebsrat begehrt zusammengefasst die Feststellung, dass den Arbeitern der beklagten Partei bei Berechnung sämtlicher Ansprüche, die von der ununterbrochenen Dauer ihres Dienstverhältnisses abhängen, nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag für die eisen‑ und metallerzeugende und ‑verarbeitende Industrie auch jene Dienstzeiten anzurechnen sind, welche ab 1. 1. 1984 in namentlich bezeichneten Vorgängerunternehmen der Beklagten zurückgelegt wurden. Gestützt wird dieses Begehren auf Abschnitt V Z 1 des genannten Kollektivvertrags, der vorsieht, dass „ für alle Ansprüche des Arbeitnehmers bzw der Arbeitnehmerin, die von der ununterbrochenen Dauer eines Arbeitsverhältnisses abhängen, die Dienstzeiten in Betrieben des gleichen Unternehmens, die seit 1. 7. 1988 nicht länger als 90 Tage, vor diesem Zeitpunkt nicht länger als 60 Tage unterbrochen wurden, zusammen zu rechnen “ sind.

Im Verfahren ist der Inhalt des in dieser Bestimmung verwendenten Begriffs des „Unternehmens“ strittig. Die Beklagte vertritt den Standpunkt, sie sei erst im Jahre 1994 als Gesellschaft neu gegründet worden und habe daher keine Rechtsvorgänger. Mit Kaufvertrag vom 24. 1. 1994 habe sie nur die betrieblichen „Assets“ aus dem Konkursverfahren des früheren Betreibers des Standorts gekauft, jedoch gemäß § 3 Abs 2 AVRAG keine Dienstnehmer des Insolvenzschuldners übernommen. Sämtliche Dienstverhältnisse seien beginnend mit 1. 2. 1994 neu begründet worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im zweiten Rechtsgang statt.

Es stellte fest, dass es auf der materiellen Ebene seit 1984 für die betroffenen Arbeitnehmer keine wesentlichen Änderungen gegeben habe, sie hätten mit den selben Mitteln am selben Standort überwiegend die gleichen Produkte, nämlich Steinbohrwerkzeuge, hergestellt. Nach der im ersten Rechtsgang überbundenen weiten Auslegung des Artikel V des Kollektivvertrags durch das Berufungsgericht sei diese Kontinuität des Betriebs für die Anwendung der Zusammenrechnungsregel entscheidend, wogegen es auf die Änderungen im Bereich der Person des Unternehmers nicht ankomme.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil der Auslegung von Kollektivvertragsbe-stimmungen stets eine über den Einzelfall hinaus reichende Bedeutung zukomme.

Die strittige Bestimmung sei nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung grundsätzlich weit auszulegen. Wesentlich sei nicht, ob der Arbeitgeber oder dessen Gesellschafterstruktur gleich geblieben seien, sondern ob sich Betrieb und Unternehmen aus der Perspektive der Arbeitnehmer wesentlich geändert hätten.

Rechtliche Beurteilung

Die von der klagenden Partei beantwortete Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht dargelegten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Der Oberste Gerichtshof hatte bisher in zwei Entscheidungen Gelegenheit, unter unterschiedlichen Aspekten zur Interpretation des Abschnitt V Z 1 des Kollektivvertrags für die eisen‑ und metallerzeugende und -verarbeitende Industrie (bzw der gleichlautenden Bestimmung des Kollektivvertrags für das metallverarbeitende Gewerbe) Stellung zu nehmen.

Gegenstand der Entscheidung 9 ObA 25/00t war die begehrte Zusammenrechnung von Zeiten eines durch berechtigten vorzeitigen Austritt beendeten Arbeitsverhältnisses zu einer Gemeinschuldnerin mit Zeiten eines anschließend begründeten Arbeitsverhältnisses zum Masseverwalter im Rahmen des Konkursfortbetriebs, zum Zweck der Berechnung von Entgeltfortzahlungsansprüchen. Der Oberste Gerichtshof ließ in dieser Entscheidung offen, ob unter den festgestellten Umständen überhaupt von einem Wechsel in der Person des Arbeitgebers die Rede sein konnte. Der Kollektivvertrag habe die strittige Zusammenrechnungsregel bereits vor Inkrafttreten des EFZG enthalten und sie danach unverändert beibehalten, obwohl das EFZG auf „das Arbeitsverhältnis“ bzw „denselben“ Dienstgeber abstelle und in § 2 Abs 3a leg cit besondere Regelungen für den Arbeitgeberwechsel enthalte. Dies lasse auf die bewusste Wahl einer weiten Fassung des Abschnitts V des Kollektivvertrags durch die Kollektivvertragsparteien schließen, um auch dort, wo zwar die Person des Arbeitgebers strittig sein könnte, aber Betrieb und Unternehmen keine wesentliche Änderung erfahren haben, die Zusammenrechnungsregel Anwendung finden zu lassen.

In der Entscheidung 8 ObS 25/05t, die einen Anspruch nach der wortgleichen Bestimmung des Kollektivvertrags für das eisen‑ und metallverarbeitende Gewerbe zum Gegenstand hatte, bestätigte der Oberste Gerichtshof das in 9 ObA 25/00t gewonnene Auslegungsergebnis.

Der Kläger jenes Verfahrens war wegen Konkurseröffnung berechtigt vorzeitig aus dem Arbeitsverhältnis zu einer Gemeinschuldnerin ausgetreten und hatte anschließend ein neues Arbeitsverhältnis mit unveränderter Tätigkeit zu der den Betrieb fortführenden Gesellschaft, die nicht mit der Gemeinschuldnerin ident war, begründet.

Dieser Sachverhalt ist auch hier einschlägig. Selbst die Revision betont, dass die beklagte Gesellschaft im Jahre 1994 zwar durch neue Gesellschafter gegründet wurde, die an der in Konkurs verfallenen Vorgängerin nicht beteiligt waren, wohl aber verfolgte sie den erklärten Zweck einer Auffanggesellschaft, weshalb „zum Zwecke der Kontinuität und um die Kunden nicht zu verwirren“ sogar der alte Name der Gemeinschuldnerin in die neue Firma integriert wurde. Unstrittig sind auch die Kontinuität der Produktion (mit Ausnahme der Auflassung einer Produktlinie), des Standorts und der Tätigkeit der betroffenen Arbeitnehmer.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts enstpricht auf Grundlage dieser maßgeblichen Feststellungen der dargestellten gefestigten Rechtsprechung. Die Kollektivvertragsparteien haben die zitierten Entscheidungen, die bereits mehr als ein Jahrzehnt zurückliegen, nicht zum Anlass genommen, der Bestimmung des Abschnitt V Z 1 des Kollektivvertrags eine neue Fassung zu geben oder eine abweichende authentische Interpretation vorzunehmen. Der Oberste Gerichtshof sieht daher im vorliegenden Fall keinen Anlass, von seiner Rechtsprechung abzuweichen und den Begriff des „Unternehmens“ in der strittigen Bestimmung nicht im weiten Sinn als „organisierte Erwerbsgelegenheit“ (RIS‑Justiz RS0010033) auszulegen, sondern in dem von der Revisionswerberin gewünschten engstmöglichen Sinn an die Person des Eigentümers anzuknüpfen.

Neue Argumente, die allenfalls zu einem Überdenken der bisherigen Rechtsprechung führen müssten, enthalten die Revisionsausführungen nicht. Der Umstand, dass es nach § 3 Abs 2 AVRAG im Zuge des Konkurses im Jahre 1994 zu keinem Betriebsübergang mit unmittelbarem Eintritt der Beklagten in die Arbeitsverhältnisse gekommen ist, steht der Möglichkeit einer kollektivvertraglichen Anrechnung von Vordienstzeiten nicht entgegen.

Dem Rechtsmittel war daher keine Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 2 ASGG. Im Feststellungsverfahren nach § 54 Abs 1 ASGG gelten die allgemeinen Bestimmungen der ZPO über den Kostenersatz (8 ObA 70/15z). Zu einer Revisionsbeantwortung gebührt nur der einfache Einheitssatz.

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