OGH 6Nc5/16m

OGH6Nc5/16m5.4.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm und Dr. Gitschthaler als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen M*****, geboren am ***** 2002, *****, und M*****, geboren am ***** 2005, *****, AZ 20 Pu 325/12w des Bezirksgerichts Linz, wegen Übertragung der Zuständigkeit nach § 111 JN, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0060NC00005.16M.0405.000

 

Spruch:

Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Linz vom 18. 11. 2015 verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache hinsichtlich der Unterhaltssache an das Bezirksgericht Floridsdorf wird in Ansehung des Minderjährigen M***** genehmigt.

 

Begründung:

Der Magistrat der Landeshauptstadt Linz teilte mit Schreiben vom 9. 9. 2015 dem die Pflegschaftssache führenden Bezirksgericht Linz mit, dass der minderjährige Marko seit 4. 9. 2015 im Haushalt des bisher geldunterhaltspflichtigen Vaters, dem nach der Aktenlage gemeinsam mit der Mutter die Obsorge für die Minderjährige zukommt, im Sprengel des Bezirksgerichts Floridsdorf voraussichtlich auf Dauer wohnhaft sei. Das Bezirksgericht Linz stellte mit Beschluss vom 15. 9. 2015 die Unterhaltsvorschüsse hinsichtlich des Minderjährigen ein.

Mit Schriftsatz vom 3. 11. 2015 stellte der nun vom Land Wien als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Amt für Jugend und Familie ‑ Rechtsvertretung Bezirk 21) vertretene minderjährige Marko den Antrag, die Mutter ab 1. 9. 2015 zu einer monatlichen Geldunterhaltsleistung zu verpflichten.

Mit Beschluss vom 18. 11. 2015 übertrug das Bezirksgericht Linz die Zuständigkeit zur „Besorgung dieser Pflegschaftssache hinsichtlich der Unterhaltssache“ dem Bezirksgericht Floridsdorf.

Das Bezirksgericht Floridsdorf lehnte die Übernahme jedoch ab. Dem Argument des übertragenden Gerichts, der aktuelle ständige Aufenthalt des Kindes Marko bei seinem Vater liege im Sprengel des übertragenen Gerichts, hielt dieses entgegen, dass es in der Regel den Interessen beider Pflegebefohlener entspreche, wenn als Pflegschaftsgericht jenes Gericht tätig werde, in dessen Sprengel der gewöhnliche Aufenthalt des jüngeren Pflegebefohlenen liege, werde doch auf diese Weise vermieden, dass bei Erlangen der Volljährigkeit des älteren Minderjährigen die Zuständigkeit erneut übertragen werde.

Nach Rechtskraft des Übertragungsbeschlusses legt das Bezirksgericht Linz den Akt (neuerlich) zur Entscheidung gemäß § 111 Abs 2 JN dem Obersten Gerichtshof vor.

Rechtliche Beurteilung

Die verfügte Übertragung ist in Ansehung des minderjährigen Marko berechtigt.

Nach § 111 Abs 1 JN kann das Pflegschaftsgericht seine Zuständigkeit einem anderen Gericht übertragen, wenn es im Interesse des Minderjährigen oder sonstigen Pflegebefohlenen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird. Ausschlaggebendes Kriterium für die Übertragung der Zuständigkeit ist dabei immer das Kindeswohl (RIS‑Justiz RS0047074). Dabei wird der pflegschaftsgerichtliche Schutz in der Regel am besten durch das Gericht gewährleistet, in dessen Sprengel sich das Kind aufhält. Eine Zuständigkeitsübertragung ist daher grundsätzlich zu genehmigen, wenn der Lebensmittelpunkt des Kindes in den Sprengel eines anderen als des bisher zuständigen Bezirksgerichts verlagert wird (10 Nd 503/01; 6 Ob 10/05f uva).

In der Rechtsprechung wird zwar immer wieder betont, dass eine Aufsplitterung des Pflegschaftsverfahrens für mehrere Kinder aus einer Lebensgemeinschaft oder einer Ehe nach Tunlichkeit vermieden werden sollte, weil es in der Regel zweckmäßig sei, wenn die Pflegschaft bei einem Gericht geführt wird (10 Nd 503/01; 4 Nd 507/95; 6 Ob 10/05f; 5 Nc 21/12a; vgl weitere Nachweise bei Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG [2013] § 111 JN Rz 14 FN 44; ebenso Mayr in Rechberger, ZPO[2014] § 111 JN Rz 3 unter Hinweis auf § 420 Abs 4 Geo). Es wurde aber eine Zuständigkeitsübertragung hinsichtlich eines von mehreren Geschwistern immer wieder genehmigt, wenn sich deren Lebensmittelpunkte in verschiedenen Bezirksgerichtssprengeln befanden (10 Nd 503/01; 8 Nc 31/15y; 6 Nc 18/15x). Auch in der Literatur wird eine „Aufsplitterung der Pflegschaftsverfahren“ dann für zulässig erachtet, wenn es „gar keine Gemeinsamkeiten mehr gibt“ (Gitschthaler aaO).

Angesichts des Alters der Minderjährigen und der faktischen Trennung der Lebensbereiche der beiden Geschwister (und ihrer Eltern) sowie des Umstands, dass das 2012 begonnene Verfahren bisher ausschließlich Fragen der Gewährung von Unterhaltsvorschüssen und der Unterhaltsverpflichtung des Vaters betraf und das Land Wien als Kinder- und Jugendhilfeträger die Weiterführung der Vertretung in Unterhaltsangelegenheiten des minderjährigen Marko übernommen hat, ist im konkreten Fall ausschlaggebend, dass der Lebensmittelpunkt des Minderjährigen nunmehr im Sprengel des Bezirksgerichts Floridsdorf liegt. Die Notwendigkeit eines wechselseitigen Abstimmens von Maßnahmen oder ein besonderer Informationsaustausch steht hier nicht im Vordergrund (vgl 8 Nc 31/15y; 6 Nc 18/15x). Der Hinweis auf eine Praxis, wonach sich die örtliche Zuständigkeit nach dem jüngsten Kind richte, entbehrt einer gesetzlichen Grundlage.

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