European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0040OB00039.16P.0330.000
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung
Die Vorinstanzen wiesen die auf Feststellung der Unwirksamkeit der durch die beklagte Partei ausgesprochenen Kündigungen der Dauerschuldverhältnisse bzw auf die Feststellung deren fortdauernden Bestands gerichtete Feststellungsklage mit der Begründung ab, die ausgesprochene Kündigung habe der vertraglich vereinbarten einjährigen Kündigungsfrist entsprochen. Diese vertragliche Regelung sei weder sittenwidrig iSd § 879 Abs 1 ABGB, noch liege eine grob benachteiligende Vertragsbestimmung iSd § 879 Abs 3 ABGB vor.
Rechtliche Beurteilung
Die Klägerinnen vermögen keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.
Die Regelung des § 879 Abs 1 ABGB gilt nicht nur für Verträge, sondern auch für einseitige Rechtsgeschäfte, etwa Kündigungen (RIS‑Justiz RS0016534). Die Rechtswidrigkeit wegen Verstoßes gegen die guten Sitten ist nur dann zu bejahen, wenn eine Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen ergibt, oder wenn bei einer Interessenkollision ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die angegriffene Bestimmung verletzten und den durch sie geförderten Interessen besteht. Dies ist jeweils anhand der besonderen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0042881 [T6, T8]). Ob Sittenwidrigkeit vorliegt, ist daher nicht aufzugreifen, wenn das Berufungsgericht bei dieser Entscheidung die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens nicht überschritten hat (vgl 4 Ob 128/15z mwN; RIS‑Justiz RS0042881 [T8]).
Das Berufungsgericht hat ohnehin berücksichtigt, dass die Klägerinnen im Hinblick auf eine dauerhafte Vertragsbeziehung erhebliche Investitionen getätigt und Kredite aufgenommen haben, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses für sie keine Verhandlungsmöglichkeit über einzelne Vertragsbestimmungen bestand und sie in Ausübung ihres Geschäfts auf eine Vertragsbeziehung mit der beklagten Partei wirtschaftlich angewiesen sind. Demgegenüber hat das Berufungsgericht aber in vertretbarer Weise die von der beklagten Partei zu wahrenden Interessen ihrer Budgetbegrenzung und die Notwendigkeit der Anpassung bestehender Vertragsverhältnisse an geänderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen als Rechtfertigung für die die Klägerinnen benachteiligende relativ kurze Kündigungsfrist ins Treffen geführt, weil eine Begrenzung der Ausgaben in absehbarer Zeit ermöglicht werden müsste. Die Vereinbarung einer wesentlich längeren vertraglichen Kündigungsfrist, die dem wirtschaftlichen Interesse der Klägerinnen entspräche, würde die Reaktionsmöglichkeit der beklagten Partei (und damit die Interessen der Steuerzahler im Allgemeinen) sehr maßgeblich negativ beeinflussen. Eine die beklagte Partei als Gebietskörperschaft gegenüber einem Privatunternehmen privilegierende Betrachtung ist darin nicht zu sehen, weil auf analoge wirtschaftliche Interessen eines privaten Vertragspartners ebenfalls Rücksicht zu nehmen wäre (Kündigungsmöglichkeit bei unkalkulierbarer wirtschaftlicher Entwicklung).
Nach ständiger Rechtsprechung können Abweichungen vom dispositiven Recht unter Umständen schon dann eine gröbliche Benachteiligung iSd § 879 Abs 3 ABGB sein, wenn sich dafür keine sachliche Rechtfertigung ins Treffen führen lässt (vgl RIS‑Justiz RS0016914), jedenfalls aber dann, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in einem auffallenden Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht. Die Beurteilung, ob die Abweichung von der für den Durchschnittsfall getroffenen Norm sachlich gerechtfertigt ist, erfordert eine umfassende, die Umstände des Einzelfalls berücksichtigende Interessensabwägung, bezogen auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (5 Ob 205/13b mwN). Auch die in diesem Zusammenhang vorzunehmende auf den Einzelfall bezogene Beurteilung wirft ‑ von einer vom Obersten Gerichtshof im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifenden Fehlbeurteilung abgesehen ‑ keine erhebliche Rechtsfrage nach § 502 Abs 1 ZPO auf (vgl 3 Ob 109/14x).
Wenn die Revisionswerberinnen bemängeln, dass das Berufungsgericht nicht konkret genannt habe, welche vergleichbaren Regelungen für die Kündigungsfrist es als dem dispositiven Recht entsprechend angesehen habe, ist ihnen entgegenzuhalten, dass sie auch keine Normen anführen, welche die Vereinbarung einer einjährigen Kündigungsfrist als (zu ihrem Nachteil) vom dispositiven Recht abweichend erscheinen ließe. Die Auffassung des Berufungsgerichts ist schon deshalb nicht unvertretbar, zumal etwa § 21 Abs 1 HVertrG für die Kündigung des Handelsvertretervertrags selbst nach sechsjähriger Vertragsdauer ebenso eine bloß sechsmonatige Kündigungsfrist vorsieht wie § 1209 Abs 1 ABGB für die Aufkündigung einer Gesellschaft. Dass die Vereinbarung einer nicht allzu langen Kündigungsfrist im Hinblick auf die Finanzierungsmöglichkeiten der beklagten Partei in deren nachvollziehbarem wirtschaftlichen Interesse ist, wurde bereits oben erörtert. Die Begrenzung des die finanziellen Möglichkeiten der beklagten Partei übersteigenden Ausgabenwachstums erfordert es, im Bedarfsfall in absehbarer Zeit eine Verringerung der Ausgaben durch (Änderungs‑) Kündigung des Dauerschuldverhältnisses herbeizuführen. Es muss der beklagten Partei auch möglich sein, innerhalb absehbarer Zeit andere Vertragspartner zu suchen, die bereit und in der Lage sind, bestimmte Leistungen für ein geringeres Entgelt zu erbringen, als ein bisheriger Vertragspartner. Zu 4 Ob 134/12b wurde bereits ausgesprochen, dass der von den Klägerinnen behauptete Anspruch auf Abschluss von Leistungsverrechnungsverträgen mit von ihnen begehrten Tarifen nicht besteht und das beklagte Land im Rahmen allgemeiner privatautonomer Rechtsgestaltung daher frei ist, Vertragspartner zu suchen, die bestimmte Leistungen für bestimmte Entgelte zu erbringen bereit sind, und die Klägerinnen frei sind, Leistungen zu angebotenen Entgelten zu erbringen oder davon Abstand zu nehmen, wenn ihnen die angebotenen Entgelte nicht zumindest kostendeckend erscheinen.
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