OGH 11Os21/16x

OGH11Os21/16x22.3.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. März 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Margreiter, LL.B., als Schriftführerin in der Strafsache gegen Cemalettin K***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 2. Dezember 2015, GZ 42 Hv 80/14m‑59, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Cemalettin K***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 16. September 2013 in Wien Alexandra S***** mit Gewalt, durch Entziehung der persönlichen Freiheit und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 89 StGB) zur Duldung des Beischlafs und zur (US 3:) Vornahme einer diesem gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung, nämlich des Oralverkehrs, genötigt, indem er ihr in seiner Wohnung, deren Eingangstür er zuvor versperrt und deren Schlüssel er an sich genommen hatte, ein Stanleymesser gegen den Hals drückte, ihr Schläge versetzte und sie mit dem „Umbringen“ bedrohte.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Aus Z 4 reklamiert der Beschwerdeführer, das Erstgericht habe Anträgen auf Ladung und Vernehmung mehrerer Zeugen sowie auf Einholung eines „gerichtsmedizinischen Gutachtens und Untersuchung des pinken Pullovers der Frau S*****“ (vgl ON 24 S 4; ON 40 S 6), die er „in der Hauptverhandlung vom 13. 2. 2015“ und in der „HV vom 26. 6. 2015“ gestellt habe, zu Unrecht nicht entsprochen.

Dazu ist aus den Verfahrensakten festzuhalten, dass die Hauptverhandlung am 2. Dezember 2015 gemäß § 276a zweiter Satz StPO neu durchgeführt wurde (ON 58 S 3). Damit verloren alle in der früheren Verhandlung gestellten Anträge ihre Gültigkeit. Sie hätten, um als Grundlage der nunmehrigen Anfechtung dienen zu können, wiederholt werden müssen; ihre (bloße) gerichtliche Verlesung in der wiederholten Hauptverhandlung (vgl ON 58 S 13) erfüllte diese Voraussetzung nicht (RIS-Justiz RS0099049, RS0098869 [insbesondere T1, T6]). Schon weil der Angeklagte dies versäumte, schlägt seine darauf bezogene Verfahrensrüge fehl.

Das in den Beschwerdegründen enthaltene Begehren um „Ausforschung und Einvernahme der Zeugen O***** und M***** im Rechtsmittelverfahren“ verstößt gegen das Neuerungsverbot (RIS‑Justiz RS0106657, RS0098978 [T2, T9, T10]).

Die in der Hauptverhandlung am 2. Dezember 2015 (allerdings) gestellten Anträge (ON 58 S 11 f)

‑ auf „Einholung eines medizinischen Sachverständigen-Gutachtens zum Beweis dafür, dass basierend auf der Schilderung des Opfers, wonach sie mehrmals brutal geboxt wurde und ihr ferner bei der angeblichen oralen Vergewaltigung ein Stanleymesser mit der scharfen Seite derart an den Hals gelegt wurde, dass sie sogar die Kälte der Klinge spüren konnte, notwendigerweise oder höchstwahrscheinlich Verletzungen hätten resultieren müssen, unter anderem Hämatome sowie Schnittverletzungen in der Halsregion“ und

‑ auf „neuerliche Einvernahme des Opfers unter Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Aussagepsychologie, da sich in der Aussage des Opfers derartig viele krasse Widersprüche finden, dass eine psychologische Exploration erforderlich erscheint“,

verfielen ‑ entgegen der weiteren Verfahrensrüge (Z 4) ‑ zu Recht der Ablehnung.

Ersterer ließ nämlich (schon) nicht erkennen, inwieweit das angesprochene Beweisthema (Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Verletzungen des Opfers unter der Annahme des von diesem geschilderten Tathergangs) für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage von Bedeutung sein sollte (siehe aber RIS-Justiz RS0118444).

Die Hilfestellung von Sachverständigen zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen wiederum kommt nur ganz ausnahmsweise bei ‑ durch Beweisergebnisse aktenmäßig belegten ‑ Anhaltspunkten für solche psychischen Störungen in Betracht, die entweder erheblich sind und dem Grad des § 11 StGB nahekommen oder gegen die allgemeine Wahrnehmungs- und Wiedergabefähigkeit oder die Aussageehrlichkeit dieses Zeugen schlechthin sprechen (RIS‑Justiz RS0097733, RS0120634; Hinterhofer , WK‑StPO § 126 Rz 8). Solche Anhaltspunkte ersahen weder die Tatrichter (vgl prozessual Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 347; zur Bekämpfung solcher Annahmen RIS‑Justiz RS0118977) noch wurden sie mit dem zur Begründung des zweiten Antrags herangezogenen Hinweis auf die Widersprüchlichkeit von Angaben des Opfers ‑ aktenkonform ‑ aufgezeigt, sodass dieser auf im Stadium der Hauptverhandlung unzulässige Erkundungsbeweisführung abzielte ( Ratz , WK-StPO § 281 Rz 330 f).

Im Übrigen hat es der Antragsteller verabsäumt darzulegen, warum anzunehmen sei, dass sich die ‑ zur Mitwirkung an einer entsprechenden Befundaufnahme nicht verpflichtete ‑ Zeugin (die zum Zeitpunkt der Antragstellung zudem unbekannten Aufenthalts war [ON 45 S 5]) hierzu bereitfinden würde (RIS‑Justiz RS0118956; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 350).

Die Beweisanträge ‑ als Versuch nachträglicher Antragsfundierung ‑ ergänzendes Beschwerdevorbringen ist prozessual verspätet und daher unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099117, RS0099618).

Soweit es die Begründung der die Anträge abweisenden Zwischenerkenntnisse bemängelt, ist das Rechtsmittel ebenso wenig nach dem Prüfungsmaßstab des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes ausgerichtet (RIS-Justiz RS0116749; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 318).

Seine den Schuldspruch tragenden Feststellungen (US 2 f) stützte das Erstgericht vor allem auf die von ihm als glaubhaft erachtete Aussage der (einzigen unmittelbaren) Zeugin S***** (US 3).

Die Ausführungen sowohl zur Mängel- (Z 5) als auch zur Tatsachenrüge (Z 5a) sind erkennbar darauf angelegt, die Glaubwürdigkeit des Opfers zu erschüttern und so der leugnenden Verantwortung des Angeklagten zum Durchbruch zu verhelfen.

Ihrer Erledigung ist voranzustellen, dass die tatrichterliche Beurteilung der Überzeugungskraft von Personalbeweisen (also der Glaubwürdigkeit der Angaben von Zeugen und Angeklagten) ‑ so sie nicht undeutlich (Z 5 erster Fall) oder in sich widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) ist ‑ einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entrückt ist (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 431; RIS-Justiz RS0106588 [T13]). Sie kann allerdings unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat. Der Bezugspunkt besteht jedoch nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit, sondern ausschließlich in den Feststellungen über entscheidende - also für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage bedeutsame (RIS‑Justiz RS0117264; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 399 ff) ‑ Tatsachen (RIS‑Justiz RS0119422 [T2, T4]).

Solche Tatsachen wurden mit den vom Beschwerdeführer als „aktenwidrig“ (vgl Z 5 letzter Fall) und „an Willkür“ grenzend (vgl Z 5 vierter Fall) bekämpften beweiswürdigenden Erwägungen des Erstgerichts, das Verhältnis der Zeugin S***** zu ihrem Vater sei „nicht das innigste“ und sie sei „türkischer Abstammung“ (US 5), gerade nicht festgestellt.

Die weitere Mängelrüge beanstandet, das Erstgericht habe die Zeugenaussage des Vaters der S*****, wonach diese im November 2013 „wieder weg gelaufen“ sei, nachdem sie ihr Gehalt bekommen hatte (ON 8 S 7), „ignoriert“ (Z 5 zweiter Fall). Welcher Feststellung über welche entscheidende Tatsache dieses Verfahrensergebnis aus welchem Grund erörterungsbedürftig entgegenstehen sollte, lässt die Beschwerde offen.

Sinnfällig kein aktenwidriges Referat (nominell verfehlt Z 5a, inhaltlich Z 5 letzter Fall) einer Erwähnung der Großmutter der tatbetroffenen Zeugin, wonach diese „Drogen konsumiert“ (ON 30 S 1), liegt in der - darauf gar nicht bezugnehmenden - beweiswürdigenden Erwägung des Erstgerichts, die „Anschuldigung durch den Angeklagten“, S***** würde „Suchtgift verkaufen“, wirke „an den Haaren herbeigezogen“ (US 6). Im Übrigen ist weder entscheidend noch erheblich (zu den Begriffen Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 399 und 409), ob die Zeugin Suchtgiftkonsumentin oder ‑verkäuferin ist. Dem in diesem Zusammenhang erhobenen Vorwurf von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider durfte eine Erörterung des betreffenden Beweisergebnisses in den Urteilsgründen daher unterbleiben.

Wesen und Ziel der Tatsachenrüge (Z 5a) ist es, anhand aktenkundiger Umstände unter Beachtung sämtlicher Verfahrensergebnisse erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen aufzuzeigen.

Soweit sich der Beschwerdeführer darauf beschränkt, voneinander abweichende - übrigens vom Erstgericht in Befolgung des Gebots zu gedrängter Darstellung der Urteilsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) vollständig (Z 5 zweiter Fall) erwogene (US 4 bis 6) - Depositionen des Opfers zu verschiedenen, ausnahmslos keinen entscheidenden Aspekt betreffenden Umständen hervorzukehren, macht er solche Bedenken gar nicht geltend. Er verliert sich vielmehr in ‑ hier unzulässiger ‑ Beweiswürdigungskritik nach Art einer (im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld (RIS‑Justiz RS0099649 [insbesondere T10, T11]).

Weder der Umstand, dass „keine objektiven Spuren“ vorliegen und die Zeugin S***** „vaginal nicht untersucht“ wurde, noch die Aussage der Genannten, als Folge des Tatgeschehens (zwar Schmerzen, aber) keine äußerlich sichtbaren Verletzungen erlitten (ON 13 S 45) und ihre am Vorfallstag getragene Bekleidung „in der Zwischenzeit schon mehrmals gewaschen“ zu haben (ON 2 S 13 verso), noch die Schilderung ihres Vaters, sie habe, wenn er darüber „nochmal ins Detail genauer nachfragte“, „manches Mal ein wenig mit ihrer Antwort gebraucht“, „als ob sie sich erst etwas ausdenken müsse“ (ON 8 S 7), weckt beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen Feststellungen über entscheidende Tatsachen.

Die Konstatierungen zur Willensausrichtung des Angeklagten finden sich ‑ von der Beschwerde prozessordnungswidrig missachtet ‑ in US 3. Indem sie bloß die dazu angestellten tatrichterlichen Beweiswerterwägungen (US 7) kritisiert und diesen, obwohl sie sich gar keiner verba legalia bedienen, deren „substanzlose[n] Gebrauch“ vorwirft, verfehlt die Rechtsrüge (Z 9 lit a) den (im Urteilssachverhalt gelegenen) Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (RIS-Justiz RS0099810).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufungen folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Über den zugleich mit der Nichtigkeitsbeschwerde gestellten Antrag des Angeklagten auf Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 353 StPO) wird das Landesgericht für Strafsachen Wien als Senat von drei Richtern zu befinden haben (§ 31 Abs 6 Z 2 iVm § 357 StPO).

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