European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0130OS00098.15H.0309.000
Spruch:
In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in seinem Schuldspruch B und demzufolge auch im Strafausspruch aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht für Strafsachen Graz verwiesen.
Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Aufhebung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Miroslav D***** eines Finanzvergehens des Abgabenbetrugs nach §§ 33 Abs 1, „38 Abs 1“, 39 Abs 1 lit a „und b“ FinStrG (A III bis V) sowie jeweils mehrerer Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG (A I und II) und nach §§ 33 Abs 2 lit b, 38 Abs 1 FinStrG (B) schuldig erkannt.
Danach hat er im Zuständigkeitsbereich des Finanzamts Graz-Umgebung in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen,
(A) „im Zeitraum 2009 bis 2013“ vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht „(§§ 119 ff BAO)“ „jeweils durch die Geltendmachung fingierter Betriebsausgaben“ eine Verkürzung an Einkommensteuer für nachstehende Veranlagungsjahre bewirkt, und zwar
(I) 2007 um 37.141,57 Euro;
(II) 2008 um 60.326,59 Euro;
(III) 2009 um 80.658,78 Euro;
(IV) 2010 um 78.684,39 Euro;
(V) 2011 um 32.302 Euro,
„wobei er die zu Punkt III. bis V. angeführten, sohin ausschließlich durch das Gericht zu ahndenden Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach den §§ 33 Abs 1, 38 Abs 1 FinStrG unter Verwendung falscher Urkunden, und zwar unter Verwendung von Totalfälschungen von Rechnungen der H***** GmbH in einem Umfang von 329.275 Euro, sowie unter Verwendung von Scheingeschäften, und zwar tatsächlich nicht leistungsunterlegener Scheinrechnungen“ im Ersturteil näher bezeichneter Gesellschaften beging;
(B) „im Zeitraum Jänner 2007 bis Dezember 2010 in mehreren Angriffen für die im angeführten Zeitraum enthaltenen (monatlichen) Zeiträume“ unter Verletzung der Verpflichtung zur Führung von dem § 76 des Einkommensteuergesetzes 1988 entsprechenden Lohnkonten eine Verkürzung an Lohnsteuer und Dienstgeberbeiträgen zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen um 102.550,24 Euro bewirkt (ergänze [US 9]:) und dies nicht nur für möglich, sondern für gewiss gehalten.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die aus § 281 Abs 1 Z 2, 3, 4, 5, 5a, 9 lit a und 11 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
Die Mängelrüge (Z 5) zeigt zutreffend auf, dass für die Feststellungen zur Wissentlichkeit in Bezug auf das Bewirken der vom Schuldspruch B erfassten Abgabenverkürzungen (US 9) im angefochtenen Urteil überhaupt keine Gründe angegeben sind (Z 5 vierter Fall).
Dies führt zu dessen Aufhebung wie aus dem Spruch ersichtlich (§§ 285e, 289 StPO).
Soweit sich das verbleibende Vorbringen gegen die damit beseitigten Aussprüche wendet, hat es demnach auf sich zu beruhen.
Der gegen die Schuldsprüche A I bis V gerichteten Beschwerdekritik sei erwidert:
Ganz ohne Bezug auf ein bestimmtes (angeblich verlesenes) Protokoll oder anderes amtliches Schriftstück - und schon deshalb keiner sachlichen Erwiderung zugänglich (RIS-Justiz RS0124172) ‑ bleibt die aus Z 2 erhobene Kritik, die „Aussage“ des Amir I***** sei „offensichtlich verlesen“ worden, obwohl „der Zeuge“ „offensichtlich von den ermittelnden Beamten nicht über sein entsprechendes Aussageverweigerungsrecht informiert“ worden wäre. Abgesehen davon, dass der Genannte im Ermittlungsverfahren nicht als Zeuge, sondern als Beschuldigter vernommen wurde (ON 21 S 57), wird damit gar keine Nichtigkeit der betreffenden Beweisaufnahme (im Ermittlungsverfahren) behauptet. Selbst ein Verstoß gegen § 157 Abs 1 Z 1 StPO durch unvollständige Belehrung eines Zeugen über ein ihm wegen Selbstbezichtigungsgefahr zukommendes Zeugnisverweigerungsrecht wäre nämlich kein Gegenstand der Urteilsanfechtung aus Z 2 (oder 3) in einem (wie hier) nicht gegen diesen Zeugen selbst geführten Verfahren (vgl § 159 Abs 3 zweiter Satz StPO; RIS-Justiz RS0124907).
Dass die Niederschrift über die finanzstrafbehördliche Vernehmung des Ewald R***** (als Zeuge; ON 15 S 19 ff) in der Hauptverhandlung verlesen worden wäre, ist dem darüber aufgenommenen Protokoll (ON 33) nicht zu entnehmen. Es enthält vielmehr die Formulierung: „Verlesen wird der Gerichtsakt mit Ausnahme darin enthaltener Niederschriften“ (ON 33 S 21). Die Argumentation der Verfahrensrüge (Z 3), die „Aussage“ des R***** sei „entgegen den Bestimmungen des § 252 Abs 1 StPO“ „verlesen“ worden, orientiert sich nicht an diesem - ungerügt gebliebenen - Protokollsinhalt.
Weder der Umstand, dass Ewald R***** im Beweismittelverzeichnis der Anklageschrift (§ 211 Abs 2 erster Satz StPO; vgl Birklbauer/Mayrhofer , WK-StPO § 211 Rz 37) namentlich angeführt ist (ON 22 S 1 verso), noch, dass der staatsanwaltschaftliche Sitzungsvertreter den „Antrag“ auf Vernehmung des Genannten als Zeugen in der Hauptverhandlung „aufrecht“ erhalten und der Angeklagte darauf „nicht verzichtet“ hat (ON 33 S 20), berechtigt diesen für sich allein zur (nominell verfehlt auch aus Z 5, inhaltlich nur aus Z 4 unternommenen) Anfechtung des Unterbleibens der betreffenden Beweisaufnahme ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 310, 323 f; RIS-Justiz RS0099328).
Der in der Hauptverhandlung (allerdings) gestellte Antrag des Angeklagten auf zeugenschaftliche Vernehmung des Ewald R***** zum Beweis dafür, „dass die Firma D***** Subunternehmen beauftragt hat“ und ihre dafür geleisteten Zahlungen „auch eine Betriebsausgabe darstellen“ (ON 33 S 20), wiederum verfiel ‑ entgegen der weiteren Verfahrensrüge (Z 4) ‑ zu Recht der Ablehnung. Er ließ nämlich (schon) nicht erkennen, inwieweit das angesprochene Beweisthema für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage von Bedeutung sein sollte (siehe aber RIS‑Justiz RS0118444).
Vom Schöffengericht zutreffend abgewiesen wurden auch die Anträge des Angeklagten
‑ auf zeugenschaftliche Vernehmung des Enes M*****, des Marek T***** und des Zoran Z***** „zum Beweis der tatsächlichen Leistungserbringung der in der Anklageschrift angeführten Firmen, insbesondere der Firma M***** GmbH und dass diese Leistungen von diesen zu Recht verrechnet und bezahlt wurden und somit eine Betriebsausgabe im gegenständlichen Zeitraum darstellten“ (ON 33 S 18), und
‑ auf Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fach des Steuer- und Rechnungswesens zum Beweis dafür, dass „die in der Anklage angeführten Beträge“ „der Höhe nach zu hoch“ sind, die „Schätzung in unrichtiger Weise vorgenommen worden“ ist und „nicht eindeutig nachvollziehbar“ ist, „wie sich die strafbestimmenden Beträge errechnet haben“ und „zudem verschiedene Faktoren seitens der Behörde verwendet wurden, hinsichtlich derer dem Angeklagten nicht bekannt ist, ob diese Faktoren richtig oder zu Recht angesetzt worden sind“ (ON 33 S 18 f).
Denn ersterer legte nicht dar, warum die begehrten Beweisaufnahmen das behauptete Ergebnis hätten erwarten lassen (siehe aber RIS-Justiz RS0118444), während letzterer versäumte, im Beweisverfahren unausgeräumt gebliebene Mängel aus konkreten Details der Tatsachengrundlagen des finanzbehördlichen Schätzungsergebnisses abzuleiten; nur dann wäre deren Überprüfung durch einen Sachverständigen geboten gewesen (RIS-Justiz RS0087030; Lässig in WK 2 FinStrG § 33 Rz 56).
Die Beweisanträge - als Versuch nachträglicher Antragsfundierung - ergänzendes Beschwerdevorbringen ist prozessual verspätet und daher unbeachtlich (RIS-Justiz RS0099117, RS0099618).
Soweit es die Begründung der die Anträge abweisenden Zwischenerkenntnisse bemängelt, ist das Rechtsmittel ebenso wenig nach dem Prüfungsmaßstab des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes ausgerichtet (RIS-Justiz RS0116749; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 318).
Entgegen der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) kam der ‑ auch den Inhalt einer Aussage des I***** wiedergebende ‑ Bericht des Finanzamts Graz-Umgebung (ON 17 S 15) in der Hauptverhandlung vor (§ 258 Abs 1 StPO; ON 33 S 16, 21). Zu Recht hat daher das Erstgericht bei der Urteilsfällung auf ihn Rücksicht genommen (US 15 f).
Der weiteren Rüge zuwider sind die (die Schuldsprüche A tragenden) Feststellungen zur subjektiven Tatseite keineswegs unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall). Das Schöffengericht leitete sie vielmehr ‑ willkürfrei ‑ aus den in vernetzter Betrachtung einer Vielzahl von Verfahrensergebnissen erschlossenen (US 9 bis 16) äußeren Tatumständen (US 16 f), die (nur für die Schuldsprüche A I und II bedeutsamen) Konstatierungen zur gewerbsmäßigen Absicht überdies aus dem „mehrjährigen Deliktszeitraum“ ab (US 17).
Dem Vorwurf der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider ließ es dabei weder die leugnende Einlassung des Angeklagten (vgl US 9 bis 11) noch die Angaben des Zeugen Friedrich K***** unberücksichtigt. Es begründete im Übrigen, weshalb es ersterer den Glauben versagte (US 11 bis 18), zweiteren jedoch nichts abgewann, was die Schuld des Angeklagten in Frage gestellt hätte (US 18).
Indem die Tatsachenrüge (Z 5a) ‑ zudem ohne auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Erwägungen Bedacht zu nehmen (siehe aber RIS-Justiz RS0118780) ‑ die Verantwortung des Angeklagten und (ihn nach seiner Auffassung entlastende) Teile der Aussage des genannten Zeugen isoliert hervorkehrt, weckt sie beim Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken „gegen die Richtigkeit der Annahme des Begehens der Abgabenhinterziehung“.
Die ‑ Feststellungen zur subjektiven Tatseite vermissende ‑ Rechtsrüge (Z 9 lit a) negiert nur prozessordnungswidrig (RIS‑Justiz RS0099810) die genau dazu getroffenen (übrigens mit Mängelrüge erfolglos bekämpften) Urteilskonstatierungen (US 4 ff, 8).
In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher ‑ im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ‑ bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO bleibt anzumerken:
1. § 38 Abs 1 FinStrG ist gegenüber § 39 FinStrG ausdrücklich subsidiär („wer ohne den Tatbestand […] des § 39 zu erfüllen“ in § 38 Abs 1 erster Satz FinStrG; dazu Lässig in WK 2 FinStrG § 39 Rz 19, 21).
Es war daher verfehlt, die von der nach § 39 Abs 1 FinStrG gebildeten Subsumtionseinheit umfassten Taten (A III bis V) auch der Qualifikationsnorm des § 38 Abs 1 FinStrG zu unterstellen.
2. Nach den Tatsachenfeststellungen hat der Angeklagte seine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2007 im Jahr 2009 und jene für das Jahr 2008 im Jahr 2010 erstattet (US 6). Die von den Schuldsprüchen A I und A II erfassten Finanzvergehen (§ 33 Abs 1 FinStrG) wurden daher im zeitlichen Geltungsbereich des § 38 Abs 1 FinStrG idF BGBl I 2005/103 begangen. Anstatt sie ‑ wie nach § 265 Abs 1p zweiter Satz FinStrG jedoch geboten ‑ der jeweiligen Tatzeitfassung dieser Bestimmung zu unterstellen, subsumierte das Erstgericht beide Taten jeweils der Qualifikationsnorm des § 38 Abs 1 FinStrG in der zum Urteilszeitpunkt geltenden Fassung BGBl I 2012/112.
3. Mangels eines über die solcherart verfehlte Subsumtion (Z 10) hinausgehenden konkreten Nachteils für den Angeklagten (im Sinn des § 290 Abs 1 zweiter Satz StPO) hat es mit diesem Hinweis (Punkte 1. und 2.) des Obersten Gerichtshofs sein Bewenden. Bei der Fällung seines Ergänzungsurteils (vgl RIS-Justiz RS0098685, RS0100041) im zweiten Rechtsgang ist das Erstgericht insoweit - aufgrund dieses Hinweises - an seinen eigenen Ausspruch über das anzuwendende Strafgesetz nicht gebunden (RIS-Justiz RS0129614 [T1]).
Hinzugefügt sei, dass ein „Scheingeschäft“ im Sinn der lit b des § 39 Abs 1 FinStrG dann vorliegt, wenn sich die Parteien (schon) beim Abschluss eines Vertrags dahingehend geeinigt haben, dass das offen geschlossene Geschäft nicht oder nicht so gelten soll, wie die Erklärungen lauten ( Lässig in WK 2 FinStrG § 39 Rz 9 mwN).
Die Urteilsaussage, die Taten laut Schuldspruch A III bis V seien „unter Verwendung von Scheingeschäften“ begangen worden (US 6 f), bleibt insoweit ohne Sachverhaltsbezug (RIS-Justiz RS0119090); die dazu festgestellte Verbuchung und Verwendung von „Scheinrechnungen“ bestimmter Unternehmen (US 6 f, 15 ff) erfüllt dieses Tatbestandsmerkmal nicht. Vielmehr liegt darin die Verwendung falscher Beweismittel (dazu Kirchbacher in WK 2 StGB § 147 Rz 36), die - wie die Verwendung falscher Urkunden („Totalfälschungen von Rechnungen“, US 5, 14 f) - ebenfalls nach § 39 Abs 1 lit a FinStrG zu beurteilen ist. In Betreff dieser ‑ zu Recht § 39 Abs 1 lit a FinStrG unterstellten ‑ Taten hat das Erstgericht daher (wiewohl im Hinblick auf die rechtliche Gleichwertigkeit der Begehungsformen [13 Os 82/15f] unter dem Aspekt der Z 10 unschädlich, so doch) verfehlt auch lit b dieser Bestimmung als verwirklicht angesehen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)