OGH 14Os137/15a

OGH14Os137/15a8.3.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 8. März 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Schönmann als Schriftführer in der Strafsache gegen Mario B***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 129 Z 1, 130 vierter Fall StGB (idF vor BGBl I 2015/112) und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 25. September 2015, GZ 017 Hv 75/15v‑27, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerden wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung der dem Schuldspruch A zugrunde liegenden Tat auch nach §§ 129 Z 1, 130 vierter Fall StGB (idF vor BGBl I 2015/112) sowie demzufolge im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien

verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mario B***** des Verbrechens des gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls (in der Begehungsform des „Einsteigens“) nach §§ 127, 129 Z 1, 130 vierter Fall StGB idF vor BGBl I 2015/112 (A) und des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (B) schuldig erkannt.

Danach hat er am 28. Juli 2015 in W*****

(A) mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Diebstahl durch Einbruch eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, Rajko S***** einen Fernseher, ein Paar Schuhe, zwei Taschen, einen Rucksack, zwei Armbanduhren, zwei Geldbörsen, Handschuhe, eine Kombizange, einen Kreuzschraubenzieher, ein Taschenmesser, diverses Werkzeug, zwei Warnwesten und einen Enteiser im Gesamtwert von etwa 1.000 Euro durch Einbruch in einen Kastenwagen (US 3) weggenommen, „indem er in das Fahrzeug unter Veränderung der Körperhaltung einstieg“;

(B) eine Urkunde, über die er nicht verfügen durfte, nämlich den Reisepass des Rajko S*****, mit dem Vorsatz unterdrückt, zu verhindern, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache, nämlich der Identität des Genannten, gebraucht werde.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die rechtliche Unterstellung der dem Schuldspruch A zugrunde liegenden Tat (auch) nach § 129 Z 1 und 130 vierter Fall StGB richten sich die von der Staatsanwaltschaft zu Gunsten des Angeklagten auf § 281 Abs 1 Z 10 StPO erhobenen und vom Angeklagten auf § 281 Abs 1 Z 5 und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerden.

Beiden Rechtsmitteln kommt Berechtigung zu.

Nach den insoweit wesentlichen Urteilsannahmen versuchte der Angeklagte die aufgebogene seitliche Schiebetüre eines am Straßenrand abgestellten Fahrzeugs zuzudrücken, worauf sich diese aus der Verankerung löste. Durch die dadurch entstandene Öffnung stieg er daraufhin „in den Kastenwagen hinein, auf die Ladefläche“ und „zwängte sich (über die Kopfstützen, US 9) zum Teil nach vorne in die Fahrerkabine“. Er gelangte dadurch mit seinem Arm zum Armaturenbrett, auf dem sich eine Tasche (beinhaltend jedenfalls den Reisepass und zwei Uhren des Rajko S*****) befand, welche er ebenso an sich nahm wie die übrigen im Spruch genannten Wertgegenstände. Dass die seitliche Schiebetüre „bei Eintreffen des Angeklagten noch fest verschlossen bzw unversehrt war“, konnte nicht festgestellt werden. Mario B***** hielt es ernstlich für möglich und fand sich damit ab, „zur Begehung der Tat in ein Transportmittel einzusteigen und unter Veränderung seiner Körperhaltung die Tasche samt Inhalt vom Armaturenbrett einem anderen wegzunehmen und sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern“. Darüberhinaus handelte er in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von Diebstählen durch Einbruch „eine wirksame fortlaufende Einkommensquelle“ über einen längeren Zeitraum von zumindest einigen Wochen zu verschaffen (US 3 f).

Die rechtliche Annahme der Begehung eines (von den Tatrichtern angenommenen) Einsteigdiebstahls im Sinn des § 129 Z 1 StGB idF vor BGBl I 2015/112 (vgl nunmehr § 129 Abs 1 Z 1 StGB) setzt ‑ insoweit vom Erstgericht richtig erkannt ‑ das Benützen einer zum Eintritt nicht bestimmten Öffnung voraus, die ein normales Eintreten nicht gestattet, sodass es zum Hineingelangen einer nicht ganz unerheblichen Veränderung der gewöhnlichen Körperhaltung oder einer gewissen Anstrengung bedarf (RIS‑Justiz RS0093722, RS0093761).

Zutreffend weisen die Subsumtionsrügen darauf hin, dass der Angeklagte vorliegend durch die Seitentür des Kastenwagens in das Innere des Transportmittels gelangte, welche ‑ entgegen der Auffassung der Tatrichter anders als die Heckklappe eines PKW (vgl dazu 13 Os 171/93; 11 Os 58/92, 11 Os 59/92, SSt 61/105; 12 Os 79/90; Fabrizy, StGB12 § 129 Rz 7) ‑ gerade dazu bestimmt ist, den Innenraum des Fahrzeugs (wenn auch allenfalls zum Zweck der Beladung) zu betreten. Hiezu bedarf es darüberhinaus bloß einer mit dem Einsteigen in ein Fahrzeug notwendigerweise verbundenen und sohin nicht erheblichen Veränderung der Körperhaltung und keiner besonderen Anstrengung.

Die nach den Urteilsannahmen erst nach dem Betreten des Kastenwagens erfolgte „Veränderung der Körperhaltung“, um über die Kopfstützen (der Vordersitze) mit dem Arm zum Armaturenbrett zu gelangen, vermögen das Tatbildmerkmal des „Einsteigens“ schon begrifflich nicht zu begründen und rechtfertigen die Annahme der Qualifikation des § 129 Z 1 StGB demgemäß gleichfalls nicht.

Die aufgezeigte unrichtige Gesetzesauslegung macht die Aufhebung des Urteils in der rechtlichen Beurteilung des dem Schuldspruch A zugrunde liegenden Urteilssachverhalts nach § 129 Z 1 StGB sowie nach § 130 vierter Fall StGB (jeweils idF vor BGBl I 2015/112) bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) erforderlich. Ein

Eingehen auf die

gegen die Annahme der letztgenannten Qualifikation gerichtete Mängelrüge des Angeklagten erübrigt sich daher.

Eine sofortige Entscheidung in der Sache (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Fall StPO) war jedoch der Ansicht der Staatsanwaltschaft zuwider nicht zu treffen.

Denn weder erlauben die oben zitierten Urteilsannahmen (insbesondere jene, nach denen nicht festgestellt werden konnte, dass bei Eintreffen des Angeklagten die seitliche Schiebetüre des Kastenwagens „noch fest verschlossen bzw unversehrt war“ [US 3]; vgl auch die im Rahmen der Beweiswürdigung angestellten Überlegungen [„ordentlich verschlossen“, „fehlerfreies Absperren“; US 5]) eine abschließende Verneinung des Vorliegens eines Diebstahls in der Begehungsform des „Einbrechens“ im Sinn des § 129 Abs 1 Z 1 StGB noch eine Tatbeurteilung nach § 130 Abs 1 erster Fall oder Abs 2 zweiter Fall StGB (jeweils idF BGBl I 2015/112). Nach der durch das Strafrechtsänderungsgesetz 2015 (BGBl I 2015/112) geänderten ‑ nach Aufhebung des Urteils im eben dargelegten Umfang aufgrund des Günstigkeitsvergleichs nach § 61 StGB anzuwendenden (§ 323 Abs 2 StGB) ‑ Bestimmung des § 70 StGB setzt die Annahme von Gewerbsmäßigkeit nämlich nunmehr (unter anderem) voraus, dass sich der Täter durch die wiederkehrende Begehung (hier:) von Diebstählen (oder schweren Diebstählen nach § 129 Abs 1 StGB) längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges, das heißt nach einer jährlichen Durchschnittsbetrachtung ein monatlich den Betrag von 400 Euro übersteigendes, fortlaufendes Einkommen zu verschaffen beabsichtigt (§ 70 Abs 1 und Abs 2 StGB idgF), wozu das Urteil keine Feststellungen trifft.

Die der Anklage zugrunde liegenden Taten fallen mit Blick auf die in § 130 StGB idF BGBl I 2015/112 normierten Strafdrohungen ‑ ungeachtet der missverständlichen Anordnung einer Sonderzuständigkeit des Schöffengerichts für „das Verbrechen des gewerbsmäßig schweren Diebstahls (§ 130 zweiter Satz erster Fall StGB)“ in § 31 Abs 3 Z 6a StPO idF BGBl I 2015/112, mit dem ersichtlich nur nach § 130 Abs 2 erster Fall StGB qualifizierte Diebstähle angesprochen werden sollten (vgl auch die geplante Beseitigung dieses „Redaktionsversehens“ mit Strafprozessänderungsgesetz 2015/ 171/ME 25. GP, 2 und Erl S 7) ‑ nunmehr in die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichters (§ 31 Abs 4 Z 1 StPO).

Deshalb war die Sache in sinngemäßer Anwendung des § 288 Abs 2 Z 3 letzter Satz StPO im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang an diesen zu verweisen (vgl RIS‑Justiz RS0100318, RS0100271).

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Kassation des Strafausspruchs zu verweisen.

Der Ausspruch über die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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