OGH 8Ob143/15k

OGH8Ob143/15k19.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Brenn und die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Republik Österreich, *****, vertreten durch die Finanzprokuratur, *****, gegen die beklagte Partei L***** P*****, vertreten durch Mag. Christopher Schmied, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Feststellung, Entfernung, Duldung und Unterlassung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 8. Oktober 2015, GZ 22 R 285/15p‑60, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hallein vom 29. Juli 2015, GZ 2 C 977/10k‑56, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben; die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Begründung

Die klagende Partei ist Eigentümerin der Grundstücke 335 und 336 EZ *****; der Beklagte ist Eigentümer der angrenzenden Grundstücke 338 und 339 EZ *****. Beim Grundstück 335 handelte es sich um einen Weg samt Bankett. Am 8. 10. 1971 trafen die Streitteile eine Vereinbarung über den Grenzverlauf in Bezug auf das Grundstück 335. Danach richtet sich der Grenzverlauf nach der Vermessung des beeideten Zivilgeometers DI F***** (Beilage ./B); nach Maßgabe dieser Vermessung wurden auch Grenzsteine gesetzt.

Im Jahr 1987/1988 wurde im fraglichen Bereich die Postalmstraße ausgebaut. Nach Beendigung dieser Arbeiten fehlten die ursprünglichen Grenzsteine. Im Zuge der Errichtung der Postalmstraße fanden Gespräche zwischen den Streitteilen über den Grenzverlauf statt. Ob dazu eine Vereinbarung zustande gekommen ist, kann nicht festgestellt werden. Im Sommer 2009 ließ die klagende Partei den Vermessungsplan des Zivilgeometers DI F***** aus dem Jahr 1971 rekonstruieren. Der Beklagte akzeptierte die zu diesem Zweck abgesteckten Grenzpflöcke nicht.

Die klagende Partei begehrte die Feststellung, dass bestimmte in einem angeschlossenen Lageplan rot eingefärbten Flächen zu den Grundstücken 335 bzw 336 gehören und daher in ihrem Eigentum stehen. Weiters begehrte sie die Entfernung eines vom Beklagten errichteten Zauns, der sich auf dem Grundstück 335 befinde, die Duldung der Rückversetzung von Grenzsteinen und der Neuvermarkung von Grenzpunkten laut beigeschlossenem Lageplan sowie die Unterlassung der Errichtung von Zäunen und der Versetzung von Grenzsteinen samt gleichartiger Störungshandlungen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze. Schließlich erhob sie auch ein Zahlungsbegehren, das sie zwischenzeitlich aber fallen gelassen hat. Die Grenze zwischen den fraglichen Grundstücken sei aufgrund einer Vereinbarung im Jahr 1971 einvernehmlich festgelegt worden. Im Jahr 1987/1988 sei der über das Grundstück 335 verlaufende Güterweg zu einer Straße ausgebaut worden. Im Zuge dieser Bauarbeiten seien die im Jahr 1971 gesetzten Grenzsteine entfernt worden. Der Beklagte habe die Nutzung seiner Grundstücke über die Grundstücksgrenze hinaus ausgedehnt und auf dem Grundstück 335 entlang des neuen Straßenrandes einen Drahtzaun mit Holzpflöcken errichtet. Eine weitere Vereinbarung sei mit dem Beklagten nicht getroffen worden.

Der Beklagte entgegnete, dass anlässlich der Errichtung der Postalmstraße zwischen den Streitteilen der Grenzverlauf besprochen worden sei. Dabei sei vereinbart worden, dass die Grenze entlang der neu errichteten Postalmstraße verlaufen solle. Der Grenzverlauf ergebe sich aus der Natur entsprechend dem Verlauf der Postalmstraße. Grenzsteine habe er weder entfernt noch versetzt. Der Grenzverlauf, wie ihn DI F***** im Jahr 1971 festgehalten habe, sei heute nicht mehr herstellbar.

Das Erstgericht wies das gesamte Klagebegehren ab. Mit der Vereinbarung im Jahr 1971 sei eine Anpassung der Grenze an die in der Natur vorgegebenen Verhältnisse erfolgt. Damit sei durch Vereinbarung eine abweichende (neue) Grenze festgelegt worden. Eine solche schuldrechtliche Vereinbarung führe nicht zu einer neuen Eigentumsgrenze. Eine solche könne erst durch die grundbücherliche Ab‑ und Zuschreibung der Teilflächen entstehen. Aufgrund eines Verstoßes gegen das Eintragungsprinzip seien die Eigentumsverhältnisse im Jahr 1971 nicht verändert worden. Die Klagebegehren seien daher abzuweisen gewesen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Da die Grundstücke noch nicht im Grenzkataster eingetragen seien, schaffe die koordinative Dokumentation der (Papier‑)Grenzen in der Katastralmappe keinen vollen Beweis über die Grenzsituation. Dafür sei vielmehr der Wille der Parteien maßgebend, der sich vor allem in sichtbaren natürlichen Grenzen manifestiere. Im Anlassfall sei zu berücksichtigen, dass sich das Nutzungsverhalten seit der Errichtung der Postalmstraße grundlegend geändert habe. Die heutige Naturgrenze stimme nicht mehr mit der im Jahr 1971 vorhandenen Naturgrenze überein. Es sei daher davon auszugehen, dass nach dem Willen der Parteien die gegenständlichen Grundstücksteile nicht zur Liegenschaft der klagenden Partei gehören sollen. Das Erstgericht habe die Klage daher zu Recht abgewiesen. Die klagende Partei sei auf das außerstreitige Grenzfestsetzungsverfahren nach §§ 850 f ABGB zu verweisen.

Über Antrag der klagenden Partei nach § 508 ZPO sprach das Berufungsgericht nachträglich aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die Ausführungen im Moniturantrag erwiesen sich insofern als stichhaltig, als zur Frage, ob der Nachweis eines Grenzverlaufs trotz inzwischen veränderter Naturgrenze auch durch eine Rekonstruktion nicht mehr vorhandener Grenzzeichen auf der Grundlage historischer Vermessungsdaten erbracht werden könne, höchstgerichtlicher Rechtsprechung fehle.

Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der klagenden Partei, die auf eine Stattgebung des Feststellungs‑, des Entfernungs‑, des Duldungs‑ und des Unterlassungsbegehrens abzielt. Das Zahlungsbegehren wurde von der klagenden Partei fallen gelassen.

Mit seiner Revisionsbeantwortung beantragt der Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Entscheidung der Vorinstanzen einer Korrektur durch den Obersten Gerichtshof bedarf. Sie ist im Sinn eines Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1.1 Die klagende Partei stützt sich hinsichtlich des eigentumsrechtlichen Grenzverlaufs auf die im Jahr 1971 einvernehmlich festgelegte und damals vermessene und vermarkte Grenze. Dazu hat sie konkret vorgebracht, dass es sich beim Grundstück 335 um einen Weg samt Bankett gehandelt habe, der in der Natur seit jeher ein Stück weiter nördlich verlaufen sei, als es der Mappengrenze des Grundstücks 335 entsprechen würde. Im Jahr 1971 sei daher eine Vermessung der Grundstücksgrenzen durchgeführt und die Grenze so festgelegt worden, wie sie in dem der Klage angeschlossenen Lageplan ersichtlich sei. Darüber sei am 8. 10. 1971 eine Vereinbarung zwischen den Parteien getroffen worden; zudem seien entsprechende Grenzsteine gesetzt worden.

Mit diesem Vorbringen brachte die klagende Partei zum Ausdruck, dass die Mappengrenzen nicht richtig sein, die Naturgrenze maßgeblich sei und eine Einigung der Parteien über den Verlauf der Naturgrenze vorliege. Die zugrunde liegenden Ausführungen der klagenden Partei sind dahin zu verstehen, dass die eigentumsrechtliche Grenze durch die Vereinbarung aus dem Jahr 1971 klargestellt wurde. Dieses Vorbringen bezieht sich damit auf die richtige Grenze laut Grundbuchsstand. Die klagende Partei behauptet demnach nicht, dass im Jahr 1971 ein neuer (abweichender) Grenzverlauf festgelegt worden sei.

1.2 Auf dieses Vorbringen der klagenden Partei erwiderte der Beklagte, dass der Güterweg im Jahr 1987/1988 zur Postalmstraße ausgebaut worden sei. Dabei sei die Straßenführung verlegt worden. Zwischen den Streitteilen sei besprochen worden, dass die Grenze entlang der neu errichteten Postalmstraße verlaufen solle. Der (neue) Grenzverlauf sei in der Natur durch den Straßenverlauf vorgegeben gewesen. Beide Seiten seien mit diesem Grenzverlauf einverstanden gewesen. Es sei somit zwischen den Streitteilen eine neue Vereinbarung hinsichtlich des Grenzverlaufs getroffen und ausdrücklich vereinbart worden, dass die (neue) Grenze entlang des Straßenrandes der Postalmstraße verlaufen solle. Dieser Zustand habe mittlerweile 23 Jahre lang Bestand.

2.1 Besteht Streit über den eigentumsrechtlichen Grenzverlauf, so ist die richtige Grenze laut aktuellem Grundbuchsstand festzustellen. Dabei ist nicht auf die Mappengrenzen abzustellen. Sind die Grundstücksgrenzen nicht im Grenzkataster eingetragen und besteht zwischen den Grundnachbarn keine Einigkeit, so bestimmt sich der eigentumsrechtliche Grenzverlauf nach unbedenklichen objektiven Grenzzeichen (Grenzsteine, Metallmarken, Grenzpflöcke) oder nach der Naturgrenze (Mauern, Zäune, Bäume, Böschungskanten, natürliche Grenzlinien, langjähriger ruhiger Besitzstand; siehe dazu RIS‑Justiz RS0049554).

2.2 Wie bereits ausgeführt, beruft sich die klagende Partei hinsichtlich der eigentumsrechtlichen Grenze auf die Vereinbarung aus dem Jahr 1971. Nach den Feststellungen wurde eine derartige Vereinbarung nach Maßgabe der Vermessung und Vermarkung durch DI F***** (laut Beilage ./B) am 8. 10. 1971 tatsächlich getroffen.

Der Beklagte hat das Vorbringen der klagenden Partei zu dieser eigentumsrechtlichen Grenze nicht bestritten. Es ist daher von einer Einigkeit der Parteien über den Verlauf der ursprünglichen (richtigen) Grenze sowie davon auszugehen, dass sich dieser Grenzverlauf nach der Vereinbarung aus dem Jahr 1971 richtet. Der vom Erstgericht diskutierten Einverleibungsproblematik (vgl 6 Ob 256/10f zur einvernehmlichen Festlegung der Grenze nach § 25 VermG) kommt daher keine Bedeutung zu.

2.3 Zu der vom Beklagten behaupteten Vereinbarung über einen neuen Grenzverlauf anlässlich der Errichtung der Postalmstraße im Jahr 1987/1988 hat das Erstgericht eine Negativfeststellung getroffen. Ebenso wenig konnte festgestellt werden, ob es später, konkret in den Jahren 1991 bis 1993, zu einer Vereinbarung über einen abweichenden Grenzverlauf gekommen ist. Für die Festlegung eines neuen Grenzverlaufs mangelt es damit an einer Grundlage, weshalb sich der Beklagte nicht darauf stützen kann.

3.1 Damit ist der eigentumsrechtliche Grenzverlauf laut aktuellem Grundbuchsstand geklärt. Dieser richtet sich nach der Vereinbarung vom 8. 10. 1971 und der zugrunde liegenden Vermessung durch DI F***** (Beilage ./B).

3.2 Kann auf Basis der Vermessungsunterlagen von DI F***** aus dem Jahr 1971 die richtige Grenze rekonstruiert und in die Natur übertragen werden, so kann auch eine entsprechende Feststellung und Vermarkung der richtigen Grenze erfolgen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts stellt sich die Frage einer außerstreitigen Grenzerneuerung (bloße Erneuerung der Markierung) oder Grenzberichtigung (Neufestsetzung der Grenze, weil der richtige Verlauf nicht beweisbar ist; siehe dazu Sailer in KBB 4 § 851 ABGB Rz 5) in diesem Verfahren nicht.

4. Im vorliegenden Fall haben sich die Vorinstanzen aufgrund ihrer unrichtigen Rechtsansicht mit dem Grenzverlauf laut Vereinbarung vom 8. 10. 1971 nicht befasst und dazu keine Feststellungen getroffen. Aufgrund relevanter sekundärer Feststellungsmängel waren die Entscheidungen der Vorinstanzen in Stattgebung der Revision aufzuheben.

Im fortgesetzten Verfahren wird insbesondere zu klären sein, ob der Lageplan, der dem modifizierten Klagebegehren (ON 42) zugrunde liegt, der Vermessung von DI F***** aus dem Jahr 1971 entspricht und im Klagebegehren über die Feststellung des Eigentums (bzw des richtigen Grenzverlaufs) die richtigen Grenzpunkte angeführt sind. Es wird auch klarzustellen sein, ob es sich bei dem Güterweg, der im Jahr 1987/1988 zur Postalmstraße ausgebaut wurde, um den Weg auf dem Grundstück 335 gehandelt hat. Schließlich wird eine Prüfung der weiteren Begehren stattzufinden haben und zu klären sein, auf welchen Grundstücken sich der vom Entfernungsbegehren erfasste Zaun befindet, von wem dieser Zaun errichtet wurde, sowie ob der Beklagte ursprünglich (im Jahr 1971) errichtete Grenzsteine entfernt hat.

Das Unterlassungsbegehren wäre im Hinblick auf tatsächliche Eingriffshandlungen des Beklagten und die Fassung des Begehrens („an der Grenze“) mit der klagenden Partei zu erörtern. Festgehalten wird, dass die klagende Partei das Zahlungsbegehren fallen gelassen hat.

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