OGH 4Ob104/15w

OGH4Ob104/15w15.12.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

 Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen V***** S*****, geboren am ***** 2004, in Pflege und Erziehung bei der Mutter D***** S*****, vertreten durch Doschek Rechtsanwalts GmbH in Wien, Vater: A***** S*****, vertreten durch Mag. Markus Adam, Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 15. April 2015, GZ 42 R 135/15m‑190, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 6. Februar 2015, GZ 3 Ps 310/10y‑186, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0040OB00104.15W.1215.000

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos behoben.

 

Begründung:

Zwischen den Eltern ist im Zusammenhang mit der Regelung der Besuchskontakte des Vaters zur Minderjährigen ein bereits jahrelang geführter Rechtsstreit anhängig. Zuletzt wies das Erstgericht den Antrag der Mutter ab, die Besuchskontakte des Vaters zur Minderjährigen auszusetzen. Es traf dazu ua folgende Feststellungen:

Der Vater ist nach wie vor eine bedeutsame Bezugsperson für die Minderjährige. Zwischen ihnen besteht ein inniges Naheverhältnis. Die Ablehnungshaltung des Kindes den Vater betreffend geht wesentlich auf die Beeinflussung durch die Mutter zurück. Zwischen den Eltern besteht weiterhin ein massiver Elternkonflikt, der dem Kind einen unbeschwerten Zugang zum Vater erschwert. Die Gesprächsbasis zwischen den Eltern ist erheblich gestört. Die Mutter steht dem Vater ablehnend gegenüber und ist vom Wunsch des Kindes überzeugt, dass auch dieses den Vater nicht mehr sehen will. Sie vermittelt dem Kind, Furcht vor dem Vater haben zu müssen. In diesem Sinne wird das Kind von der Mutter emotional manipuliert und in eine Ablehnungshaltung den Vater betreffend gedrängt. Dies entspricht weder den altersentsprechenden Bedürfnissen, noch der eigentlichen Beziehung des Kindes zum Vater.

Der Vater beantragte am 12. 2. 2013, die Obsorge über das Kind künftig beiden Eltern gemeinsam zuzuerkennen. Das Verfahren dazu ist offen.

Im Rahmen einer Vorsprache beim Erstgericht am 13. 1. 2015 hielt der Vater den Antrag auf gemeinsame Obsorge beider Eltern aufrecht. Er gab dazu an, es gehe ihm im Wesentlichen um Informationen. Derzeit wisse er gar nichts und bekomme freiwillig von der Mutter, die ihn gänzlich ausgrenze und wegschiebe, keine Information. Er habe durch sein zuletzt gezeigtes Verhalten, freiwillig von den für das Kind belastenden Besuchskontakten Abstand zu nehmen, gezeigt, dass er mit (seinen) Rechten keinen Missbrauch treibe.

Die Mutter äußerte sich ablehnend zum Obsorgeantrag des Vaters und wendete ein, es sei befremdlich, dass sich der Vater über ein Jahr lang nicht bei der Mutter oder dem Kinderbeistand über das Befinden seiner Tochter erkundigt habe und stattdessen zu Gericht gehe, um sich zu beschweren. Er habe während des gesamten letzten Jahres „keinen Ton von sich gegeben“, weder seiner Tochter eine Karte zum Geburtstag oder zu Weihnachten geschickt, noch sonst versucht, irgendetwas von ihr zu hören. Sie bot unpräjudiziell an, dem Vater Informationen und Fotos zu schicken, falls sie von ihm eine E-Mail-Adresse bekomme.

Das Erstgericht räumte dem Vater mit Beschluss gemäß § 107 Abs 2 AußStrG amtswegig folgende im Rechtsmittelverfahren noch strittige Informationsrechte ein:

1. Der Vater ist berechtigt, sich eigenständig Informationen über die Schule und den Schulerfolg [der Minderjährigen] einzuholen, mit Lehrern zu sprechen und zu Elternsprechtagen zu gehen.

2. Er ist berechtigt, im Fall eines Krankenhausaufenthaltes, sich währenddessen oder im Nachhinein Informationen über den Gesundheitszustand von den behandelnden Ärzten einzuholen und in die Krankengeschichte Einsicht zu nehmen.

 

Der Vater habe seit September 2013 die Besuchskontakte zur Minderjährigen eingestellt, um Druck von ihr zu nehmen, nicht etwa, weil er kein Interesse mehr an ihr habe. Er argumentiere glaubhaft, es ginge ihm nicht darum, über die Obsorge beider Eltern Druck auf die Mutter auszuüben, sondern sehe sich hilflos und gänzlich aus dem Leben seines Kindes ausgegrenzt. Das Gericht räume ihm daher als einstweilige Regelung im Sinne des § 107 Abs 2 AußStrG die genannten Informationsrechte ein. Er solle damit die Möglichkeit haben, sich diese Informationen zu verschaffen und dann in der Art und Weise, wie er mit seinen Rechten umgehe, zeigen, ob die Besorgnisse der Mutter, er würde dies nur als Machtinstrument benützen, begründet oder unbegründet seien.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei. Mit dem KindNamRÄG 2013 habe der Gesetzgeber das gerichtliche Instrumentarium in Verfahren über die Obsorge und die persönlichen Kontakte deutlich erweitert und dem Interesse des Kindes an Fürsorge und Wohlergehen den Vorrang gegenüber dem Anspruch der Eltern auf Umsetzung ihrer Vorstellungen über inadäquate Erziehung und Förderung des Kindes und über die Konfliktaustragung in der familiären Krisensituation eingeräumt. Das Gericht könne nunmehr gemäß § 107 Abs 3 AußStrG zur Sicherung des Kindeswohls konkrete Aufträge und Verbote an die Eltern aussprechen und erforderlichenfalls mit Zwangsmitteln nach § 79 AußStrG durchsetzen. Das gesamte Verfahren habe ergeben, dass der Vater Interesse an seiner Tochter habe und es ihm keineswegs bloß um die Durchsetzung von Rechten gehe, die Mutter aber ‑ abgesehen von ihrer nunmehr behaupteten Bereitschaft, dem Vater Informationen zukommen zu lassen ‑ keine besondere Bereitschaft zeige, zur gemeinsamen Lösung des Konflikts entsprechend beizutragen. Selbst wenn der Vater in letzter Zeit infolge der vehementen Ablehnung der Mutter „falsch“ reagiert haben sollte, bestehe kein Grund dafür, ihm keine Informationsrechte einzuräumen.

In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs macht die Mutter geltend, die Rechtsauffassung des Rekursgerichts sei unvertretbar, weil nach § 189 Abs 1 Z 1 ABGB der nicht mit der Obsorge betraute Elternteil durch die mit der Obsorge betraute Person von wichtigen Angelegenheiten zu verständigen sei und nicht durch Dritte. Zu dieser Gesetzesbestimmung fehle oberstgerichtliche Rechtsprechung.

Der Vater beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

1. § 189 Abs 1 und 4 ABGB idF KindNamRÄG 2013 lautet:

(1) Ein nicht mit der Obsorge betrauter Elternteil

1. ist durch die mit der Obsorge betraute Person von wichtigen Angelegenheiten, insbesondere von beabsichtigten Maßnahmen nach § 167 Abs. 2 und 3, rechtzeitig zu verständigen und kann sich hiezu in angemessener Frist äußern,

2. hat den mit der Obsorge betrauten Elternteil in Angelegenheiten des täglichen Lebens zu vertreten sowie das Kind zu pflegen und zu erziehen, soweit das die Umstände erfordern und sich das Kind rechtmäßig bei ihm aufhält.

Eine Äußerung nach Z 1 ist in jedem Fall zu berücksichtigen, wenn der darin ausgedrückte Wunsch dem Wohl des Kindes besser entspricht.

[...]

(4) Wenn der mit der Obsorge betraute Elternteil die Rechte des anderen nach Abs. 1 beharrlich verletzt, hat das Gericht auf Antrag, sofern das Wohl des Kindes gefährdet wird, auch von Amts wegen, die angemessenen Verfügungen zu treffen.

2.1. § 189 ABGB idF des KindNamRÄG 2013 hat den bisherigen § 178 ABGB idF KindRÄG 2001 anders gegliedert, jedoch inhaltlich im Wesentlichen unverändert übernommen. Lediglich die Vertretungsrechte und Betreuungspflichten nach Abs 1 Z 2 wurden ausgebaut (Weitzenböck in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar4 § 189 ABGB Rz 1; Deixler‑Hübner/Fucik/Huber, Das neue Kindschaftsrecht, Erläut zu § 189 ABGB neu).

2.2. Nach den Zielsetzungen des KindRÄG 2001 sollte das Recht auf persönlichen Verkehr, das nach dem Wortlaut des Gesetzes bisher dem nicht mit Pflege und Erziehung betrauten Elternteil eingeräumt war, primär als Recht des Kindes normiert werden. Damit sollte nicht zuletzt psychologischen und soziologischen Erkenntnissen Rechnung getragen werden, wonach die Aufrechterhaltung ausreichender persönlicher Kontakte zwischen dem Kind und dem Elternteil, bei dem es nicht lebt, für die weitere Entwicklung des Kindes von besonderer Bedeutung ist. Die Konzeption des Rechts auf persönlichen Verkehr primär als Recht des Kindes enthalte auch eine ‑ gegenüber der in der Rechtsprechung bereits bisher angenommenen ‑ verstärkte Verpflichtung des betreuenden Elternteils, die Aufrechterhaltung der Kontakte des Kindes mit dem anderen Elternteil zu fördern. Zur Gewährleistung des für die Persönlichkeits‑ und Charakterbildung wichtigen persönlichen Kontakts zum nicht erziehenden Elternteil könne und solle die Tatsache nutzbar gemacht werden, dass dieser Kontakt dem nicht betreuenden Elternteil jene Informationen verschaffe, derer er zur Wahrnehmung seiner Verantwortung gegenüber dem Kind bedürfe. Vereitle der mit der Obsorge betraute Elternteil ohne gerechtfertigten Grund den persönlichen Verkehr mit dem Kind, so müsse sich der nicht mit der Obsorge betraute Elternteil diese notwendigen Informationen auf andere Art und Weise beschaffen können (RV 296 BlgNR 21. GP , 34 f).

Bei beharrlicher Verletzung der Informationspflichten habe das Gericht Maßnahmen zu setzen. Halte es einen Antrag des nicht mit der Obsorge betrauten Elternteils für gerechtfertigt, werde es zunächst dem anderen Elternteil „entsprechende Aufträge“ zu erteilen haben. Erst eine „weitere Stufe“ der angemessenen Verfügungen könne etwa sein, dass das Gericht den nicht betreuenden Elternteil ermächtige, sich ohne Zustimmung des anderen etwa bei Lehrern oder behandelnden Ärzten selbst zu informieren (RV 296 BlgNR 21. GP  68).

3. Zu § 178 ABGB aF vertrat die Rechtsprechung zur Person des Informationspflichtigen folgende Grundsätze:

Die Informationsrechte des nicht mit der Obsorge betrauten Elternteils richten sich grundsätzlich zuerst gegen den Obsorgeberechtigten. An diesen ist daher zunächst der Auftrag zur Erteilung von weiteren Informationen zu richten, wenn sich die Notwendigkeit danach ergibt. Eine Ausnahme von diesem allgemeinen Grundsatz kann allenfalls dann vorliegen, wenn der Obsorgeberechtigte es grundsätzlich ablehnt, dem nicht Obsorgeberechtigten die aus Gesprächen mit Dritten (zum Beispiel Lehrern und Erziehern) gewonnenen konkreten Auskünfte und Erkenntnisse weiterzuleiten und solche unüberbrückbaren Kommunikationsstörungen zwischen den Elternteilen zu einer fehlenden Information des Informationsberechtigten führen müssen. In einem solchen Fall bestehen keine Bedenken dagegen, dass das Gericht den nicht mit der Obsorge betrauten Elternteil auf seinen Antrag sogleich ermächtigt, die entsprechenden Informationen ‑ freilich nur in angemessener Weise ‑ bei Dritten selbst einzuholen (RIS‑Justiz RS0118245).

4. Im Schrifttum wird vertreten, das Informationsrecht solle gewährleisten, dass sich der nicht mit der Obsorge betraute Elternteil vom Wohlergehen des Kindes überzeugen und am Heranwachsen des Kindes teilnehmen kann. Das Äußerungsrecht solle gewährleisten, dass sich ein nicht mit der Obsorge betrauter Elternteil in die Ausübung der Obsorge einbringen kann. Dafür stehe ihm eine Äußerungsmöglichkeit in angemessener Frist zu (Weitzenböck in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar4 § 189 ABGB Rz 1; Höllwerth, EF‑Z 2011/102).

Beide Rechte richteten sich gegen die Person, die mit der Obsorge betraut ist (Weitzenböck in Schwimann/Kodek, Praxiskommentar4 § 189 ABGB Rz 4). Habe das Gericht dem Obsorgebetrauten die Erteilung einer bestimmten Information aufgetragen und komme der Informationspflichtige diesem Auftrag nicht nach, so komme auch die Möglichkeit in Betracht, den Informationsberechtigten zu ermächtigen, sich ohne Zustimmung des informationspflichtigen Obsorgebetrauten selbst unmittelbar, etwa bei Lehrern oder Ärzten, die entsprechenden Auskünfte zu verschaffen. Von dieser Möglichkeit sollte freilich nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht werden, weil es dadurch bei den dritten, um Auskunft ersuchten Personen zu Zweifeln über die Obsorgekompetenz kommen und auf diese Weise auch der Konflikt der Eltern (unnötig) publik gemacht werden könnte (Höllwerth, Das Informationsrecht nach § 178 ABGB, EF‑Z 2011/102).

5. Der Senat schließt sich zur nunmehrigen Rechtslage der im Schrifttum und der bisher in der Rechtsprechung zu § 178 ABGB aF vertretenen Auffassung an, dass sich das Recht auf Information des nicht mit der Obsorge betrauten Elternteils gegen die Person richtet, die mit der Obsorge betraut ist. Im Streitfall hat das Gericht daher nach § 189 Abs 4 ABGB in erster Linie dem Obsorgebetrauten aufzutragen, dem nicht obsorgebetrauten Elternteil bestimmte Informationen zu erteilen. Erst wenn einem solchen Auftrag nicht nachgekommen wird, ist mit weitergehenden Verfügungen im Sinne der angeführten Gesetzesstelle vorzugehen, worunter auch die Ermächtigung des anderen Elternteils zur direkten Informationsbeschaffung bei Dritten fällt.

Eine derartige Ermächtigung kann das Gericht in Ausnahmefällen auch ohne vorherigen Auftrag an den Obsorgebetrauten erteilen, etwa dann, wenn dieser wiederholt konkreten berechtigten Auskunftsersuchen des anderen Elternteils ohne triftigen Grund nicht Folge leistet, oder wenn das Gericht solche vorherigen (Einzel‑)Aufträge an den Obsorgebetrauten (etwa infolge unüberbrückbarer Kommunikationsstörungen zwischen den Elternteilen) für unzweckmäßig erachtet.

6. Im vorliegenden Fall ergibt sich zwar aus dem bisherigen Pflegschaftsverfahren, dass die Mutter bestrebt ist, den Vater aus dem Leben der Minderjährigen weitestgehend auszuschließen. Dennoch zeigte sie zuletzt die Bereitschaft, dem Vater Informationen über das Kind zukommen zu lassen. Eine beharrliche und grundlose Verletzung von Informationspflichten gegenüber dem Vater ist damit ebenso wenig erwiesen wie ein Fall unüberbrückbarer Kommunikationsstörungen zwischen den Eltern.

7. Dem Revisionsrekurs ist daher Folge zu geben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen sind ersatzlos zu beheben, weil sie nach der derzeitigen Sachlage einer gesetzlichen Grundlage entbehren. Falls die Mutter bereit ist, ihre jüngst gezeigte Bereitschaft der Informationserteilung an den Vater in die Tat umzusetzen, bedarf es keiner weiteren Beschlussfassung. Wenn das nicht der Fall ist, wird das Erstgericht auf Antrag des Vaters zu beurteilen haben, ob zunächst konkrete Aufträge an die Mutter zu erteilen sind oder ob ausnahmsweise ‑ wegen des den eigenen Ankündigungen widersprechenden Verhaltens der Mutter, der die Pflicht zur Informationsweitergabe nun jedenfalls bekannt sein muss ‑ dem Vater sofort das Recht zur unmittelbaren Informationsbeschaffung eingeräumt wird.

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