OGH 13Os88/15p

OGH13Os88/15p25.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. November 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Weißnar als Schriftführerin in der Verbandsverantwortlichkeitssache der Ö***** GmbH wegen Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 28a Abs 1, 33 Abs 1 FinStrG iVm § 3 Abs 1 und 2 VbVG, AZ 123 Hv 27/14p des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag des belangten Verbandes auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a Abs 1 StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0130OS00088.15P.1125.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Wien erhob am 11. Dezember 2014 Anklage gegen Dr. Klaus A***** und Dr. Friedrich F***** wegen des Verdachts der Begehung mehrerer Finanzvergehen der Abgabenhinterziehung nach §§ 33 Abs 1 und 11 dritter Fall FinStrG und stellte zugleich (§ 21 Abs 2 VbVG) den Antrag auf Verhängung einer Verbandsgeldbuße (§ 21 Abs 1 VbVG) über die Ö***** GmbH mit dem Ziel, im Sinn des § 28a Abs 1 FinStrG iVm § 3 Abs 1 und 2 VbVG die Verantwortlichkeit dieser Gesellschaft für die von der Anklage umfassten Finanzvergehen auszusprechen (ON 50).

Mit dagegen am 2. Jänner 2015 eingebrachtem Einspruch begehrte der belangte Verband im Sinn des Art 89 Abs 2 B‑VG die Antragstellung auf Aufhebung des § 3 Abs 2 VbVG beim Verfassungsgerichtshof (ON 53).

Den Einspruch wies das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 1. Juni 2015 ab (ON 60).

Rechtliche Beurteilung

Der mit Bezug auf diese Entscheidung erhobene Antrag auf Erneuerung des Strafverfahrens (§ 363a Abs 1 StPO) des belangten Verbandes ist unzulässig.

Der Oberste Gerichtshof sprach zu 12 Os 57/11s, SSt 2011/53 aus, dass nach der im Zeitpunkt dieser Entscheidung geltenden Rechtslage ein subjektives Recht bestanden habe, den Obersten Gerichtshof wegen unterlassener Normanfechtung durch das Rechtsmittelgericht (Art 89 Abs 2 zweiter Satz B‑VG idF vor BGBl I 2013/114) anzurufen.

Mit der seit 1. Jänner 2015 geltenden Rechtslage (BGBl I 2013/114 iVm BGBl I 2014/92) hat der Gesetzgeber ein subjektives Recht auf Normanfechtung durch die Strafgerichte aber ausdrücklich verneint (vgl Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 597 und § 285j Rz 4‑6):

Durch Art 139 Abs 1 Z 4 B‑VG und Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B‑VG idF BGBl I 2013/114 hat nämlich der Verfassungsgesetzgeber festgelegt, in welchem Rahmen von einer gerichtlichen Entscheidung betroffenen Personen ein subjektives Recht auf diesbezügliche Normanfechtung zukommt. Zugleich hat er in Art 139 Abs 1a B‑VG und in Art 140 Abs 1a B‑VG den einfachen Gesetzgeber ermächtigt, dieses subjektive Recht auf Normanfechtung einzuschränken, soweit dies zur Sicherung des Zwecks des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht erforderlich ist, was durch § 57a Abs 1 VfGG und § 62a Abs 1 VfGG idF BGBl I 2014/92 geschehen ist. Die Annahme eines subjektiven Rechts auf Normanfechtung durch die Strafgerichte würde somit dem Willen des Gesetzgebers widersprechen.

Der bloß auf das Erwirken einer Antragstellung im Sinn des Art 89 Abs 2 B‑VG gerichtete Antrag war daher gemäß § 363b Abs 1 und 2 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen.

Mit Blick auf die Äußerung des belangten Verbandes zur Stellungnahme der Generalprokuratur sei hinzugefügt, dass die gegenständliche Entscheidung durch ein allfälliges Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs über die Verfassungskonformität des § 3 Abs 2 VbVG nicht beeinflusst werden kann. Das Aussetzen der Entscheidung bis zur Verkündung oder Zustellung eines solchen Erkenntnisses kam daher nicht in Betracht (§ 62a Abs 6 VfGG).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte