OGH 7Ob176/15f

OGH7Ob176/15f19.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** H*****, vertreten durch Dr. Stephan Duschel, Mag. Klaus Hanten, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A*****, vertreten durch Mag. Martin Paar, Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. Juni 2015, GZ 1 R 63/15h‑11, womit das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 16. Februar 2015, GZ 19 C 541/14v‑7, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00176.15F.1119.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 447,98 EUR (darin enthalten 74,66 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Zwischen den Parteien besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag mit einer Streitwertbegrenzung von 5.000 EUR. Zugrunde liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung idF 2003 (ARB 2003).

Art 22 ARB 2003 lautet:

„Allgemeiner Vertrags‑Rechtsschutz

[...]

2. Was ist versichert?

[...]

2.2. Im Betriebsbereich besteht für die Wahrnehmung rechtlicher Interessen gemäß Punkt 2.1.2 und Punkt 2.1.3 Versicherungsschutz nur unter folgenden Bedingungen:

[...]

2.2.2 sofern und so lange die tatsächlichen oder behaupteten Forderungen und Gegenforderungen der Vertragsparteien (Gesamtansprüche) aufgrund desselben Versicherungsfalls im Sinn des Art 2.3 die vertraglich vereinbarte Obergrenze unabhängig von Umfang, Form und Zeitpunkt der Geltendmachung nicht übersteigen. [...]

Sinken die Gesamtansprüche vor der gerichtlichen Geltendmachung durch Zahlung, Vergleich oder Anerkenntnis unter die vereinbarte Obergrenze, besteht ab diesem Zeitpunkt Versicherungsschutz.

Steigen die Gesamtansprüche nach Bestätigung des Versicherungsschutzes über die vereinbarte Obergrenze, entfällt ab diesem Zeitpunkt der Versicherungsschutz.“

Mit Schreiben vom 6. 6. 2014 ersuchte die Klägerin um Rechtsschutzdeckung für ein gerichtliches Vorgehen gegenüber der T***** GmbH. Diese habe eine im August 2012 erfolgte Fehlberatung zu verantworten, aufgrund welcher die Klägerin eine Betriebsbündelversicherung bei der W***** AG abgeschlossen habe, obwohl die N***** AG denselben Versicherungsschutz, insbesondere im Hinblick auf den vereinbarten Selbstbehalt, wesentlich vorteilhafter angeboten habe. Die Laufzeit des aufgrund der Fehlberatung abgeschlossenen Versicherungsvertrags ende am 1. 9. 2022, weshalb die Klägerin einem erheblichen Risiko ausgesetzt sei.

Die Beklagte forderte die Klägerin auf, Schadensdatum, Schadenshöhe sowie die Einwendungen der Gegenseite bekanntzugeben.

Mit Antwortschreiben vom 12. 6. 2014 und 20. 6. 2014 gab die Klägerin einen bis zum damaligen Zeitpunkt bereits entstandenen Vermögensschaden von 2.000 EUR bekannt. Zudem wies sie darauf hin, dass die Haftung der Versicherungsmaklerin für künftig mögliche Nachteile aufgrund der unterschiedlichen Bestimmungen zum Selbstbehalt von höherer Bedeutung sei. Mit Schreiben vom 23. 6. 2014 ersuchte die Beklagte um Bewertung des dahin gehenden Feststellungsbegehrens. Im Antragsschreiben der Klägerin vom 25. 6. 2014 wurde dazu ausgeführt: „In Anbetracht des der Mandantin pro Versicherungsfall drohenden Schadens durch die Deckelung des Selbstbehalts erst mit 10.000 EUR (gegenüber 1.000 EUR) erscheint eine Bemessung des Feststellungsbegehrens im Sinn der AHK mit 21.800 EUR als durchaus angemessen.“ Mit E‑Mail vom 9. 7. 2014 wurde der Beklagten ein Klagsentwurf übermittelt, in welchem das Feststellungsbegehren mit 21.800 EUR bewertet und ein Leistungsbegehren von 2.170,84 EUR enthalten war. In diesem wurde unter anderem vorgebracht, dass aufgrund der Zehnprozentklausel und der Deckelung erst ab einem Betrag von 10.000 EUR der Klägerin bei einem Schadensfall von 100.000 EUR eine Mehrbelastung von 9.000 EUR entstehen würde. Mit Schreiben vom 14. 7. 2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass im angesprochenen Risiko eine Streitwertobergrenze von 5.000 EUR vereinbart worden sei und somit für diesen Schadensfall keine Kostenhaftung bestehe. Mit E‑Mail vom 23. 7. 2014 übermittelte die Klägerin der Beklagten einen korrigierten Klagsentwurf, in welchem der Streitwert des Feststellungsbegehrens auf 2.180 EUR herabgesetzt war und sich somit ein Gesamtstreitwert von 4.350,84 EUR ergab. Im Übrigen blieb der Klagsinhalt ident.

Die Klägerin begehrt Rechtsschutzdeckung für die Verfolgung von Schadenersatzansprüchen gegen die Versicherungsmaklerin über den Betrag von 2.170,84 EUR, sowie in Ansehung eines mit 2.180 EUR bewerteten Feststellungsbegehrens. Sie sei in der Bewertung eines nicht auf Zahlung eines Geldbetrags gerichteten Anspruchs frei. Jedenfalls nicht nachvollziehbar sei, aus welchem Grund die Beklagte für das Leistungsbegehren keine Deckung gewähre.

Die Beklagte bestreitet das Klagebegehren. Die nachträgliche Änderung der Bewertung des Feststellungsbegehrens beeinflusse die rechtlichen Umstände im Hinblick auf Rechtsmittelmöglichkeiten nachteilig und stelle eine verpönte Form des „Hineinversicherns“ dar. Die willentliche Einflussnahme des Versicherten auf die Frage, ob ein Versicherungsfall vorliege bzw ob der Versicherer Deckung zu gewähren habe, sei nicht zulässig. Der Klagevertreter habe die Höhe des zukünftigen Schadens ursprünglich schlüssig dargelegt. Aufgrund des bisher von der Klägerin angegebenen Schadensverlaufs von 2.000 EUR im Rahmen der noch acht Jahre dauernden Laufzeit sei mit einem weitaus größeren Schadensbetrag zu rechnen als in der nachträglichen Bewertung zum Ausdruck gebracht werde. Sinn und Zweck des Art 22.2.2.2 ARB 2003 sei es, einen vorgegebenen, den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Sachverhalt zu beurteilen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die von der Klägerin angestrebte Klage liege im Risiko der Versicherung, für die eine Streitwertobergrenze von 5.000 EUR vereinbart sei. Die Klägerin sei bei der Bewertung eines nicht in einem Geldbetrag bestehenden vermögensrechtlichen Streitgegenstands grundsätzlich frei. Der Zweck der Begrenzung werde nicht unterlaufen.

Das Berufungsgericht änderte das angefochtene Urteil im klagsabweisenden Sinn ab. Bei der Beurteilung des Risikoausschlusses sei die Höhe der tatsächlichen oder behaupteten Forderung ausschlaggebend. In der Neubewertung eines Feststellungsbegehrens liege zwar keine Teileinklagung; aber auch bei der bewussten Unterbewertung des Feststellungsinteresses verliere die Vereinbarung der Streitwertobergrenze ihren Sinn, wenn es im Belieben des Versicherten stünde, einen aus einem bestimmten Geschäftsfall resultierenden Anspruch willkürlich zu bewerten. Soweit sich die Klägerin auf die Bewertung nach § 5 Z 34 lit a AHK berufe, sei ihr entgegen zu halten, dass diese Bestimmung bereits mit Wirkung ab dem 27. 5. 2014 ‑ also noch vor dem erstmaligen Deckungsansuchen an die Beklagte ‑ dahin geändert worden sei, dass für Zivilrechtssachen sehr einfacher Natur und von geringer Bedeutung anstelle des Streitwerts von 2.180 EUR ein Streitwert von 4.000 EUR vorgesehen sei. Die Bewertung des Feststellungsbegehrens durch die Klägerin übersteige den ihr vom Gesetz eingeräumten Ermessensspielraum.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil die zu lösende Rechtsfrage angesichts der in den ARB enthaltenen generellen Regelung über den Einzelfall hinausgehe und keine höchstgerichtliche Entscheidung zu dieser speziellen Fallkonstellation vorliege.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerin mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Der Versicherungsfall in der allgemeinen Vertrags‑Rechtsschutzversicherung liegt vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Es bedarf daher eines gesetzwidrigen oder vertragswidrigen Verhaltens eines Beteiligten, das als solches nicht sofort oder nicht ohne weiteres nach außen zu dringen braucht. Ein Verstoß ist ein tatsächlich objektiv feststellbarer Vorgang, der immer dann, wenn er wirklich vorliegt oder ernsthaft behauptet wird, den Keim eines Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann. Damit beginnt sich die vom Rechtsschutzversicherer übernommene Gefahr konkret zu verwirklichen (RIS‑Justiz RS0114001 [T1]).

Der den ‑ zweifelsohne einheitlichen ‑ Versicherungsfall begründende Verstoß liegt im gegenständlichen Fall in der von der Klägerin behaupteten Fehlberatung durch die Versicherungsmaklerin bei Auswahl des Versicherungsvertrags. Wird ‑ wie hier ‑ neben dem Ersatz von Schäden die Feststellung der Leistungspflicht für künftige, aus demselben schädigenden Ereignis entspringende Schäden begehrt, stehen beide Begehren in tatsächlichem und rechtlichem Zusammenhang, sodass die Werte der in der Klage geltend gemachten Ansprüche zusammenzurechnen sind (RIS‑Justiz RS0042923). Das gilt auch für die Beurteilung der Gesamtansprüche nach Art 22.2.2.2 ARB 2003. Das heißt, die Streitwerte der von der Klägerin beabsichtigten Leistungs‑ und Feststellungsbegehren gegenüber der Versicherungsmaklerin sind zusammenzurechnen.

2. Art 22.2.2.2 ARB 2003 stellt einen sekundären Risikoausschluss dar, sodass im Fall des Übersteigens der vereinbarten Streitwertobergrenze überhaupt kein Versicherungsschutz, auch nicht auf Tragung anteiliger Kosten besteht (RIS‑Justiz RS0117820 zum wortgleichen Art 23.2.3.1 ARB 1994). Diese als Leistungsbeschreibung formulierte sekundäre Risikobeschränkung stellt seit Einführung des betrieblichen allgemeinen Vertragsrechts‑Rechtsschutzes eine elementare Bedingung für eine risikogerechte Prämienkalkulation dar ( Kronsteiner/Lafenthaler ARB 1994, 215 f; Kronsteiner/Lafenthaler/Soriat , ARB 2007, 210 f zu den jeweils wortgleichen Art 23.2.3.1 ARB 1994 und 2007).

3.1 Zu berücksichtigen sind aufgrund des ausdrücklichen Bedingungswortlauts und des offenkundigen Zwecks eine an der Anspruchshöhe orientierte Risikobegrenzung aller Forderungen und Gegenforderungen der Vertragspartner aufgrund desselben einheitlichen Versicherungsfalls ( Kronsteiner/Lafenthaler aaO 217, Kronsteiner/Lafenthaler/Soriat aaO 211). Dabei statuiert Art 22.2.2.2 ARB, dass der Umfang, die Form und der Zeitpunkt der Geltendmachung für die Beurteilung der Deckungsvoraussetzungen nicht maßgeblich sind. Durch die Bestimmung soll somit verhindert werden, dass die Risikobegrenzung durch die Geltendmachung von Teilansprüchen oder auch durch ein zu niedrig beziffertes Feststellungsbegehren unterlaufen wird, oder die Geltendmachung des gesamten Anspruchs einem späteren Zeitpunkt vorbehalten wird, wenn vorerst Gegenforderungen erhoben werden, um die Erfolgsaussichten der Durchsetzung der weiteren Ansprüche nach Beendigung eines Vorverfahrens besser abschätzen zu können. Auch wenn diese Vorgangsweise aus wirtschaftlichen, prozesstaktischen und prozessökonomischen Überlegungen auf Seiten des Forderungsinhabers durchaus ihre Berechtigung haben mag, kann dadurch nicht ein Versicherungsschutz erlangt werden, der aufgrund der Gesamtanspruchshöhe nicht besteht ( Kronsteiner/Lafenthaler aaO 219 f, Kronsteiner/Lafenthaler/ Soriat aaO 214 f).

3.2 Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass bei der Beurteilung des Risikoausschlusses die Höhe der tatsächlichen oder behaupteten Forderung ausschlaggebend ist. Nach dem Sinn der Bestimmung kommt es dabei auf die Forderung an, die sich aus der Darstellung des Versicherungsnehmers ergibt, und nicht auf die einseitige (Verzichts‑)Erklärung des Versicherungsnehmers, wenn sie keine Rechtswirkungen nach sich zieht und die Forderung unverändert (klagbar) bestehend ist (7 Ob 98/06x zu ARB 1995). Die Streitwertobergrenze würde ihren Sinn verlieren, wenn es im Belieben des Versicherten stünde, einen aus einem bestimmten Geschäftsfall resultierenden Anspruch in mehreren Teilbeträgen einzuklagen (7 Ob 2021/96y zu ARB 1988).

3.3 Schon nach dem dargestellten Sinn und Zweck der vereinbarten Streitwertobergrenze steht daher die Bewertung eines nicht in Geld bestehenden Anspruchs nicht ausschließlich im Belieben des Versicherungsnehmers. Vielmehr hat der Versicherungsnehmer sich an der Höhe des behaupteten Gesamtanspruchs orientierende Bewertungskriterien heranzuziehen.

4. Die Klägerin reduzierte die Bewertung ihres zusätzlich zum Zahlungsbegehren von 2.170,84 EUR erhobenen Feststellungsbegehren von 21.800 EUR auf 2.180 EUR. Strittig ist, ob sie sich von ihrem erhobenen ‑ nicht versicherten ‑ Anspruch durch die Herabsetzung des Streitwerts für das Feststellungsbegehren distanzieren kann, sodass nunmehr nach dem geänderten Anspruch die Streitwertobergrenze nicht überschritten wird und von der Beklagten Deckung zu gewähren ist.

Die Klägerin argumentiert im Wesentlichen, dass die Herabsetzung des Streitwerts nicht willkürlich erfolgt sei, sie habe sich vielmehr auf die zwischenzeitliche Schadensfreiheit gegründet und sich an § 5 Z 34 lit a AHK orientiert.

Abgesehen davon, dass sich die für die Herabsetzung des Streitwerts behauptete Änderung (zwischenzeitliche Schadensfreiheit) zwischen 9. 7. 2014 (Übermittlung des Klagsentwurfs) und 23. 7. 2014 (Übermittlung des korrigierten Klagsentwurfs) in keiner Weise nachvollziehen lässt, erklärte die Klägerin selbst in ihrer Revision, dass es ihr allein darum gehe, Deckung für die Verfolgung ihrer Ansprüche zu erhalten. Die Vorgangsweise, eine bereits vorgenommene und schlüssig begründete Bewertung eines Feststellungsbegehrens nach dem erfolgten Hinweis auf die Streitwertobergrenze, unter Aufrechterhaltung sämtlicher bisheriger Klagsbehauptungen herabzusetzen, um Deckungsschutz zu erhalten, ist willkürlich und widerspricht dem dargestellten Sinn des Art 22.2.2.2 ARB 2003.

5. Legt man die nachvollziehbaren und unverändert aufrecht erhaltenen Angaben im Klagsentwurf zugrunde, behauptete die Klägerin einen künftigen Schaden von zumindest 9.000 EUR über die noch verbleibende Laufzeit des Versicherungsvertrags. Unter Berücksichtigung, dass ‑ wie bereits ausgeführt ‑ eine Zusammenrechnung des Zahlungs‑ und Feststellungsbegehrens zu erfolgen hat, übersteigt die behauptete Gesamtforderung die Streitwertobergrenze, weshalb die Beklagte keinen Versicherungsschutz zu gewähren hat.

6. Der Revision war der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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