OGH 7Ob98/06x

OGH7Ob98/06x30.8.2006

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Wilhelm Dieter Eckhart, Rechtsanwalt in Klagenfurt, gegen die beklagte Partei D***** Versicherungs-AG, *****, vertreten durch Dr. Dieter Havranek, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Feststellung (Streitwert EUR 10.000), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgericht vom 9. Februar 2006, GZ 4 R 41/06f-17, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 19. Dezember 2005, GZ 20 C 2448/04z-13, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 2.697,70 (darin enthalten EUR 272,78 an USt und EUR 1.061 an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zwischen den Parteien besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag mit einer Streitwertbegrenzung von S 200.000 (EUR 14.534,54). Zugrundeliegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung in der Fassung 1995 (ARB 1995).

Art 23 ARB 1995 lautet:

„Allgemeiner Vertrags-Rechtsschutz

...

2. Was ist versichert? ...

2.3. Im Betriebsbereich besteht - soweit nichts anderes vereinbart ist - Versicherungsschutz nur unter folgenden Voraussetzungen

2.3.1. Soferne und solange die tatsächlichen oder behaupteten Forderungen und Gegenforderungen der Vertragsparteien (Gesamtansprüche) aufgrund desselben Versicherungsfalles iSd Art 2.3. die vertraglich vereinbarte Obergrenze unabhängig von Umfang, Form und Zeitpunkt der Geltendmachung nicht übersteigen; ...

Sinken die Gesamtansprüche vor der gerichtlichen Geltendmachung durch Zahlung, Vergleich oder Anerkenntnis unter die vereinbarte Obergrenze, besteht ab diesem Zeitpunkt Versicherungsschutz. ..."

Hans F***** sen bestellte bei der Klägerin am 8. 4. 2000 ein Gewehr gegen Zahlung von S 736.000 (= EUR 53.487,20). Als der Geschäftsführer der Klägerin mit den Arbeiten fertig war und die Endbesprechung anstand, wandte er sich an einen der Erben des mittlerweile verstorbenen Hans F*****. Jener erklärte, am Gewehr kein Interesse zu haben. Die Arbeiten sollten nicht abgeschlossen werden. Bei den weiteren Telefonaten wurde die Möglichkeit besprochen, dass die Erben der Klägerin Wertgegenstände aus der Verlassenschaft überlassen könnten, damit die Situation bereinigt wäre. Der Geschäftsführer der Klägerin war mit dieser Vorgangsweise nur unter der Voraussetzung einverstanden, dass der Wert der Gegenstände EUR 10.000 beträgt und er darüber ein Wertgutachten erhält. Damit war aber der Miterbe nicht einverstanden. Letztlich sagte der Miterbe zum Geschäftsführer der Klägerin, dieser könne ihn „gern haben", er gebe ihm nichts. Am 12. 3. 2004 teilte der Klagevertreter dem Miterben mit, dass die Klägerin aufgrund des Ablebens des Bestellers grundsätzlich berechtigt sei, die Erfüllung des Auftrages zu verlangen. Entgegenkommenderweise würde sich die Klägerin mit der Bezahlung eines Stornobetrages von EUR 10.000 begnügen, wenn dieser Betrag innerhalb von zwei Wochen überwiesen werde. Eine Zahlung erfolgte nicht.

Die Klägerin begehrt nun Rechtsschutzdeckung zur Hereinbringung der „Stornogebühr" in der Höhe von EUR 10.000, da die Klägerin den Wunsch des Rechtsnachfolgers ihres Auftraggebers auf Stornierung des Vertrages akzeptiert habe. Darin liege ein ausdrücklicher Verzicht auf die restliche Kaufpreissumme, sodass die Forderung unter der mit der Beklagten vereinbarten Streitwertgrenze liege. Der Wert des Grundgeschäftes betrage nunmehr EUR 10.000.

Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens mit der Begründung, dass der Werklieferungsvertrag als Grundgeschäft für die Bemessung des Streitwertes anzusehen und daher der Kaufpreis des Gewehrs für die Bemessung des Streitwertes maßgebend sei. Die vereinbarte Streitwertobergrenze sei daher überschritten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Feststellung der Deckungspflicht der Beklagten aus dem Rechtsschutzversicherungsvertrag ab. In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Ansicht, dass die Gesamtansprüche der Klägerin über der vereinbarten Obergrenze lägen. Die Klägerin habe mit ihrem Vertragspartner keinen Vergleich geschlossen, weil eine Einigung zwischen den potenziellen Streitparteien nicht erfolgt sei. Da die Gesamtansprüche der Klägerin vor der beabsichtigten gerichtlichen Geltendmachung weder durch Zahlung, Vergleich, Anerkenntnis oder Verzicht unter die vereinbarte Obergrenze gesunken sei, bestehe kein Versicherungsschutz.

Das Berufungsgericht änderte das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinn ab. Es vertrat die Rechtsansicht, dass zwar eine ausdrückliche Vereinbarung zwischen den Parteien auf Bezahlung einer Stornogebühr von nur EUR 10.000 nicht zustandegekommen sei, dass aber nach der maßgeblichen Versicherungsbedingung die „behauptete" Forderung die vertraglich vereinbarte Obergrenze nicht übersteigen dürfe, was hier der Fall sei, da nach dem Vorbringen der Klägerin eindeutig (nur mehr) EUR 10.000 geltend gemacht würden. Selbst wenn man diese Ansicht nicht teilen und eine objektive „Unklagbarkeit" des EUR 10.000 übersteigenden Erfüllungsinteresses der Klägerin verlangen wollte, so sei jedenfalls von einem rechtsgültigen (schlüssigen) Verzicht der Klägerin auf den EUR 10.000 übersteigenden Betrag aus dem Vertragsverhältnis auszugehen. Dies gelte auch, falls der Verzicht mit der herrschenden Rechtsprechung nicht als einseitiger Rechtsakt, sondern als annahmebedürftiger Vertrag zu werten sei. Die Klägerin habe im Deckungsrechtsstreit erklärt, auf die Vertragserfüllung und Geltendmachung einer EUR 10.000 übersteigenden Forderung zu verzichten und (nur) diesen Betrag als Stornogebühr einklagen zu wollen. Es bestehe daher zwischen ihr und dem spätestens anlässlich der Rechtshilfeeinvernahme als Zeuge mit dem Verfahrensstand vertraut gemachten Miterben Willensübereinstimmung dahin, dass dieser aus dem Vertragsverhältnis einen höheren Betrag jedenfalls nicht schulde. Dies sei aber rechtlich nicht anders als ein gültig zustandegekommener Verzicht der Klägerin auf einen EUR 10.000 übersteigenden Betrag zu werten, sodass sich die klagsweise Geltendmachung dieses Betrages im Rahmen des versicherten Risikos halte. Eine klagsweise Belangung des oder der Erben durch den Werkbesteller über das (gesamte) Erfüllungsinteresse sei ausgeschlossen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, da die Auslegung der ARB 1995 im Falle eines Vertragsrücktritts und Einschränkung der Forderung des Werklieferers auf eine Stornogebühr bisher nicht Gegenstand der höchstgerichtlichen Rechtsprechung gewesen sei.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

In der vereinbarten Streitwertgrenze liegt ein sekundärer Risikoausschluss, sodass im Falle des Übersteigens der vereinbarten Streitwertgrenze überhaupt kein Rechtsschutz, auch nicht auf anteilige Kosten besteht (7 Ob 62/03y = RIS-Justiz RS0117820).

Einzige im Revisionsverfahren noch strittige Frage ist, ob die vereinbarte Streitwertobergrenze deshalb nicht überschritten wird, weil die Klägerin auf die EUR 10.000 übersteigende Forderung aus dem Werkvertrag verzichtet haben soll.

Aus dem festgestellten Sachverhalt lässt sich aber ein Verzicht - im Gegensatz zur Rechtsansicht des Berufungsgerichtes - nicht ableiten. Dazu kann auch auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichtes hingewiesen werden.

Der Verzicht bedarf der Annahme durch den Schuldner, eine einseitige Willenserklärung des Berechtigten reicht nicht aus (9 ObA 86/01i, RIS-Justiz RS0033948, RS0034122). Für einen wirksamen Verzichtes bedarf es daher des Vorliegens zweier übereinstimmender Willenserklärungen, mögen diese auch konkludent abgegeben werden (vgl RIS-Justiz RS0014090).

Nach den Feststellungen richtete die Klägerin nach dem 12. 3. 2004 keine Willenserklärungen mehr an ihren Gesprächspartner. Prozesserklärungen sind keine rechtsgeschäftliche Erklärungen an Personen, die noch dazu am Verfahren überhaupt nicht beteiligt sind. Das Zurkenntnisnehmen von Prozesserklärungen durch einen Zeugen ist naturgemäß auch keine Annahme einer gar nicht abgegebenen Willenserklärung. Abgesehen davon hat der Kläger immer nur mit einem Miterben verhandelt. Ob dieser überhaupt von den übrigen Erben zu ihrer Vertretung bevollmächtigt war, blieb offen. Von einem wirksamen Verzicht, der nach § 1444 ABGB die Verbindlichkeit des Schuldners aufhebt, kann daher keine Rede sein.

Nach dem Wortlaut von Art 23.2.3.1. ARB 1995 ist bei der Beurteilung des Risikoausschlusses die Höhe der tatsächlichen oder behaupteten Forderung ausschlaggebend. Nach dem Sinn der Bestimmung kommt es dabei - im Gegensatz zur Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes - auf die Höhe der Forderung an, die sich aus der Darstellung des Versicherungsnehmers ergibt, und nicht auf eine einseitige (Verzichts) Erklärung des Versicherungsnehmers, die keine Rechtswirkungen nach sich zieht und die Forderung unverändert (klagbar) bestehen lässt. Andernfalls ließe man nämlich im Ergebnis die Deckung einer Teileinklagung zu, da der Versicherungsnehmer von seiner einseitigen Erklärung wieder abstehen kann. Schon zu den ARB 1988 sprach der Oberste Gerichtshof aber aus, dass die vereinbarte Streitwertobergrenze ihren Sinn verlieren würde, wenn es im Belieben des Versicherten stünde, einen aus einem bestimmten Geschäftsfall resultierenden Anspruch in mehreren Teilbeträgen einzuklagen (7 Ob 2021/96y). Da die tatsächliche Forderung die Streitwertobergrenze übersteigt, kommt der vereinbarte Risikoausschluss zum Tragen, sodass das Klagebegehren abzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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