OGH 7Ob1/15w

OGH7Ob1/15w19.11.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** AG, *****, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in Wien, sowie der Nebenintervenientinnen auf Seiten der klagenden Partei 1. G***** AG, *****, vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, und 2. N***** GmbH, *****, vertreten durch Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Johann Etienne Korab, Rechtsanwalt in Wien, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 1.912.592,71 EUR sA und Feststellung, über die Rekurse der beklagten Partei und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. September 2014, GZ 4 R 78/14s (4 R 79/14p)‑139, mit dem infolge Berufungen der beklagten Partei und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 10. Dezember 2013, GZ 46 Cg 97/10z‑126, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00001.15W.1119.000

 

Spruch:

Die Rekurse werden zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 4.525,07 EUR (darin 754,18 EUR an Umsatzsteuer), der ersten Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei die mit 4.525,27 EUR (darin 754,21 EUR an Umsatzsteuer) und der zweiten Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei die mit 5.429,54 EUR (darin 904,92 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens jeweils binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Die Beklagte ist Versicherungsmaklerin und vermittelte der Zweitnebenintervenientin auf Seiten der Klägerin (folgend: VN) im Jahr 2005 einen Versicherungsvertrag mit der Erstnebenintervenientin auf Seiten der Klägerin (folgend: VR), der im Zusammenhang mit dem von der VN vorgenommenen Verkauf einer Fleischverarbeitungsmaschine nach Russland sowohl das Transport- als auch das Zahlungsausfallrisiko decken sollte. Die Beklagte stand in Geschäftskontakt mit der Nebenintervenientin auf ihrer Seite, einer im Transportversicherungsbereich tätigen Assekuradeurin. Nach Eintritt eines Zahlungsausfalls vertritt der VR den Standpunkt, dass betreffend das Zahlungsausfallrisiko kein wirksamer Versicherungsvertrag zustande gekommen sei, weil er der Assekuradeurin Vollmacht nur für den Abschluss von Transportversicherungen, nicht aber auch von Delkredereversicherungen erteilt habe. Die VN hat ihre Ansprüche an die Klägerin, die finanzierende Bank, abgetreten.

Die Klägerin begehrt dem Grunde nach den Ersatz jenes Schadens, der der VN infolge Zahlungsverzugs und anschließender Insolvenz der russischen Käuferin mangels wirksamen Zustandekommens der Delkredereversicherung aufgelaufen sei. Nach Ansicht der Klägerin habe sich die Beklagte die Vollmachtüberschreitung der Assekuradeurin zuzurechnen und es verabsäumt, deren Vollmachtsumfang zu prüfen.

Die Beklagte bestreitet den Anspruchsgrund ‑ soweit für das Rekursverfahren relevant ‑ aus vertretungsrechtlichen Erwägungen mit der wesentlichen Begründung, dass der vermittelte Versicherungsvertrag auch betreffend die Delkredereversicherung wirksam zustande gekommen sei.

Das Erstgericht gab dem Zahlungsbegehren statt und wies das Feststellungsbegehren ‑ unbekämpft ‑ ab.

Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Beschluss den Berufungen der Beklagten und deren Nebenintervenientin dahin Folge, dass es die Entscheidung des Erstgerichts über das Zahlungsbegehren aufhob und die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die erste Instanz zurückverwies. Rechtlich war das Berufungsgericht der Ansicht, dass VR und Assekuradeurin auf Basis einer Vollmacht zusammengearbeitet hätten, die ‑ soweit hier relevant ‑ (nur) „Transportversicherungen in dem von der Vollmachtgeberin beschriebenen Umfang“, aber keine Ratenausfallversicherungen umfasst habe. Die Ansicht der Rechtsmittelwerber, die den Umfang der Vollmacht eines Assekuradeurs für nicht beschränkbar hielten, sei nicht einschlägig, weil der VR seiner Vertreterin von vornherein nur für den Bereich der Sachversicherung Vollmacht erteilt habe. Einer auch nur teilweisen Bestätigung des Ersturteils stehe allerdings die Unbestimmtheit des Klagebegehrens entgegen, weil nach Klagsausdehnung und -einschränkungen unklar sei, welche Beträge (noch) streitverfangen seien.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil zur Frage, ob sich die Unbeschränkbarkeit der Assekuradeursvollmacht auf jeglichen Versicherungszweig oder nur auf jenen beziehe, für den er vom Versicherer bestellt wurde, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle. Aufgrund des Gleichklangs der §§ 43 ff VVG aF und §§ 43 ff VersVG lägen damit die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO vor.

Rechtliche Beurteilung

Aufgrund des Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO ist dessen Aufhebungsbeschluss grundsätzlich anfechtbar, bedarf zu seiner Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof allerdings der Geltendmachung einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO. Diese Voraussetzung liegt nicht vor. Die von der Beklagten und ihrer Nebenintervenientin erhobenen Rekurse sind daher entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO iVm §§ 519 Abs 2, 527 Abs 2, 528 Abs 1 ZPO) ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Gemäß der auch hier anzuwendenden Regelung des letzten Satzes des § 510 Abs 3 ZPO kann sich der Oberste Gerichtshof auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (RIS‑Justiz RS0043691):

1.1. Im gesamten Verfahren war (zu Recht) nie strittig, dass Bestand und Umfang der Vollmacht der Assekuradeurin nach (altem) deutschem Recht zu beurteilen sind. Dabei steht ‑ entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ‑ nicht die Auslegung der §§ 43 ff VVG aF und §§ 43 ff VersVG, sondern die Frage im Vordergrund, wie weit die nicht im gesetzten Recht verankerte Vollmacht eines Assekuradeurs nach deutschem Handelsbrauch reicht und gegebenenfalls beschränkbar ist. Der Mangel einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zum anzuwendenden ausländischen Sachrecht begründet aber regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0042948 [T6]). Aus Gründen der Rechtssicherheit wäre das Vorliegen einer qualifizierten Rechtsfrage ‑ zum in Österreich überdies wenig praktischen Berufsbild des Assekuradeurs ‑ (nur) dann denkbar, wenn der Rechtsmittelwerber darzulegen vermag, dass ausländisches Recht unzutreffend ermittelt oder eine im ursprünglichen Geltungsbereich des maßgeblichen fremden Rechts in Rechtsprechung und Lehre gefestigte Ansicht hintangesetzt worden wäre (RIS‑Justiz RS0042948 [T3, T4, T9]). Diese Voraussetzungen vermögen aber die Rechtsmittelwerber ‑ auf der Grundlage des vom Erstgericht festgestellten Sachverhalts - nicht erfolgreich aufzuzeigen:

1.2. Das Erstgericht hat festgestellt, dass die Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten eine Transportassekuradeurin ist, die für den VR zu 95 % Transportversicherungen und (nur) zu rund 5 % diverse Sachversicherungen abgeschlossen hat. Die Assekuradeurin war für den VR aufgrund einer Vollmacht tätig, die ‑ soweit hier wesentlich ‑ „Transportversicherungen in dem von der Vollmachtgeberin beschriebenen Umfang“ umfasste und „nach den dafür erlassenen Bestimmungen bei der Hamburger Versicherungsbörse zu hinterlegen (war)“. Ein Handelsbrauch, wonach unter dem Begriff der Transportversicherung auch eine Ratenausfallversicherung (Delkredereversicherung) fällt, ist zumindest im kontinentaleuropäischen Rechtskreis nicht bekannt.

1.3. Die Vorinstanzen sind bei dieser Sachlage zum Schluss gekommen, dass sich die verschiedentlich beschriebene Unbeschränkbarkeit der Vollmacht eines (Transport‑)Assekuradeurs auf den vertretenen Bereich, hier also nur auf den durch „Gesetz, Handelsbräuche und die Literatur“ umrissenen Begriff der Transportversicherung, erstreckt. Dieses Verständnis steht mit dem Wortlaut der im vorliegenden Einzelfall zu beurteilenden Vollmacht und dem evidenten Zweck ihrer Hinterlegung bei der Hamburger Versicherungsbörse in Einklang. Letztere würde sich als gänzlich überflüssig erweisen, wenn der Assekuradeur, wie die Rechtsmittelwerber meinen, schlechthin für jedes Risiko wirksam Versicherungen im Namen des von ihm vertretenen Versicherers abschließen könnte. Dieses Vollmachtsverständnis hält sich jedenfalls im Rahmen des in Lehre und Rechtsprechung ohnehin nicht exakt und einheitlich umrissenen Berufsbild des Assekuradeurs (vgl dazu etwa Michaelis in Schwintowski/Brömmelmeyer, Praxiskommentar zum Versicherungsvertragsrecht2, § 59 VVG Rn 29 [Versicherungsvertreter mit besonders weit reichenden Kompetenzen]; Gercke/Gerhard in Terbille/Höra, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht3, § 11 Transportversicherung Rn 33 [mit weitreichenden Vollmachten ausgestatteter Mehrfach‑Versicherungsvertreter]; Schimikowski, Versicherungsvertragsrecht5 Rn 115 [Ausschließlichkeits‑ oder Mehrfachvertreter meist mit umfassenderen Zeichnungsvollmachten]; Dörner in Prölss/Martin, VVG28, § 59 Rn 14 [mit besonders weit reichenden Vollmachten des Versicherers ausgestatteter, insbesondere im Bereich der Transport‑ und Sachversicherung tätiger Mehrfachvertreter]; Heiss in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts‑Handbuch2, § 38 Transportversicherung Rn 114 [Abschlussvollmacht]; Langheid/Wandt/Reiff VVG § 59 Rn 37 [Abschlussvollmacht mit Vollmacht für die Schadensregulierung]; dBFH IV R 12‑99, DStRE 2000, 57 [Tätigkeit, die über den Abschluss der Versicherungsverträge hinaus auch die weitere Vertragsbearbeitung und die Schadensabwicklung umfasst]).

1.4. Die von der Nebenintervenientin auf Seiten der Beklagten angesprochene Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg 6 U 222/05 ist mit dem vorliegenden Fall unter dem Gesichtspunkt des transportimmanenten Risikos nicht vergleichbar (Loss of Hire‑Versicherung im Bereich der Seekaskoversicherung). Die Rechtsmittelwerber vermögen auch keine Judikatur des Bundesgerichtshofs nachzuweisen, mit der die Rechtsansicht der Vorinstanzen unvereinbare wäre.

1.5. Der Umstand, dass die Beklagte ein „kombiniertes“ Produkt angeboten hat, ändert nichts an dem von den Vorinstanzen vertretbar angenommenen Fehlen einer Vollmacht für den Abschluss der Delkredereversicherung, die nach dem vom Erstgericht festgestellten Begriffsverständnis eben nicht dem Bereich der Transportversicherung zugerechnet wird.

1.6. Schließlich steht die Ansicht der Vorinstanzen auch nicht im Widerspruch zu 1 Ob 292/01z (RdW 2002, 465), wird doch dort (nur) ausgeführt, dass der Assekuradeur „auf Grund einer nach außen hin unbeschränkbaren Vollmacht beim Abschluss von Transportversicherungsverträgen und der Schadens-abwicklung in eigener Verantwortung“ tätig wird. Dass sich diese Vollmacht auf schlechthin alle Versicherungszweige erstreckt, wird in dieser Entscheidung gerade nicht vertreten.

2. Zu der ‑ ebenfalls nach deutschem Recht zu beurteilenden ‑ Frage nach einem wirksamen Vertragsabschluss betreffend die Delkredereversicherung nach Rechtsscheingrundsätzen gehen die Ausführungen der Rechtsmittelwerber in wesentlichen Punkten nicht von den erstgerichtlichen Feststellungen aus, weshalb die Rekurse insofern nicht gesetzmäßig ausgeführt sind (vgl RIS‑Justiz RS0043312; RS0043603).

3. Die Beklagte behauptet in ihrem Rekurs zwar (noch) ein Mitverschulden der Klägerin, setzt sich dazu aber nicht mit den ein Mitverschulden verneinenden Argumenten der Vorinstanzen auseinander und zeigt auch sonst nicht auf, aus welchen Gründen die Rechtsansicht der Vorinstanzen insoweit von vorliegenden Judikaturgrundsätzen abweicht.

4. Der ‑ den Aufhebungsbeschluss tragenden - Ansicht des Berufungsgerichts, wonach infolge Klagsausdehnung und -einschränkungen klärungsbedürftig sei, welche Ansprüche (noch) streitverfangen seien, wird in den Rechtsmitteln nicht entgegengetreten.

5.1. Da in den Rekursen insgesamt keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt wird, sind diese unzulässig und zurückzuweisen.

5.2. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50, 41 ZPO (RIS‑Justiz RS0123222). Die Rechtsmittelgegner haben auf die Unzulässigkeit der Rekurse hingewiesen. Die Kostenersatzpflicht trifft allerdings nur die Beklagte und nicht deren Nebenintervenientin (vgl RIS‑Justiz RS0035816, RS0036057; Obermaier , Kostenhandbuch² Rz 346). Für die Rekursbeantwortungen gebührt nur ein Streitgenossenzuschlag von 10 % ( Obermaier , aaO Rz 427 mwN) und keine Verbindungsgebühr. Für eine Rechtsmittelschrift steht ein ERV‑Zuschlag lediglich in Höhe von 1,80 EUR zu (RIS‑Justiz RS0126594 [T1]).

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