OGH 21Os8/14f

OGH21Os8/14f9.11.2015

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 9. November 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Anwaltsrichter Dr. Vavrovsky und Dr. Pressl sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Sailer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Pottmann als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen Dr. *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Salzburger Rechtsanwaltskammer vom 25. September 2014, GZ HAUSPE/D‑13‑950.466‑25, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Prof. Dr. Aicher, des Kammeranwalts Dr. Koller, des Disziplinarbeschuldigten und seiner Verteidigerin Mag. Schönknecht zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0210OS00008.14F.1109.000

 

Spruch:

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Dr. *****, Rechtsanwalt in *****, der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt, weil er als Arbeitgeber seiner ehemaligen Dienstnehmerin Evelyn G***** nach Kündigung ihres Dienstverhältnisses zum 28. Februar 2013 die Zahlung der ihr zustehenden Urlaubsersatzleistung im Betrag von 2.253,25 Euro brutto vorenthalten hatte, indem er erst nach deren Klagsführung und Abschluss eines Vergleichs vor dem Landesgericht Salzburg am 11. Dezember 2013 teilweise Zahlung geleistet hatte.

Er wurde hiefür nach § 16 Abs 1 Z 2 DSt zu einer Geldbuße von 400 Euro verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Disziplinarbeschuldigten dagegen wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 4, 5 und 9 lit a StPO), (inhaltlich) Schuld und Strafe erhobenen Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Dem Antrag auf Vernehmung des (mit der vorliegenden Arbeitsrechtssache befassten) Richters Dr. ***** gebricht es einerseits an einer entsprechenden Antragstellung in der Disziplinarverhandlung ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 310), zumal dort lediglich auf die Punkte 3 und 4 der Stellungnahme ON 22 verwiesen wurde (ON 23 S 1) auf deren S 6 f auch zahlreiche weitere Beweise angeboten worden waren; andererseits fehlt es am essentiellen Erfordernis der Angabe eines Beweisthemas ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 327). Letztlich zielt das betreffende Berufungsvorbringen auf die Beantwortung der Frage ab, ob die gegenüber Evelyn G***** vertretene Rechtsansicht des Disziplinarbeschuldigten richtig oder doch wenigstens nicht standeswidrig sei, also auf eine Rechtsfrage, die einer Beweisaufnahme nicht zugänglich ist (RIS‑Justiz RS0099342).

Der Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, „dass der Krankenstand der Frau G***** nach ihrer Verletzung im Ausmaß von 6 Wochen zumindest über die klagsgegenständliche Urlaubsersatzleistungsdauer von 18 Tagen in Wahrheit kein Krankenstand war bzw grob fahrlässig von ihr verursacht wurde und somit ihre Urlaubsersatzleistungsforderung zur Gänze nicht zustand“ (S 4 in ON 23) wurde im Ergebnis zu Recht abgewiesen, weil das Beweisthema ‑ wie im Folgenden zur Rechtsrüge darzulegen sein wird ‑ keine entscheidenden Tatsachen betrifft.

Die Mängelrüge (Z 5) verfehlt ihr Ziel, weil der in der Berufung behauptete Widerspruch zwischen den Feststellungen, der Disziplinarbeschuldigte sei überzeugt gewesen, dass sich Evelyn G***** unberechtigt im Krankenstand befunden und er ihr daher das Fernbleiben als Urlaub „angerechnet“ habe, und der ‑ disloziert unter dem Titel „rechtliche Beurteilung“ getroffenen ‑ Feststellung, dass er die Nichterfüllung einer bestehenden Verbindlichkeit in Kauf genommen und sich damit abgefunden habe, nicht besteht. Der Berufungswerber konnte nämlich von der mangelnden Arbeitsunfähigkeit seiner Angestellten überzeugt gewesen sein und gleichzeitig die ihr gegenüber bestehende Verbindlichkeit aus dem Titel der Urlaubsersatzleistung schuldhaft nicht erfüllt haben (wobei Fahrlässigkeit genügt; vgl Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 [2014] S 855).

Auch die Rechtsrüge (Z 9 lit a) versagt. Die Urlaubsfestsetzung bedarf nach § 4 Abs 1 UrlaubsG zwingend einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (RIS‑Justiz RS0070760). Dem Arbeitgeber steht auch in Ausnahmefällen keine einseitige Anordnungsbefugnis zu ( Resch [Hg], Urlaubsrecht S 29), auch nicht bei unentschuldigtem Fernbleiben des Arbeitnehmers ( Schachner , Urlaubsrecht in Fragen und Antworten 3 , S 47 f mwN). Die Parteien des Arbeitsvertrags können zwar eine Vereinbarung treffen, dass die Zeit, in der der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung ungerechtfertigt nicht ordnungsgemäß zur Verfügung gestellt hat, rückwirkend als verbrauchter Urlaub zu gelten hat (RIS‑Justiz RS0106504). Eine derartige Vereinbarung wurde im vorliegenden Fall zwischen dem Disziplinarbeschuldigten und Evelyn G***** aber nicht (auch nicht konkludent) abgeschlossen, sondern hat er vielmehr den Verbrauch des Urlaubs in unzulässiger Weise einseitig verfügt. Dem Argument in der Berufung, die Annahme des Urlaubskonsums anstelle eines unberechtigten Krankenstands stelle die für Evelyn G***** günstigste Auslegung ihres Verhaltens dar, weshalb der Disziplinarbeschuldigte von einer schlüssigen Urlaubsvereinbarung ausgehen habe dürfen, ist zu entgegnen, dass allein schon Evelyn G*****s Klagsführung wegen der Urlaubsersatzleistung eine solche konkludente Vereinbarung ausschließt; der Umstand, dass das Verfahren mit einem Vergleich endete, in dem beide Streitteile aus welchen Gründen immer nachgaben, ist ohne Relevanz.

Der Disziplinarbeschuldigte konnte also gegen den Anspruch seiner ehemaligen Dienstnehmerin auf Urlaubsersatzleistung nicht einwenden, dass ihr dieser Anspruch deshalb nicht zustehe, weil sie den Urlaub bereits verbraucht habe. Wenn er der Meinung war, dass Evelyn G***** entgegen den vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen (Erkenntnisseite 2) im Zeitraum zwischen 17. September und 2. November 2012 arbeitsfähig war (und auch nicht auf die dementsprechende Expertise der Ärzte vertrauen durfte; vgl Holzer in Marhold/Burgstaller/Preye r, AngG § 8 Rz 3; Friedrich aaO § 27 Rz 294) oder aber ihre Arbeitsunfähigkeit grob fahrlässig herbeigeführt hätte (§ 8 Abs 1 AngG), so hätte er die Entgeltfortzahlung verweigern oder aber das für diesen Zeitraum schon bezahlte Entgelt zurückfordern können, was er aber nicht getan hat: Die einseitige Anordnung von Urlaub kann nicht in eine Aufrechnung mit allfälligen Forderungen wegen zuviel bezahlten Entgelts umgedeutet werden.

Dass der Disziplinarbeschuldigte bei Zutreffen seiner Annahme sogar die Entlassung seiner Angestellten nach § 27 Z 4 erster Fall AngG aussprechen hätte können, ändert nichts am Erfordernis einer Vereinbarung für die Urlaubskonsumation. Haben doch Arbeitnehmer auch im Fall ihrer Entlassung Anspruch auf Ersatz für den von ihnen nicht verbrauchten Urlaub ( Gerhartl , Zweifelsfragen zum Urlaubsrecht S 71).

Indem die Rüge weiters „Feststellungsmängel“ (hiezu Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 600) zur subjektiven Tatseite geltend macht, übergeht sie die ‑ bereits zitierten ‑ Ausführungen des Disziplinarrats, dass der Disziplinarbeschuldigte die Nichterfüllung einer bestehenden Verbindlichkeit in Kauf genommen und sich damit abgefunden habe.

Das betreffende Vorbringen ist aber auch unter dem Blickpunkt der Schuldberufung nicht beachtlich, weil selbst wenn der Disziplinarbeschuldigte nicht vorsätzlich gehandelt und an die Berechtigung seines Rechtsstandpunkts geglaubt haben sollte, dieses Verhalten auch bei einem nicht auf Arbeitsrechtssachen spezialisierten Rechtsanwalt subjektiv sorgfaltswidrig ist, zumal es keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass er keine Gelegenheit hatte, die Rechtslage genau zu prüfen, bevor er es auf einen Prozess ankommen ließ.

Wie erwähnt genügt Fahrlässigkeit aber für eine Bestrafung wegen der in Rede stehenden Disziplinarvergehen.

Auch der Strafberufung kommt keine Berechtigung zu.

Der Disziplinarrat wertete keinen Umstand als erschwerend, als mildernd hingegen den Abschluss und die Erfüllung des Vergleichs vor dem Arbeits‑ und Sozialgericht. Diese Strafzumessungsgründe sind noch dahin zu ergänzen, dass dem Disziplinarbeschuldigten das Zusammentreffen zweier Disziplinarvergehen als erschwerend, als mildernd hingegen seine bisherige disziplinarrechtliche Unbescholtenheit zustatten kommt.

Berücksichtigt man, dass der Rechtsmittelwerber sich nicht einmal im Zuge anhängigen Gerichtsverfahrens mit der gegen ihn sprechenden Rechtslage vertraut machte und erst in einer öffentlichen mündlichen Verhandlung einen Vergleich über die Hälfte des Klagsbetrags abschloss, so bleibt für die monierte Mindeststrafe des schriftlichen Verweises kein Raum (vgl Feil/Wennig , Anwaltsrecht 8 [2014] S 899) und ist die auch unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse eines Rechtsanwalts äußerst moderate Sanktion keiner weiteren Herabsetzung zugänglich.

Die Kostenentscheidung gründet auf § 54 Abs 5 DSt.

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